Rundbrief Nr. 23 + Anlage Brief Klose



Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft,

bevor ich mich auch an die Interessierten an unserer Arbeit wende, möchte ich mich bei unseren Mitgliedern für die rege Teilnahme an der improvisierten Online-Jahresmitgliederversammlung bedanken: Ich erhielt 25 ausgefüllte Abstimmungsbögen zurück und somit mehr Stimmen als bei den Versammlungen der vergangenen Jahre. Die Rückläufer habe ich unmittelbar in PDF-Dateien verwandelt und Herrn Büning-Pfaue weiter geleitet, der sich bereit erklärt hatte, auf dieser Basis ein Protokoll dieser virtuellen Veranstaltung zu machen.

Die Pandemie läßt uns vorher ungeahnte Wege gehen und über scheinbar unumstößliche Gebräuche neu nachdenken. Ich will damit nicht diese Online-Praxis für die nächsten Jahre festschreiben, aber ich denke, man kann die wichtigen Unterlagen im Vorfeld in die Runde geben, die notwendigen Abstimmungen dann kompakt durchführen und zudem noch Zeit finden, für eine kleine Lesung, einen Vortrag oder ähnliches, um damit den allzu formalen Charakter einer Jahresmitgliederversammlung zu brechen.

Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zu der Frage, wie lange dieser noch unter Coronabedingungen gegangen werden muß, wage ich keine Einschätzung mehr abzugeben. Da hilft kein Lamentieren und auch nicht die Suche nach immer neuen Schuldigen, wovon die aktuelle Debatte bestimmt ist. Die Pandemie überfordert alle Verantwortlichen, und wenn wir nicht bereit sind, vieles zu verzeihen, wird diese Pandemie auf der politischen Ebene schlimmere Folgen zeitigen, als auf der gesundheitlichen.

Wir haben unsere Literatur, und ich kann aus den vielen Texten Thomas Manns und seines Umfelds, die in Zeiten radikaler Umbrüche und Bedrohungen geschrieben wurden, viel Kraft für meinen Alltag schöpfen – womit ich spätestens auch alle Interessierten an unserer Arbeit herzlich begrüße.

Im Nachgang zu meiner Beschäftigung mit Klaus Manns Freund und Thomas Manns Biograph Peter de Mendelssohns las ich die beiden Erinnerungsbücher seiner Frau Hilde Spiel: ‚Die hellen und die finsteren Zeiten‘ (München 1989) und ‚Welche Welt ist meine Welt?‘ (München, Leipzig 1990). Dies sind Bücher von seltener Intensität: Dieses Zusammentreffen von einem klar beobachtenden Geist mit einer ausgelassenen Lust am Leben. Die jungen Jahre unter dem heraufziehenden Faschismus in Österreich, das Exil in England, die wechselnden Partner in Wien, die Ehe mit dem unsteten und stets auf Kante lebenden de Mendelssohn in London. Das Kennenlernen der beiden nicht im ausgelassenen Nachtleben, sondern mittels der Literatur: Sie schreibt nach der Lektüre von

‚Nacht und Tag‘ (siehe Rundbrief Nr. 21) dem unbekannten Dichter, welcher zunächst nicht reagiert, sondern ihren ersten Roman ‚Kati auf der Brücke‘ liest und sich sogleich sicher ist, die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Eine Liebesgeschichte für Literaturromantiker, die weniger romantisch zu Ende ging – aber das gehört nicht hierher.

Am 28. Januar 1935 ist die 24 Jahre junge Hilde Spiel bei einer Lesung Thomas Manns in Wien. Er las aus ‚Joseph in Ägypten‘. In seinem Tagebuch findet sich nur ein kurzer Hinweis auf diesen Abend. Umso wichtiger die naiv-eindrücklichen Sätze aus dem Tagebuch von Hilde Spiel: „ Ein gepflegter Herr mit einem weißen Rändchen an der Weste: ganz hanseatischer Bürger. Die untere Hälfte aber zu dünn und ein wenig zu kurze Hosenbeine. Eine unbeschreibliche Tenue! Charme, Musik und Geste des Vortrags!

