Rundbrief Nr. 33 + Anlage Platthaus



Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

zunächst möchte ich von der letztes Wochenende zu Ende gegangenen Jahrestagung berichten, die erst- und hoffentlich auch letztmals ausschließlich online stattfand. Sie muß dennoch als Erfolg gewertet werden, konnten sich die einzelnen Vorträge doch einer großen Zahl von Zuschaltungen erfreuen. Da ich in dieser Woche verreist war, konnte ich mich auch nur selten ‚live‘ zuschalten, kann mir aber nun – wie Sie auch – die Vorträge auf Youtube zeitversetzt anhören: Auf der Seite unsere Muttergesellschaft finden Sie leicht den Link. Nutzen Sie die Gelegenheit, warten Sie nicht ab, bis sie Ihnen nächstes Jahr im Jahrbuch in gedruckter Form vorliegen. Frau von der Lühe, die wir im vorvergangenen Jahr auch in Bonn begrüßen konnten, auch im Bild und in ihrer Art zu sprechen zu erleben, bedeutet einen zusätzlichen Gewinn. Sie hielt den einleitenden Vortrag und stellte zunächst den ganzen Titel der Herbsttagung infrage: Ein Exil kann keine geistige Lebensform sein, dem Grunde nach nicht und bei Thomas Mann schon gar nicht – es ist eine Freude, ihr zuzuhören!

Alle Mitglieder, die ‚live‘ oder zeitversetzt an der Jahrestagung teilnahmen, bitte ich, mir ihr ‚feedback‘ zu geben, Kritik oder Anregungen zu äußern, ich trage diese gerne in den Vorstand weiter, die nächste Jahrestagung kommt bestimmt.

Selbst miterleben konnte ich die Vorträge von Prof. Heinrich Detering und von Prof. Elisabeth Galvan. Beide hatten insbesondere den späten Roman ‚Der Erwählte‘ in ihren Fokus genommen, in dem die mittelalterliche Legende von Sybilla und Gregorius in einem märchenhaften Ton gegeben wird. Worin sich Thomas Mann darin zur Westbindung bekennt, wie Detering im Titel seines Vortrags insinuiert, kann ich nicht sagen, erstaunt hat mich in seinen Darlegungen, auf welch vernichtende (rechte) Presse Thomas Mann damit stieß, insbesondere bei FAZ und WELT. Frühere Nazikulturgrößen schmähten ihn der Schlüpfrigkeit, der Amoral, der Zerstörung der deutschen Sprache und noch weiteren Unflats – und siehe da: Thomas Mann hatte nichts anderes erwartet, hatte diese Legende, die schon Leverkühn zu vertonen gedachte, als eine paneuropäisch-grenzenlose Geschichte mit Bedacht angelegt, hatte darin sprachliche Mischformen zwischen Deutsch, italienisch und Latein erfunden und der arme kleine Gregorius wird auch noch von englischen Mönchen aufgezogen. Was uns heute als harmlos-heitere Entspannungslektüre nach dem Faustus erscheint, brachte in der sich konstituierenden Bundesrepublik das braune Wasser zum Überkochen, jenes Wasser, das man, um es mit Adenauer zu sagen, nicht wegschütten konnte, bevor man sauberes habe. (Leider wurde dieser Vortrag von Herrn Detering bislang noch nicht für Youtube freigegeben.) Ähnliche Subtexte entschlüsselte Frau Galvan in der Mosesgeschichte ‚Das Gesetz‘ und in Sachen ‚Der Erwählte‘ wies sie auf die ständige Wiederkehr der Zahl 17 hin: 17 Jahre war Sybilla jung, als sie sich verfehlte, 17 Tage, war das Fäßchen auf dem Wasser, 17 Jahre wuchs wiederum der junge Gregorius auf der Insel heran, 17 Jahre verschrumpelte er auf dem einsamen Felsen zu einem kümmerlichen Wesen und so weiter – und auch 17 Jahre war Thomas Mann im Exil gewesen, als er diese Erzählung schrieb. Da zuckten viele Augenbrauen nach oben auf dem vielfach geteilten Bildschirm, ja klar, daß uns das noch nicht aufgefallen war!

