Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft,
zu unserem Stammtisch am 14. August (18.00 Uhr, Delikart Bonn) hat sich bislang nur eine Person angemeldet. Beim letzten Mal hatte ich 7 Anmeldungen und es kamen 14 – bitte, verhelft mir zu einer einigermaßen richtigen Schätzung…
…womit ich nun auch die Interessierten an unserer Arbeit herzlich begrüße.
Die zweite wichtige und erfreuliche Nachricht ist: Die erste Auflage unserer Hommage an Thomas Mann ist ausverkauft. Sobald einige Bestellungen vorliegen, lasse ich eine zweite Auflage anfertigen.
Auf unsere neue Homepage hatte ich Sie auch hingewiesen. Wenn Sie https://thomas- mann-bonnkoeln.de/ öffnen, werden Sie zwei Veranstaltungshinweise sofort entdecken: Darauf werde ich nun näher eingehen.

Am 14. Oktober 25 um 19.00 Uhr wird uns Dr. Holger Pils im Haus an der Redoute, Bad Godesberg, den von ihm herausgegebenen Briefwechsel Thomas Manns mit Ida Herz vorstellen. Dr. Pils ist im Vorstand unserer Gesellschaft, war vor einigen Jahren Direktor des Buddenbrookhauses und ist Geschäftsführer des Lyrik-Kabinetts, München.
Ida Herz hatte ich Ihnen im Rundbrief Nr. 68 vorgestellt, deren Biographie von Friedhelm Kröll mit dem Titel: Die Archivarin des Zauberers.
Bei Holger Pils liest man zunächst nur die private Korrespondenz der beiden und man fühlt sich als Thomas-Mann-Forscher der ersten Stunde. Dort im Privaten, ist er eben nicht der Übergroße, sondern eher der leidende und leidenschaftliche Kämpfer, den ich bewundere.
Parallel zu den Briefen hätte ich die Tagebücher lesen sollen – ich tat es nicht – Holger Pils tat es, was sein Nachwort so außerordentlich lesenswert macht. Dieses Nachwort ist im Grunde eine Biographie von Ida Herz, die aber – im Gegensatz zu Kröll – nicht mit Thomas Manns Tod endet, sondern auch ihre weiteren 30 Lebensjahre beleuchtet, und somit auch ihre Lektüre von Thomas Manns Tagebüchern, in denen sie nicht immer so liebevoll dargestellt wird, wie im Doktor Faustus als Kunigunde Rosenstil.
Von der ersten Begegnung in der Straßenbahn über die Zusammenarbeit in München und Ida Herzens beherzte Rettungsaktionen von Manuskripten Thomas Manns, von ihrer existentiellen Bedrängung als Jüdin in Nazi-Deutschland bis in ihr Exil in England belommt man ein plastisches Bild des schwierigen Alltags der beiden in schlimmen Zeiten. Ich will hier nicht zu viel verraten, will Sie neugierig machen auf das Buch und vor allen auch auf den Vortrag von Holger Pils in der Redoute.

Gerade zuvor hatte ich einen genauso umfänglichen Briefband gelesen, Thomas Manns Briefwechsel mit Agnes E. Meyer. Dieser, von Hans Vaget herausgegebene Band, erschien bereits 1992, und ist aktuell nicht lieferbar, weshalb ich näher darauf eingehen möchte.
In beiden Fällen sind Frauen die Adressatinnen, die ihm zuweilen etwas zu nahe kamen oder kommen wollten, wogegen er sich mit Entschiedenheit verwahrte. So wehrt er sich Agnes Meyer gegenüber am 8. März 1943 mit ausgesuchter Höflichkeit gegen ihre pädagogische Großherzigkeit … Ich weiß mich sehr unzulänglich, aber ich bin, und das bin ich mit Nachdruck, und nicht allein durch meine Jahre bin ich untauglich zum Objekt der Erziehung.
Hier schrieb er an eine Gönnerin, und im Falle von Ida Herz war er der Gönner. Gerade der Unterschied des Tons sagt viel über Thomas Mann aus. Ida Herz gegenüber ist er oft leger und plauderhaft, in Agnes Meyer sah er eine Intellektuelle auf Augenhöhe, mit der er sich intensiv über die Arbeit an seinen Romanen austauscht. Man liest Thomas Mann, erkennt seine Sprache, und dennoch ist sie ungefiltert, nicht auf den literarischen Thron gehoben. Man schaut ihm beim Denken und Fühlen zu, beim Ertragen des Untergangs seines Heimatlandes, offen und ungeschönt. So 1945: Heinrichs Frau starb „zum Glück“ (!), Deutschland hat auf ewig seine Macht verloren. Wird sein Geist wieder auferstehen und die Welt befruchten? Der letzte Satz des Jahres, der Bericht von einem Journalistenbesuch: Ich hätte doch für dieses Jahr meinen Tod prophezeit, wie es denn komme, daß ich noch immer lebe. Es war nicht leicht, mich herauszureden.
1946, ein kurzes Briefjahr, unterbrochen durch die Lungen-OP. Eine Rippe hat man mir auch genommen und mich genauso wenig gefragt wie Gott den Adam. Ist aber bei mir kein Evchen daraus geworden.
3. Dezember ’47: Das Faustus-Projekt ist abgeschlossen. Es ist das Beste, … was ich je zu geben hatte, denn es ist die Synthesis meiner Fähigkeiten, meines Könnens und Wissens, das direkteste, persönlichste und leidenschaftlichste meiner Bücher… Daneben wird er mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert, namentlich von Klaus angesichts der Figur von Saul Fittelberg.
Die Sorge vor einem dritten Weltkrieg taucht immer wieder auf. Er nimmt seine „Alterssünden“ – um es mit Rossini zu sagen – in den Blick, das mittelalterliche Stück um Gregorius und Felix Krull: Das Komische, das Lachen, der Humor erscheinen mir mehr und mehr als Heil der Seele… (10.10.1947)
Dann das Ringen um die Frage, nach Deutschland zu reisen oder nicht – obgleich er weiß, daß es mit der Denazifikation rein nichts ist. Im Juni 1949 die Nachricht vom Freitod Klausens. Er beschloß, aktiv zu bleiben und seinen Verpflichtungen nachzukommen. Aber ein dunkler Schleier liegt seitdem über allem Tun und Treiben. Seine Brüder Heinrich und Viktor folgen binnen eines Jahres. Er aber habe eine gewisse Anhänglichkeit gefaßt an diese grüne Erde…
Zu Weihnachten kommt die Familie zusammen, auch Medi mit ihren Kindern und Borgese sind da: Antonio, der ein etwas anstrengender, aber hochgescheiter Mann ist. Wie leicht ist er glücklich zu machen! Man muß ihn nur ganz allein reden lassen.
In Frankreich ist der Docteur Faustus ein sensationeller Erfolg. Am 16. Dezember 1952 wird ihm das Kreuz der Ehrenlegion zugesprochen. Ich muß sagen, daß keine Ehrung meiner Arbeit mir je soviel Vergnügen gemacht hat.
In Amerika muß er sich immer neuer Anfeindungen erwehren: … es grämt mich nur, daß dies Land der Pioniere und der Freiheit heute in der ganzen Welt das Alte, Verbrauchte, Faule und Korrupte unterstützt….