Steht über allem. Die Aussprache ist gottseidank süddeutsch, mit einem ganz leichten reichsdeutschen Straffakzent. Alles ist so mühelos, warm, lieb und gut, wie vielleicht am wunderbarsten bei Schlick. Ein Vatergefühl, wenn er amüsiert und wohlgefällig seinen Hund beobachtet. Am Ende – er liest sehr lange, von halb acht mit einer Pause bis dreiviertel zehn, am Ende klappt er mitten in einer sanft hinfließenden Stelle das Buch zu und sagt: ‚Jetzt ist’s aber genug‘, und geht. Man ruft ihn fünfmal heraus. Zuletzt hebt er die Hände: ‚Jetzt laßt mich, Kinderchen, und geht nach Hause, so wie ich es vernünftigerweise tun will.‘

Im zweiten Band ihrer Erinnerungen schildert Hilde Spiel ihre kurvenreiche Lebensbahn von den unmittelbaren Nachkriegsjahren in britischen Diensten in Berlin an der Seite Peter de Mendelssohns, über die recht friedlichen Jahre in London bis zu der schwierigen Rückkehr in die alte Heimat Österreich, mit der sie eine Haßliebe verband und die ihr die Freundschaft von Thomas Bernhard einbrachte – sicher eine der wenigen, die Bernhard pflegte. Die ihnen gemeinsame Abscheu der reaktionären Tendenzen in ihrer idyllischen Heimat brachte sie einander näher. Mit diesem Vergessen- und Verdrängen- Wollen war sie schon in Berlin konfrontiert. Die Euphorie, mit der man Furtwängler wieder am Pult bejubelte, befremdete sie tief.

Viele Seiten von allzu Privatem kann man überschlagen, ich will hier von ihren Begegnungen mit Thomas Mann berichten: Zuerst trifft sie ihn mit ihrem Peter im Juni 1947 in Zürich, wo sie gemeinsam mit dem ‚melancholischen, unendlich liebenswürdigen‘ Klaus Mann und Paul Geheeb zu Mittag essen. Dann sind die Eheleute gemeinsam im Sommer 1952, kurz vor der Rückkehr der Familie Mann nach Europa, im Pacific Palisades zu Gast. Sie staunt über den ‚so vornehm wie bescheiden, ohne jede olympische Eitelkeit seinen Gästen gegenübertretenden Thomas Mann‘ und dessen ‚Herzenshöflichkeit‘ – welch schönes Wort. Dann noch Hildes Spiels Teilnahme an den Feierlichkeiten zu Thomas Manns achtzigsten Geburtstag in Zürich. Man liest Zeilen, bei denen die Erinnerungen schon von der bald darauf folgenden Todesnachricht überlagert sind. Doch der Dualismus von eben herrscht immer noch vor: ‚erhaben und dennoch nicht ohne Selbstironie‘ beschriebt sie ihn, ‚nicht hochmütig, aber hochgemut, …‘ In solchen Passagen leuchtet das Sprachgefühl von Hilde Spiel ganz besonders auf.

Volker Hage: Eine Liebe fürs Leben – Thomas Mann und Travemünde – Einer Empfehlung der Kollegen aus Hamburg folgend habe ich das kleine Bändchen angeschafft. Bei Fischer erschienen ist es hübsch aufgemacht, enthält viele, mir bislang unbekannte Bilder und ist von Volker Hage journalistisch sauber und routiniert geschrieben. Die ersten Kapitel haben ihren Schwerpunkt bei den Buddenbrooks und den Travemünde-Kapiteln mit Hanno und Tony. Hage zeigt auf, wo TM von Rom aus richtig und nicht ganz so richtig recherchiert hatte – als ob das eine Rolle spielte -, dann wird das ganze zu einer Kurzbiographie, zu einer Darstellung von Thomas Manns Umgang mit dem geteilten Deutschland. Sehr interessant, gehört aber nicht hierher. Er versäumt es, am Thema zu bleiben, an der psychischen Verbundenheit des Autors mit dem Meer. Dennoch verdanke ich diesem Buch den Hinweis auf Thomas Manns Text: Anna Karenina – Einleitung zu einer amerikanischen Ausgabe von Leo Tolstoi. Er schrieb diesen auf seiner letzten Europa-Reise vor dem Kriege, 1939 in Noordwijk aan Zee. Im Angesicht der See ver- gleicht er die Epik Tolstois mit ihrer „rollenden Weite“ ihrem „Hauch von Anhänglichkeit und Lebenswürze“ mit dem Meer. Und so beginnt auch der Text mit einer Eloge auf diesen rauschhaft-rauschenden unendlichen Raum. Ein sprachliches Meisterstück erster Güte. Seine literaturwissenschaftlichen Auslassungen in der Folge kann man lesen oder nicht, die Einleitung der Einleitung ist an Bildhaftigkeit nicht zu überbieten.