Bleibt noch zu erwähnen, daß ich auf der anschließenden Mitgliederversammlung ‚in absentia‘ wieder zum Beirat des Vorstands gewählt wurde. In einer Jahresmitgliederversammlung unseres Ortsvereins, die hoffentlich als Präsenzveranstaltung wird durchgeführt werden können, will ich die Mitglieder darum bitten, die Aufgaben unseres Vorstands auf mehrere Schultern zu verteilen.

Ein solches Treffen sollte nicht nur administrativen Charakter haben, auch möchte ich mich gerne mit Ihnen über eine in den Feuilletons hochgelobte Neuerscheinung unterhalten: Colm Tóibíns ‚Der Zauberer‘, einer erzählerischen Biographie Thomas Manns.

Ich bin bei der Lektüre nun im Jahre 1914 angekommen, die Jugendjahre sind vorüber und damit auch diverse ‚blinde Flecken‘ seiner Biographie, über die sich Thomas Mann stets ausgeschwiegen hat, die er bestenfalls in vielfältiger Form in seine Werke hat einfließen lassen. Tóibín wagt fiktive Schlüssellochblicke und setzt diese Annahmen in dezenter Sprache in dennoch grelles Licht. Ist dies zulässig? Wer außer mir Bedarf hat, darüber zu sprechen, möge sich bitte melden. Ich würde mich bemühen, einen Termin zu koordinieren und in Bonner Bahnhofsnähe einen Stammtisch zu reservieren.

Auf meiner Suche nach zeitgenössischer Rezeption von Thomas Manns Werk stieß ich auch dieses broschierte Bändchen: Sieben Manifeste zur jüdischen Frage 1936-1948. Herausgegeben wurde das Buch 1966 von Walter A. Berendsohn, einem mir bislang unbekannten Germanisten, der, 1884 geboren, 1926 zum Professor in Hamburg berufen wurde, um 1933 als Jude und Sozialdemokrat wieder entlassen zu werden. Er konnte nach Stockholm fliehen, fand dort ein bescheidenes Auskommen an der Uni, wurde aber nach dem Kriege trotz Intervention von höchster Stelle in Hamburg nicht mehr in Dienst genommen. Er mußte 99 Jahre alt werden, bevor man ihm in Hamburg quasi gnadenhalber eine Ehrendoktorwürde verlieh, um dann hundertjährig zu sterben.

Er war jedenfalls ein großer Verehrer Thomas Manns, beschreibt im Vorwort dieses Bandes dessen Entwicklung vom unpolitischen zum höchst engagierten Schriftsteller. Im Buch versammelt sind bekannte Texte wie eine seiner Rundfunkansprachen von 1942, aber auch unbekannte Texte, Briefe und ein Vorwort zu einem Buch über Chaim Weizmann, die Berendsohn aus englischen Manuskripten rückübersetzen mußte. In diesen Texten verdichtet sich alle Erschütterung und Verzweiflung ob Thomas Manns eigener Hilflosigkeit, die umso schlimmer wurde, je länger der Krieg andauerte und je brutaler die Ermordung der Juden vorangetrieben wurde. Insgesamt sehr wichtige Dokumente (auch zur Staatsgründung von Israel), die 1966 zum Teil erstmals der deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und die zum Teil bedauerlicherweise noch aktuell sind.

Ich erinnere an dieser Stelle nochmals an den Vortrag von Prof. Oellers am 21.10. zu Brecht und Mann Zeit, werde mich aber vorab auch nochmals melden, und weise abschließend auf eine Veranstaltung der Buchhandlung Böttger hin: Am 12.10. wird Andreas Platthaus bei ihm zu Gast sein – in einem Saal gegenüber der Buchhandlung, Thomas Mann Straße 36, – der einer der ersten Stipendiaten in Pacific Palisades war, dort das Buch ‚Auf den Palisaden‘ verfaßte (ich berichtete darüber im vergangenen Jahr) aber dort auch erste Notizen für seine Feininger-Biographie machte. Beide Bücher werden bei der Veranstaltung vorgestellt. Das Plakat hierzu finden Sie im Anhang. Es sind nur noch wenige Plätze verfügbar. Mitglieder der Thomas Mann-Gesellschaft bekommen den reduzierten Eintrittspreis zu 10 €, allerdings nur im Vorverkauf wegen der Planung der Sitzplätze. (da wir keine Mitgliedsausweise haben, kann ich die Mitgliedschaft bei Herrn Böttger bestätigen) Eine Abendkasse gibt es nicht. Bei Herrn Böttger gilt die 2-G-Regel (was ich sehr begrüße), ‚nur‘ getestete Personen sind als Gäste nicht erwünscht, er herrscht Maskenpflicht während der Veranstaltung.

