Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,
ich muß diesen Rundbrief leider mit einer traurigen Nachricht beginnen: Der Rat der Stadt Lübeck hat am Donnerstagabend den Um- und Erweiterungsbau des Buddenbrookhauses gestoppt. Das von einer internationalen Jury zurecht vorzüglich bewertete architektonische Konzept, das inzwischen mit den Ausstellungsmachern fein abgestimmt war, wurde von einer aus meiner Sicht selbstherrlichen Denkmalpflege torpediert. Dies brachte eine Verzögerung eines möglichen Baubeginns von zwei Jahren mit sich, damit eine erhebliche Kostensteigerung und landete nun zu Wahlkampfzeiten nochmals vor dem Rat der Stadt mit dem genannten Ergebnis. Unser Vorstand im Verbund mit allen Lübecker Museen stemmte sich mit einer umfangreichen Presseerklärung gegen die drohende Niederlage im Rat – leider vergebens. Nun ist man wieder bei null.
Die Kulisse von Weltliteratur wird noch viele Jahre mit verklebten Fenstern dastehen. Es ist wie ein Bonn ohne Beethovenhaus. In Pacific Palisades hat man das Thomas-Mann-Haus sorgfältig restauriert, in Nida in Litauen ist das Ferienhäuschen der Manns der Zwischenkriegsjahre zu einem kleinen Museum geworden und in Bad Tölz wird im Mai rings um das erste Ferienhaus der Familie Mann ein hoch interessantes Festival stattfinden. Im dortigen Stadtmuseum hat man ein Thomas-Mann-Zimmer eingerichtet und auch im unweit gelegenen Polling, im „Pfeiffering“ aus dem Doktor Faustus, ist man stolz auf seinen zeitweiligen Gast und auf die Erwähnung in großer Literatur. In Lübeck hingegen sägt man an einem kräftigen Ast, auf dem man sitzt. Gehen Sie auf die Seite von Bad Tölz, gönnen Sie sich ein paar Frühlingstage im Voralpenland. Hier der entsprechende Link:
Thomas Mann Festival – Thomas Mann in Bad Tölz – Kunst & Literatur – Entdecken (bad-toelz.de)

Feuilleton
Schon kurz zuvor, am 5. Mai 2023 wird Hanjo Kesting in der Buchhandlung Böttger in der Maximilianstraße in Bonn sein neues Werk „Thomas Mann – Glanz und Qual“ vorstellen. Merken Sie sich diesen Termin vor, melden Sie sich rechtzeitig an. Das Buch ist ein fulminant gutes Werk, ganz großartig in seiner Prosa, mit einer kritischen Distanz zu Thomas Mann und vor allem auch zu sich selbst. Kesting bekennt, daß er in studentenbewegten Jahren und zum Beginn seiner Tätigkeit für den NDR vor 50 Jahren Mann sehr kritisch gegenüberstand. Er lotet die Untiefen Thomas Manns und seiner Kunst aus, lobt, was es zu loben gilt, und stellt nüchtern dar, was es zur Befremdung Anlaß gibt, die Kälte insbesondere zu seinen Nächsten. Die Kapitel über dessen Verhältnis zu Heinrich und Klaus darf man niemandem zu lesen geben, den man von Thomas Mann begeistern will. In den letzten beiden Kapiteln durchläuft Kesting die Tagebücher, stellt immer wieder die verzweifelten Notate darin der gerade entstehenden literarischen Produktion entgegen – Glanz und Qual liegen nahe beieinander.

Ein mir bislang noch unbekannter Schweizer Autor namens Rudolf Jacob Humm begegnete mir bei der Lektüre. Über dessen 1935 erschienen Roman „Die Inseln“ geriet Hermann Hesse ins Schwärmen:
„Humm beschwört die Mythen seiner Kindheit und Herkunft … Wer sie in sich einläßt, für den wird dieses seltsam spiegelnde Mosaik von Erinnerungsfragmenten nicht nur vollkommen wahr und lebendig, sondern es verliert auch seinen privaten auch seinen privaten Charakter…“ Mir gibt es darin zu viel Kunstwollen, zu viel Glasperlenspiel zwischen Traum und Wirklichkeit.
Jener Rudolf Jakob Humm fragte nach dem Erscheinen von „Der Erwählte“ bei Thomas Mann an, was für ein Glaube in seinem Schrank verstaut sei, und dieser antwortete in einem Brief vom 21.11.1953: „Ich glaube an das Gute und Geistige, das Wahre, Freie, Kühne, Schöne und Rechte, mit einem Wort an die souveräne Heiterkeit der Kunst, dieses großen Lösungsmittels für Haß und Dummheit.“
So viel des Gegenwartsbezugs für heute. Es grüßt herzlich Ihr Peter Baumgärtner