Rundbrief Nr. 54

Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

vergangenen Sonntag durften wir einen wunderbaren Tristan-Abend im Woelfl-Haus erleben. Es war weit mehr als eine Lesung, die meine Co-Vorsitzende Frauke May- Jones mit ihrem Partner Philip Stemann präsentierten, es war vielmehr eine musi- kalischliterarische Vorstellung. Der Abend wurde eingeleitet, untermalt und gegliedert von Musikeinspielungen und der Text im Wechsel von den beiden gelesen, wobei Stemann stets die Rolle von Spinell übernahm und May-Jones jene von Frau Klöterjahn und Herrn Klöterjahn im fliegenden Wechsel, die eine mit piepsend- verletztem Stimmchen und die andere dunkel-polternd. Es war eine wunderbare Verschmelzung von Literatur, Musik und Schauspiel, und damit – gerade für diesen ausnehmend knapp bemessenen Thomas-Mann-Text eine treffliche Art der Literaturvermittlung.

Man spürte, wieviel Vorbereitung und Übung die beiden investiert hatten. Leider war der Abend nur spärlich besetzt. Einige Gäste verfolgten die Vorstellung aus der Ferne, ihnen wurde Bild und Ton zeitgleich auf den heimischen Bildschirm zugespielt. Auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herrn, haben noch die Chance, die Vorstellung – zeitversetzt – zu erleben. Über die Seite Woelfl-Haus Bonn – Tristan (woelflhaus.de) können Sie sich noch ein Streaming-Ticket erwerben. Dies würde sowohl Ihrem Genuß und Ihrer Erbauung dienen als auch dem Kontostand unseres Ortsvereins. Ich würde einen solchen Abend nie als defizitär bezeichnen – er war ein Gewinn allemal – aber mehrere Veranstaltungen in dieser Art können wir uns in einem Jahr nicht leisten.

Daher habe ich bislang noch davon abgesehen, die Schauspielerin Johanna Krumstroh und den Vibraphonisten Oli Bott mit ihrem Literaturkonzert „Die Buddenbrooks und die Musik“ einzuladen (siehe Rundbrief Nr.50).

Es ist anzufügen, daß unser kölsches Bremer Mädchen Frauke May-Jones und ihr Bremer Partner Philip Stemann gerne mit ihrer Lesung Gastspiele in anderen Orten in diesem weiten Land wahrnehmen würden. Nicht nur Thomas-Mann-Verehrer kämen auf ihre Kosten, Richard-Wagner-Fans dürfen sich gleichermaßen angesprochen fühlen.

Feuilleton

Die ‚Burleske‘ Tristan wirkt sowohl hinsichtlich des Inhalts wie auch des Spielorts wie eine Fingerübung zum Zauberberg. Die am letzten Sonntag anwesenden Mitglieder unseres Ortsvereins fragten sich, woher Thomas Mann schon um die Jahrhundertwende die Expertise nahm, einen solchen Höhenluftkurort plastisch zu beschreiben, eben lange vor dem Zauberberg und den berühmten Visiten Thomas Manns bei seiner maladen Katia in Davos. In Borchmeyers Bibel fand ich viel zu den mythologischen Bezügen des Tristan-Textes, aber nichts zum Handlungsort. In Harpprechts noch dickerem Kompendium ist die Geschichte eingewickelt in Thomas Manns geheimnisvolle erotische Sondierungen zum eigenen Geschlecht, aber auch nichts zur Lokalität der Handlung. In der Thomas Mann Chronik entdeckte ich allerdings, daß er im Sommer 1901 auf dem Rückweg aus Italien in der Nähe von Meran im Mitterbad im Ultental Station machte. Diese Badeanstalt ist leider seit 50 Jahren dem Verfall preisgegeben und liegt hoch in den Bergen von Bozen in Südtirol und gehörte damals noch zur K&K-Monarchie Österreich- Ungarn. Der leitende Arzt in Mitterbad war Dr. Christoph Hartung von Hartungen – ein Name, wie ihn Thomas Mann nicht besser hätte erfinden können. Er war in damaligen Künstlerkreisen sehr beliebt (Christian Morgenstern soll in seinen Armen gestorben sein), und die jungen Herren Heinrich und Thomas waren bei ihm häufig zu Gast. Zu Doktor Leander konnte ich leider keine Ähnlichkeiten feststellen. Auf Wikipedia kann man einige interessante Entdeckungen dazu machen.

