Kategorie: Rundbriefe

  • Rundbrief Nr. 18



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    ich werde heute in erster Linie von unserem literarischen Salon im Kelterhaus berichten. Nachdem die ‚südlicheren Tage‘ von östlichen Winden vertrieben worden waren, haben uns ins Haus zurückgezogen, wo wir mit hinreichend Abstand voneinander das Ge- spräch beginnen konnten. Frau Dr. Bensch führte in unser Thema ein, schilderte die private und politische Lage in den USA zum Anfang der fünfziger Jahre, bevor ich die angehängten Notate1 aus den entsprechenden Tagebüchern in leicht gekürzter Form vortrug. Kaum elf Seiten füllen die Zitate, die sich der schwierigen Entscheidung befas- sen, nach Europa zurückzukehren oder nicht, also bestenfalls zwei Prozent der Gedan- ken zu privaten und politischen Themen, die Thomas Mann seinen Tagebüchern anver- traute, und dennoch wird dieses Extrakt zu einem intensiven Leseerlebnis, zu einem besonders scharf konturierten Abbild seiner Persönlichkeit. Bevor wir die Gesprächs- runde eröffneten verlas Frau Dr. Bensch noch einige Briefstellen an Hermann Hesse, worin der Zwiespalt, in dem Thomas Mann und seine Familie befanden. Frauke May und Ulrich Schöning konnten mit ihren amerikanischen Erfahrungen das anschließende Gespräch sehr bereichern.

    Zwei Dinge müssen aus meiner Sicht besonders hervorgehoben werden: Zum einen der Brief an die Redaktion der ‚Echo der Woche‘ vom 16.5.1652, in dem er sein Leben in den USA in den rosigsten Farben malt, kurz nachdem er notiert hatte, „ich selbst bin des Landes unaussprechlich müde“ und kurz bevor er das Land für immer verließ.

    „Einen hübschen kleine Aufsatz“ nennt er diesen Brief, was man nur als eine feine Thomas Mann’sche Ironie auffassen kann. Er wollte nicht, daß sich insbesondere in den USA die Gerüchte über seine Auswanderungsgedanken verbreiten, hatte er doch mehrfach seine Sorge niedergeschrieben, man könne ihm den Paß entziehen und Amerika somit zur Falle für ihn werden.

    Auf der anderen Seite sprach er von Pacific Palisades immer wieder von seinem ‚Zu- hause‘, von den wunderbaren Arbeitsbedingungen, die er dort hat, von dem angeneh- men Klima, von den Spaziergängen am Meer, von all den Dingen, die nichts zu tun hatten mit der politisch so bedrängenden Situation in der McCarthy-Ära, mit der Un- möglichkeit für seine Tochter Erika ihr weiteres Leben in diesem Umfeld zu verbringen. Frau Dr. Bensch erinnerte sich eines Zitats von Frido Mann, nach dem Erika den Aus- schlag gab, die Zitronenhaine und die Spaziergänge am Meer zugunsten der seinem „Herzen nahen Wald- und Wiesenlandschaft“ aufzugeben. Er hatte zwei Brüder und den ältesten Sohn in kurzer Frist nacheinander verloren, er wußte, daß auch seine Tage gezählt waren, daß er weniger „leben als ruhen“ in der Schweiz wollte. Seine Spazier- gänge am Meer mußte er sich nun herbeiträumen, wie sein Hans Castorp auf dem Zauberberg.

    Zurück zum Organisatorischen: Leider war unser Salon im Weingut Sülz nur von neun Personen besucht, Frau Dr. Bensch und mich eingeschlossen. Sechs Mitglieder entschul- digten sich und bedauerten, nicht kommen zu können. Dennoch war ich über die Reso- nanz etwas enttäuscht. Wir bekommen der Raum im Weingut ohne Entgelt, könnten in kühleren Tagen auch einen gemütlichen Holzofen befeuern, und da gibt es auf Seiten der Wirtsleute auch die Hoffnung, ein bisschen Umsatz mit uns zu machen, einen sehr schmackhaften obendrein. Wenn wir einen weiteren Salon an dieser Örtlichkeit ins Auge fassen (oder auch in der Goldschmiede Weingarz), werde ich vorab die Interessenlage erkunden, bevor ich den Raum buche. Ein Personenkreis wie dieser Woche im Kelter- haus könnte sich auch in einem privaten Wohnzimmer bedenkenlos treffen. Wünsche, Anregungen, Einladungen zu weiteren literarischen Salons können Sie mir jederzeit zukommen lassen. Es sollen nicht nur Dinge nach dem Gusto des Vorstandes gesche- hen. Alles, was bei mir eintrifft, werde ich in die Runde geben und die Kommunikation herstellen. Selbstverständlich werde ich für jedes Treffen eine Teilnehmerliste führen und auch bei mir hinterlegt lassen, sodaß ich unmittelbar alle Teilnehmer verständigen kann, sollte mir im Nachgang eine Infektion gemeldet werden.