Das Ende des Rundbriefs sei wie immer gewürzt mit Zuversicht. Und was hätte uns in den letzten Wochen zuversichtlicher stimmen können, als die Poesie zur Amtseinführung von Joe Biden, als dieses sprachlich-musikalische Bravourstück von Amanda Gorman. Die FAZ hat ihren Text samt Übersetzung veröffentlicht, ich habe mir erlaubt beides diesem Rundbrief anzuhängen. Der Text ist nur ein halbes Vergnügen ohne die Sprachmelodie und Gestik der jungen Dichterin, die Übersetzung ist holprig, wie alle Übersetzungen von Poesie, aber als Spickzettel für im Englischen nur mäßig Kundigen wie mich sehr hilfreich. Man liest überall von ihren Wurzeln im Rap und in bei den Slam- Poeten. Mich erinnerte ihr Vortrag ungeheuer an Walt Whitman, an den von Thomas Mann so hoch geschätzten, der das Musikalische am amerikanischen Englisch erstmals in die Literaturgeschichte einführte.

Mögen Sie viel Hoffnung und Trost bei diesen Zeilen finden, herzlich ihr Peter Baumgärtner

PS: Angehängt ist gleichfalls der nette Brief unseres Mitglieds Frau Ellen Klose

Anlage Brief Klose

Sehr geehrter Herr Baumgärtner,

vielen Dank für Ihre Rundbriefe 19, 20, 21 und nun auch 22 aus Dezember. Ich bitte um Nachsicht, dass Ich erst jetzt antworte, aber ich habe auf den mir bereits für Anfang Dezember anvisierten PC gewartet. Nun Ist er endlfch da – samt Email-Adresse!! Das Formular zur Datenschutzerklärung habe ich um meine Email-Adresse ergänzt und Ihnen bereits zugesandt. Nun kann auch in Ihrer umfangreichen Liste diese Rubrik bei mir ausgefüllt werden.

Es ist  schön, dass wir  diese modernen Kommunikationsmittel haben, doch geht es mir  so wie Ihnen, daß ich mich in all die technischen Möglichkeiten erst einarbeiten muß und um jegliche Hilfestellung dankbar bin – aber mein Dank und meine Anerkennung an all die emsigen Damen und Herren, die auf diese Weise unser literaturgesellschaftliches Leben aufrecht halten mit immer neuen Lektüreanregungen und Wegen der Kommunikation unter uns.

Unterdessen bin ich nicht müßig gewesen und habe Ihre Kommentare und Leseempfehlungen aufgenommen.

Leider habe ich noch nicht alle Tagebücher und Essay-Ausgaben. Teils sind sie nicht mehr oder -wie beider Kommentierten Frankfurter Ausgabe- noch nicht lieferbar. Und es fehlt natürlich immer gerade das, was man gern nachlesen würde – so auch die mit den von Ihnen vorgetragenen Notaten aus den Tagebüchern 1949-1952.  In meiner  Ausgabe  1933-1934 wird vom Herausgeber Peter de Mendelssohn im Klappentext auf diese für TM in verschiedener  Hinsicht so schwierige Zeit des Exils eingegangen.  Wenn auch keine finanzielle Not herrschte und er in den USA Freunde und Unterstützung hatte, durch seine Dozententätigkeit und Vortragsreisen gut  beschäftigt  war  – von Buchprojekten, vom Schreiben von Reden, Essays, Rundfunkansprachen etc. abgesehen -, so ist doch wohl das

Auch dfe Ashenden Erzählungen von Somerset Maugham sind mit Blick auf sein Leben zu sehen. Er hatte ja während des Krieges für den Nachrichtendienst gearbeitet, verfügte also über entsprechende Insiderkenntnisse und so ist Ashenden – wie Maugham selbst sagt – auch sein alter ego.

Geschätzt wurde er, wie ich aus Kommentaren zu Neuveröffentlichungen entnommen habe,

z. B. von Eric Ambler, Ellery Queen, Raymond Chandler.

Aber auch seine anderen Geschichten habe Ich sehr gern gelesen. Als weitere  Lektüre dazu kann ich seine autobiographischen Schriften 11A Wrlter’s Notebook“ aus dem Jahre 1951empfehlen, in Übersetzung erschienen im Diogenes Verlag 2004. Kein Tagebuch, wie es Thomas Mann geführt hat, sondern „lediglich“ Anmerkungen und Anregungen für eventuelle Geschichten, teils schon in Form von Kurzessays oder Anekdoten. Das ist nach Jahren fortgeschrieben, auch nicht für jedes Jahr und auch unterschiedlich lang – z. B. für 1914 sechs Seiten, für 1915 nur 6 Zeilen. Besonders Interessant finde ich sein „Nachwort“ „By way of postscrlpt“ aus dem Jahre 1944, in dem er sein Leben jeweils beim Übergang in ein neues Lebensjahrzehnt betrachtet – im Rückblick sehr weise und teils ironisch. Sehr lesenswert. Den Powell werde ich bestellen, darauf haben Sie mich neugierig gemacht. Auf daß uns die Zeit im Horne Office nicht lang werde1