Hinsichtlich des ‚mineralischen‘ Namens des „verwesten Säuglings“ Spinell sprach ich den uns wohlbekannten Goldschmied Hans-Joachim Weingarz an, in dessen Ladengeschäft vor einigen Jahren schon eine Veranstaltung unseres Ortsvereins stattfand. Ich habe ihn auf den Halbedelstein ‚Spinell‘ angesprochen und wurde wie folgt belehrt:

Also, mit dem Halbedelstein ist es folgendermaßen bestellt. In den Fünfzigern hat eine internationale Normungskommission (cibjo) vom Begriff des Halbedelsteins Abstand genommen, weil man nicht wusste, wie man sogenannte Edelsteine von Halbedelsteinen trennen soll. Seit den 1880gern konnte man Rubine von Spinellen unterscheiden und mußte feststellen, daß in den schräbbeligen britischen Kronjuwelen viele Rubine Spinelle sind. Schade, schade. Aber so schlimm können die Dinger nicht sein. Wir könnten Dir, für welchen Zweck auch immer, eine sehr schöne und edle Spinellkette verkaufen. Spinell war allerdings auch das Material, welches man als erstes synthetisches Mineral produzieren konnte. Alle blauen Aquamarine in Oma’s Silberschmuck sind synthetische Spinelle. Mit dem echten nicht zu verwechseln…

Bevor Sie nun ihre Schmuckschatullen durchwühlen, bitte ich noch den Hinweis der Eheleute Volhard zur Kenntnis zu nehmen: Sie erinnerten daran, daß im Jahre 2005 im Kursaal von Travemünde in Gedenken an den fünfzigsten Todestag von Thomas Mann eine Sondersendung des Literarischen Quartetts aufgezeichnet wurde, die man noch im Netz abrufen kann: https://youtu.be/38WwVNI9LyI

Ich genoß das Filmchen, schwelgte in Erinnerungen an diese unterhaltsame wie zwiespältige Reich-Ranicki-Show. Gegenstand damals waren nicht die großen Romane Thomas Manns, sondern dessen frühe Erzählungen – und der Tristan wurde zuerst behandelt. In dieser Sendung versuchte Iris Radisch dem großen Meister Paroli zu bieten, (von wegen: Text aus den üblichen Thomas-Mann‘schen Schubkästen: Hanseatische Kaufmannschaft im Gegensatz zum Künstlertum, Musik und Todessehnsucht) wurde aber erfolgreich von Reich-Ranicki pariert, dessen Worte ich nicht wiederzugeben wage: Gönnen Sie sich den Spaß!

Auch unser Mitglied Marcus Pfeifer hat von seiner niederrheinischen Heimat aus den Tristan verfolgt und zeigte sich in einer Mail sehr zufrieden damit. Beim Hören des Textes fühlte er sich an Heines Gedicht „Im Hafen“ erinnert, das er vor einigen Wochen beim Lyrik-Marathon in Düsseldorf verlesen hatte, zumal es dort um ein Erlebnis im Bremer Ratskeller geht, dem auch Spinell einen Besuch abgestattet haben will. Allerdings nahm Heine nicht den Modergeruch wahr, sondern den Rosenduft des Weins, Lebenslust statt Todessehnsucht. Lag gerade darin für Thomas Mann der Wert Heines? War Heine sein Gegengewicht zur Schwermut Schopenhauers oder zu Isoldes Liebestod im Tristan.

Veranstaltungshinweis

Ich erinnere gerne nochmals an die Einladung von Frau Dr. Ulrike Keim zur Vorstellung ihrer Gumpert-Biographie in ihrem Hause: Sie lädt ein zur

Matinee am Sonntag, den 27.August um 11.00 Uhr

in Bonn-Kessenich, Bergstraße 136

Es liegen schon einige Anmeldungen vor – es können gerne noch einige mehr werden. Anmeldungen, wie gesagt, bitte an mich – besten Dank.

Seien Sie herzlich gegrüßt Ihr Peter Baumgärtner