    Wie im letzten Rundbrief berichtet, hat Herr Büning-Pfaue für den Saal der Schlaraffia in der Schedestraße ein Hygiene-Konzept erarbeitet. Dort wird voraussichtlich im November Herr Prof. Norbert Oellers seinen im Frühling ausgefallenen Vortrag „Bert Brecht und Thomas Mann“ nachholen. Interessenten dürfen sich jetzt schon melden, den genauen Termin stimme ich noch ab. Ich will versuchen, den Vortrag auch auf- zeichnen zu lassen, daß er Schulen zur Verfügung gestellt werden kann.

    Im November werde ich auch nach Lübeck fahren und neben der Vorstandssitzung der Verleihung des Thomas-Mann-Preises an Nora Bossong beiwohnen. Ich kannte sie bis- lang nur durch die Beschreibung eines barocken Landschaftsbildes, die zum Ausstel- lungskatalog der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe beigesteuert hatte (‚Vor dem Gewitter‘ im Katalog ‚Unter freiem Himmel‘; Kerber Verlag 2017) Schon damals hat mich das Poetische in Ihrer Prosa begeistert. Erst diese Woche las ich ihren 2012 erschienen Ro- man ‚Gesellschaft mit beschränkter Haftung‘. Er schildert den Untergang eines Familien- unternehmens und die entsprechenden Generationenkonflikte am Beginn des 21. Jahr- hunderts. Trotz der Ähnlichkeit des Sujets wäre es verfehlt, diesen Roman als moder- nen ‚Buddenbrooks‘ zu bezeichnen. Beiden Werken wird man damit nicht gerecht. Nora Bossongs Prosa ist von großer Intensität, knappe Sätze beleuchten die Dinge in klarem Licht, die Inhumanität der Arbeitsbedingungen unserer Tage in China wird genauso ge- schildert wie die Zustände in der New Yorker U-Bahn. Eine junge Frau tritt in die Ge- schäftswelt ein. Bossong erzählt dies ohne jede feministische Verklärtheit, allein der unternehmerische Erfolg zählt; die Erzählperspektive wechselt mehrfach, die Chrono- logie ist zugunsten einer Kreisbewegung aufgehoben. Immer wieder leuchten dazwi- schen Sätze auf, in denen sich die Lyrikerin Bossong offenbart. Die ganze spannende Geschichte fokussiert sich auf ein überraschendes Ende. Ein sehr empfehlenswertes Leseerlebnis. Ich freue mich, Frau Bossong kennen zu lernen.

    Es ist wieder ein verdammt langer Rundbrief geworden. Bitte dies zu entschuldigen, herzlich

    Ihr Peter Baumgärtner

  • Rundbrief Nr. 17



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    die ‚südlicheren Tage‘ kommen schneller und heftiger als erwartet und wir wollen hoffen, daß sie uns noch einige Zeit erhalten bleiben, denn ich bin mit Frau Dr. Bensch im Weingut Sülz gewesen, um unseren nächsten ‚Gartensalon‘ an eben jenem Ort zu besprechen: Königswinter, Ortsteil Oberdollendorf, Bachstraße 157; https://www.gut-suelz.de. Sollte uns bis dahin die Sonne untreu geworden sein, können wir dort im Kelterhaus mit bis 20 Personen coronakonform sitzen. Frau Dr. Bensch wird anhand von Briefen und anderen Selbstzeugnissen die langsam reifende Entscheidung Thomas Manns und seiner Familie erläutern, ihre neu gewonnene Heimat USA wieder in Richtung Europa zu verlassen. Das Erkennen von Ähnlichkeiten zu gegenwärtigen politischen Zuständen ist ausdrücklich erwünscht. Ich sitze noch daran, Tagebucheinträge dieses Thema betreffend in einer Art Zeitraffer zusammenzufassen. Denn läßt man alle anderen Alltagssorgen Thomas Manns beiseite, seine Arbeit an ‚Der Erwählte‘, seine gesundheitlichen Befindlichkeiten, seine Schwierigkeiten im Umgang mit dem neuen elektrischen Rasierapparat und auch den hübschen Franzl, dann tritt ein ungeheuer hellsichtiger und sorgenvoller Wesenszug Thomas Manns zutage.