Mit besten Wünschen seien Sie herzlich gegrüßt Ihr Peter Baumgärtner

Anlage Platthaus

Dienstag, 12. Oktober 2021, 20 Uhr

Andreas Platthaus: Lyonel Feininger – Portrait eines Lebens (Vortrag mit Lichtbildern)

Andreas Platthaus: Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens. Rowohlt 2015. 448 S. mit zahlreichen Abb. Geb. 28,00 €

Er prägte das von Walter Gropius gegründete Bauhaus, dem er als einziger Meister vom ersten bis zum letzten Tag angehörte – von 1919 bis zur Auflösung durch die Nationalsozialisten 1933 –, wie kaum ein Zweiter. Mit seinen Freunden Paul Klee und Wassily Kandinsky revolutionierte er die Kunst. Später wurde er so populär und von der Alltagskultur eingemeindet, dass man Bilder von ihm als Plakate bei einem großen schwedischen Möbelhaus kaufen konnte: Lyonel Feininger. 1871 in New York geboren, hielt er sich von seinem siebzehnten Lebensjahr an fast ein halbes Jahrhundert lang in Deutschland auf. Den Großteil dieser Zeit verbrachte er in Berlin, wo sich auch die rätselhaftesten Episoden seines Lebens abspielten. Warum blieb er, obwohl als «feindlicher Ausländer» registriert, während des Ersten Weltkriegs? Und warum verließ er, obwohl mit einer Jüdin verheiratet und Vater dreier Söhne, Nazi-Deutschland erst 1937? In der Persönlichkeit des Malers spiegelt sich das Dilemma einer doppelten Exil-Existenz im 20. Jahrhundert.

Andreas Platthaus, der für dieses Buch zahlreiche Archivbestände auswerten konnte, erzählt das Leben eines Mannes, der sich im steten Zwiespalt zwischen amerikanischem und deutschem Selbstverständnis befand.

Andreas Platthaus: Auf den Palisaden. Amerikanisches Tagebuch. Rowohlt 2020. Geb. 24 €

Vier Monate im Haus von Thomas Mann in Pacific Palisades – das verändert den Blick auf Amerika und Deutschland gleichermaßen. Von hier aus begibt sich Andreas Platthaus ins weite Land, auf die Spuren des deutschen Exils, während er gleichzeitig den aktuellen

Entwicklungen in den Vereinigten Staaten auf den Grund geht: An der West- wie der Ostküste, von der mexikanischen Grenze tief in der

Wüste bis zu den Millionärsvillen hoch über dem Pazifik, in Disneyland genauso wie auf den Straßen zwischen Obdachlosen sucht ein Alteuropäer nach dem Code der Neuen Welt. In seinem Amerikanischen Tagebuch begegnet uns ein tief gespaltenes Land – mit dem wir, mehr als sieben Jahrzehnte nach der Zeit des deutschen Exils, noch immer untrennbar verbunden sind.

Andreas Platthaus leitet das Ressort «Literatur und literarisches Leben» der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», für die er seit 1992 schreibt, und ist Autor zahlreicher Bücher.

Eintritt: 15 € / 10 € – Karten nur im Vorverkauf in der Buchhandlung Böttger Thomas Mann St. 41 in Bonn Dienstag – Freitag: 13 – 18 Uhr  Samstag: 11 – 16 Uhr + täglich nach Vereinbarung

(Buchempfehlungen und Informationen zu den Veranstaltungen unter www.buchhandlung-boettger.de)