Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,
leider waren es nur acht Personen, die der Einladung zur Matinee im Hause von Frau Dr. Ulrike Keim vergangenen Sonntag gefolgt sind. Bevor sie mit der Vorstellung ihrer Gumpert-Biographie begann, schilderte sie in lebendigster Form von der Mühe und der Lust an der Recherchearbeit für dieses Buch. Wir erfuhren, daß große Teile des Nachlasses von Gumpert in einem Archiv in Berlin schlummern, andere in Jerusalem zu finden waren, wo man ihr mit großer Hilfsbereitschaft entgegenkam, und auch mit den Enkeln von Gumpert in den USA konnte sie in Kontakt treten, denen die deutsche Herkunft ihres Großvaters kaum noch bewußt war. Nur durch diese energische Arbeit konnte sie an unbekannte Fotos kommen und in ihrem Buch bislang unveröffentlichte Briefe Thomas Manns veröffentlichen. Sie legte großem Wert darauf, den altruistischen Berufsansatz Gumperts als Arzt zu schildern wie auch die enge persönliche Freundschaft zu Katia und Thomas Mann, mit denen er mehrfach in den USA die Weihnachtstage gemeinsam mit seiner kleinen Tochter verbrachte. Auf Gumperts große Liebe zu Erika Mann wurde Frau Keim aufmerksam bei der Lektüre der Erika-Mann-Biografie von Irmela von der Lühe. Diese Lektüreerfahrung war es auch, die ihr den Anstoß gab, selbst das Schreiben einer Biografie in Angriff zu nehmen, zumal sie, wie wir alle, durch Corona zum Hausarrest verdammt war. Wer sich von der erfrischenden Art von Frau Keim selbst ein Bild machen will, kann dies auf YouTube tun, wo eine halbstündiges Interview mit ihr hinterlegt ist: Standort Berlin – ,,Ein außergewöhnliches Leben in zwei Welten” – YouTube, oder akustisch im WDR3-Zeitzeichen zum 125. Geburtstag Gumperts unter: ZeitZeichen – 13. November 1897: Der Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert wird geboren – Zeitzeichen – Sendungen – WDR 5 – Radio – WDR.
Mit ganz besonderer Freude kann ich an dieser Stelle verkünden, daß Frau Dr. Ulrike Keim seit vergangenen Montag Mitglied unseres Ortsvereins ist. Ich empfinde dies als große Bereicherung und freue mich auf die Zusammenarbeit!
Als Literaturliebhaber muß man aber ganz abgesehen von der Freundschaft zur Familie Mann das literarische Schwergewicht Martin Gumpert betonen. Die beiden Romane Hahnemann und Dunant habe ich Ihnen bereits vorgestellt. Den schmalen Gedichtband Berichte aus der Fremde verfaßte Gumpert 1937 in New York und erschien 1938 im Verlag Die Arche in Zürich. 2017 wurde er im Südverlag in Berlin neu aufgelegt. Für mich sind die Verse darin das Schönste, was ich je an Poesie gelesen, man hört förm- lich seine so wundersam leise und eindringliche Stimme – großartig. Darin auch das intensivste Liebesgedicht, das Erika Mann wohl je erhalten hat, es ist überschrieben mit Bericht 3 – hier einige Strophen:

Gibt es denn mehr als dies:
Beugung Deines Nackens,
Wenn du den Strumpf vom Halter lösest
Und ich auf deine Nähe warte.
Sich am Tage zu sehen
Als fremde Tagmenschen mit eigenem Willen
Und von der Nacht zu wissen
Und der Eintracht unseres Atmens? […]
Ist dann nicht Frieden in unserer Mitte,
Wenn dein Kopf auf meinem Arm ruht
Und der Schimmer der letzten Zigarette
Uns den Weg in die Heimat des Schlafes leuchtet?
Geruch der Nähe, Pulsschlag, Haut an Haut,
Wächst über uns der Wald der Wände,
Und Hand in Hand durchwandern wie die Stille
Zum fernen Ort der Zärtlichkeiten […]
Nun, da ich weiß, wie sehr ich Dich liebe,
Wird es unser Schlaf sein, nicht Deiner und meiner,
Komm, laß uns teilen das nährende Brot und den heilsamen Wein
Der Versunkenheit.

1937 berichtet er noch aus der Fremde, neu in New York, 1938 ist er angekommen, etabliert als Arzt, wieder auf der Seite der Schwachen. In dem Roman Der Geburtstag scheinen viele autobiographische Aspekte auf. Er schreibt keine Poesie mehr – Erika hat sich von ihm getrennt – auch keine Helden der Geschichte tauchen auf: alles ist ganz Gegenwart, Nachtleben, Ehrgeiz, Eifersucht: Naturalismus mit hoher Sprachgewalt, Annäherung an Steinbeck… womit ich den Übergang zum Feuilleton einleiten möchte…
Feuilleton
… in dem ich Ihnen wärmstens die aktuelle Neuinszenierung des Bonner Schauspiels ans Herz legen möchte: John Steinbecks Von Menschen und Mäusen: einfach, dicht, intensiv, großartig vom Bühnenbild bis zur Musik – unbedingt anschauen. Dies war auch eines der letzten Theaterstücke, die Thomas Mann sah am 1.Juni 1955 im Züricher Central-Theater. Er notierte in sein Tagebuch: Die Dramatisierung (sehr gut) von Steinbecks »Mice and Men«, gut gespielt, eindrucksvoll.
Abschließen möchte ich mit meinem literarischen Steckenpferd, das ich seit Jahren verfolge und unterstütze: Die auf Deutsch erstmals erschienen Romane von Anthony Powell im Berliner Elfenbein-Verlag. Nach den zwölf Bänden der Reihe Ein Tanz zur Musik der Zeit kamen in den letzten Jahren noch die weiteren fünf Vorkriegsromane Powells auf den Markt, zuletzt Täuschung und Selbsttäuschung. Allesamt geprägt von britischem Understatement, leisem Humor, trefflichen Dialogen, kurz: Wundervolle Gesellschaftsbilder, Literatur mit Suchtgefahr…

Seien Sie herzlich gegrüßt Ihr Peter Baumgärtner