    Wir wollen nicht länger als eine dreiviertel Stunde ‚referieren‘, und dann in eine offene Gesprächsrunde übergehen, bei der auch Sie Gelegenheit haben, Ihre Beiträge und Ideen zum Thema einzubringen. Es ist ein spannendes und auch ergreifendes Thema. Sind die ausgedehnten Europareisen seit 1949 nichts anderes als Sehnsuchtsreisen? Dies empfinde ich, je mehr ich mich damit befasse: Waren sie nicht die Suche nach einem Fleckchen alter Erde, in dem er zu ruhen wünschte? Die Entdeckung der Sonette Michelangelos trifft ihn natürlich gerade in seiner letzten großen Verliebtheit, aber waren sie ihm nicht noch mehr? „Ob auch die Zeit mich stündlich spornt und drängt: / Gib Du der Erde wieder / Die kranken, wandermüden Glieder –“.

    Diese Reisen durch Frankreich, die Schweiz, Deutschland und nach Österreich waren eben auch eine große Mühe für einen alten Herrn von 75 Jahren, für die es eines starken inneren Antriebs bedurfte. Reiste er doch über die holprigen Nachkriegsstraßen in einem Hillmann Minx, einem englischen Mittelklassewagen (der Hersteller wurde 1970 von Peugeot übernommen) mit 37,5 PS und 109 km/h Höchstgeschwindigkeit. Da kann man bei allen hoch gelobten Fahrkünsten von Erika seine abendliche Erschöpfung wohl verstehen – doch dies alles nur ganz nebenbei…

    Zurück zu den praktischen Dingen der Gegenwart: Auch wenn das Weingut Sülz sehr viel Raum bietet, muß ich Sie bitten, sich vorher bei mir für den 24.9. anzumelden. Die Corona-Zeiten machen bürokratisch.

    So hat Herr Büning-Pfaue inzwischen für den Saal der Schlaraffia in der Schedestraße ein Hygiene-Konzept erarbeitet und erste Referenten hierfür sind angefragt. Und ich stehe mit dem Goldschmied Hans-Joachim Weingarz in Kontakt, in dessen schönem Ladengeschäft in der Friedrich-Breuer-Straße ich vor drei Jahren meine Erkenntnisse zu Walter Geffcken und dem frühen Bildnis von Thomas Mann zum Besten gab. Anhand einer Probebestuhlung werden wir ermitteln, wie viele Personen sich zwischen den geschmückten Vitrinen sich zum Literarischen Salon versammeln können. Herr Weingarz hat mich übrigens im Zusammenhang mit den ‚zwei südlicheren Tagen‘ dazu aufgefordert, den Anfang von Wolfgang Hildesheimers ‚Mitteilungen an Max…‘ wieder zu lesen: „Aber irgendeiner hat auch die letzte Süße in den schweren Wein gejagt. Ich habe den Kerl nicht zu fassen gekriegt, wahrscheinlich hat er nachts gejagt.“

    Köstlich! In diesem Sinne herzlich: Bis bald Ihr Peter Baumgärtner

    PS: Im Anhang finden Sie noch die digitalen Lektüre-Workshops unserer Muttergesellschaft, die Sie auch auf der entsprechenden Homepage finden können.

  • Rundbrief Nr. 16

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    allen, die an unserem ersten ‚Literarischen Gartensalon‘ in der vorvergangenen Woche nicht teilnehmen konnten, will ich meinen begeisterten Bericht darüber nicht vorenthalten: Herr Büning-Pfaue hatte seinen Garten zur Verfügung gestellt und wir hatten mehr Anmeldungen erhalten, als dieser unter Einhaltung des bekannten Regelwerks zu fassen vermochte. Unser Gastgeber hatte für eine erstklassige und selbstgemachte Verköstigung gesorgt, verschiedene Gäste hatten köstliche Getränke mitgebracht.

    Frauke May hatte den Lieblingstext Manns ihrer jungen Jahre dabei, den Tonio Kröger, und las daraus den dritten Absatz, den Dialog, der höchst eigentlich ein Monolog ist, zwischen Lisaweta Iwanowna und Tonio Kröger. Eine höchst handlungsarme und gedankenschwere Passage, die Frau May aber so gekonnt und so farbig gestaltete, daß es ein wahrer Genuß war. Ihre Imitation eines russischen Akzents der Iwanowna wurde begeistert aufgenommen. Die sprachliche Qualität des Textes begann gesprochen zu leuchten. Man fühlte sich an das im Text versteckte Eigenlob Thomas Manns erinnert und wurde überzeugt, daß es sich hierbei und ein „wertvoll gearbeitetes Ding“ handelt, „voll Humor und Kenntnis des Leidens.“ – Ein Satz, mit dem man das Gesamtwerk Thomas Manns überschreiben könnte.