In vielen Briefen beschreibt Thomas Mann seinen Sohn Golo als vorzüglichen Jungen, der seinen Weg machen wird. Da hatte er recht.
Er ist gerührt vom Bekenntnis Agnes Meyers, daß sie sich von seinen Schriften angezogen fühlte, wie eine Pflanze von der Sonne. So viel zu diesem Buch.
Zu unserer nächsten Veranstaltung:
Am 11. November ‘25, wieder um 19.00 Uhr im Haus an der Redoute wird Prof. Dr. Barbara Beßlich ihre Publikation Der Biograph des Komponisten. Unzuverlässiges Erzählen in Thomas Manns Roman Doktor Faustus vorstellen.
Frau Beßlich ist in Bad Godesberg aufgewachsen und zur Schule gegangen und ist seit 2008 als Nachfolgerin von Dieter Borchmeyer Professorin an der Uni Heidelberg. Sie versteht es, für Literatur zu begeistern: Ein Dutzend ihrer Studenten kam mit nach Lübeck.
Das Buch ist eine universitäre Publikation, es ist ein narratologischer Text, er nimmt die Erzähltechnik Thomas Manns in den Fokus und zieht daraus inhaltliche Rückschlüsse. Beßlich beweist, daß germanistische Texte sehr fesselnd sein können.
Sie nimmt insbesondere die Erzählerfigur Zeitblom in den Blick, dessen Halbwissen die Leser zum Weiterdenken animiert, diese schlauer macht als den Erzähler selbst…
Diese Unzuverlässigkeit des Erzählers Zeitblom wird als literarischer Kunstgriff beschrieben, als Metaebene über der Erzählhandlung, als Ausweis der Modernität Thomas Manns. Selten hatte ich so viele Aha-Erlebnisse auf so wenigen Seiten. Ich werde in einem späteren Rundbrief noch näher darauf eingehen, merken Sie sich den 11.11. vor – da gibt es nicht nur Karneval in Bonn.

Ich komme zurück zur Jahrestagung in Lübeck und wir gehen im Leben Thomas Manns weiter zurück als bisher: In das Jahr 1925. Thomas Mann wird 50 Jahre alt und eine erste Biographie erscheint.
In Lübeck hatte Dr. Irmtraud Hnilica berichtet, daß sie in Vorbereitung ihres Vortrags in Berlin eine Entdeckung gemacht habe: Einen Park in Charlottenburg, der nach Margarete und Arthur Eloesser benannt ist. (Er starb 1938 in Berlin, sie wurde 1942 nach Riga deportiert) Arthur Eloesser war Literaturhistoriker und Literaturkritiker. Er bezeichnet sich selbst als Freund Thomas Manns und als solcher macht er diesem die Biographie zum Geschenk, das Geschenk eines Journalisten, lesbar, witzig und dennoch mit Tiefgang, eine Würdigung, die in der „Begrüßung“ etwas zu pathetisch daherkommt, aber schon mit der Erkenntnis: …er hat nie mit etwas andrem als dem Eigensten gewirtschaftet …
Das Spannende ist der Blick des Zeitgenossen, der Blick, der vom sogenannten Dritten Reich noch nicht verschattet ist, aber vom Zauberberg erleuchtet. Es gibt noch keinen Nobelpreis, keine Josefs-Romane und keinen Faustus, aber viel Ahnung und viel Hoffnung auf Großes, das noch kommen möge.
Das Buch besteht in großen Teilen aus germanistischen Betrachtungen der einzelnen Werke Thomas Manns. Private und politische Bezüge werden nur am Rand erwähnt, zum Beispiel, daß es im Erdgeschoss in der Mengstraße vor hundert Jahren eine Buddenbrook-Buchhandlung gab. Von Homosexualität ist nicht die Rede, interessant allerdings die Aussage, er sei als Junge der „Gebieter“ der ihn umgebenden Frauen gewesen, der Mutter und der kleinen Schwestern. Papa machte Geschäfte und Politik, und der große Bruder gab sich mit dem jungen Gemüse nicht ab…
Ich wünsche allerseits einige warme Sommertage und würde mich über eine rege Teilnahme am Stammtisch freuen, herzlich
Ihr Peter Baumgärtner