    Verschiedene Mitschnitte in Ton und Bild wurden gefertigt, die nun daraufhin überprüft werden, ob sie für eine ausschnittsweise Veröffentlichung auf unserer Seite taugen. In den anschließenden lebhaften Gesprächen wurden verschiedenste Themen für weitere Gartensalon-Treffen besprochen und nach weiteren geeigneten Freiräumen gesucht, in denen unter den obwaltenden Umständen sich unsere Mitglieder ohne Sorgen wieder treffen können.

    Auch wenn in den letzten Tagen schon ein herbstlicher Wind von den Bäumen das Laub riß, bin ich mir sicher, daß uns noch ein paar südlichere Tage vergönnt sein werden und wir im September und Oktober noch ein, zwei Termine für einen literarischen Gartensalon finden sollten, für die wir kein, für angemietete Innenräume obligatorisches Hygiene-Konzept erstellen und uns genehmigen lassen müssen. Das bürgerlich-verantwortliche Bewußtsein zur Abstandswahrung können wir zum Glück in unserer Mitgliederschaft verantworten.

    So hat sich inzwischen Frau Margit Haider-Dechant bereit erklärt, die Rasenfläche ihres Woelfl-Hauses für einen Gartensalon zur Verfügung zu stellen. In diesem schönen Rahmen wäre natürlich ein musikalisch-literarisches Thema zu Thomas Mann angezeigt. Hierzu bitte ich noch um Anregungen, ein Termin kann kurzfristig gefunden werden.

    Ich möchte zunächst auf die Anregung von Frau Dr. Bensch zurückkommen, die letzten Jahre Thomas Manns in den USA und seine Entscheidung, diese wieder in Richtung Europa – aber nicht nach Deutschland, sondern eben in die Schweiz – zu verlassen. Die Intellektuellen-Hatz eines Herrn McCarthy, der unsägliche Umgang der Politiker miteinander, all dies hat in den Tagebucheintragungen und in Briefen Thomas Manns insbesondere an Hermann Hesse breiten Niederschlag gefunden. Gemeinsam mit Frau Dr. Bensch werde ich hierzu eine kleine Lesung vorbereiten, bei der wir einleitend auch die jeweiligen privaten und politischen Tagesbezüge erläutern. Im Weingut Sülz in Oberdollendorf habe ich angekündigt, daß wir dort an einem Wochentag abends um 18.00 Uhr mit einer angemeldeten Gruppe erscheinen werden. Es stehen dort ca. 250 Plätze im Garten zur Verfügung, die unter der Woche nur zu einem kleineren Teil belegt sind und wir daher immer die Möglichkeit haben, uns etwas abzusondern. Einen konkreten Termin werde ich in Abstimmung mit Frau Bensch und meiner Wetter-App mit dem Vorlauf von ca. einer Woche nochmals in die Runde geben.

    Unterdessen sollten wir nicht müde werden, uns für die Wintersaison nach Räumlichkeiten umzuschauen. Gemeinsam mit Herrn Büning-Pfaue werden wir für den Saal der Schlaraffia in der Schedestraße ein Hygiene-Konzept erarbeiten und uns dieses vom Ordnungsamt genehmigen lassen. Neuland für uns alle.

    Über ein erfreuliches Ereignis darf ich zum Abschluß berichten: Herr Bernhard F. Schoch ist unserem Ortsverein beigetreten. Herr Schoch ist Musiker und lebt in Köln; als Begrüßungsgeschenk erhielt er einen Band aus unserer Schriftenreihe, einen weiteren hat er sogleich dazu bestellt. Wir freuen uns darauf, seine Bekanntschaft zu machen und ich nutzte die Gelegenheit nochmals darauf hinzuweisen, daß sich unsere Schriften vorzüglich als Geschenk im literarisch interessierten Freundeskreis eignen.

    Diesem Rundbrief habe ich nochmals ein Blankett zur Einwilligungserklärung der Datennutzung beigefügt und auch die aktuelle Liste all derer, die bereits unterzeichnet haben. Herr von Weizsäcker bittet um Verständnis dafür, daß er seine postalische Adresse nicht angeben möchte. Ich bitte Sie zu prüfen, ob mir kein Name entgangen ist, ob ich alle Angaben korrekt übernommen habe.

    So verbleibe ich einstweilen mit herzlichen Grüßen und wünsche auch weiterhin viel Zuversicht, Ihr Peter Baumgärtner