Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,
auf meinen letzten Rundbrief erhielt ich eine ganze Reihe sehr netter und aufbauender Zuschriften, wofür ich mich ausdrücklich bedanken möchte. Der mehr als zweiseitige Brief von Frau Ellen Klose aus Duisburg ist dieser Mail als Scan beigefügt. Die darin erwähnten Besprechungen der Münchener Ausstellung ‚democracy will win‘ sind in den entsprechenden Online-Archiven von SZ und FAZ abrufbar.
Nun zum geplanten Vortrag von Herrn Prof. Norbert Oellers „Bert Brecht und Thomas Mann“ im Saal der Schlaraffia in der Schedestraße. Ich habe mich mit ihm auf einen Termin verständigt und zwar auf den 20.November 2020 um 18.30 Uhr. Dort wird es nach Feierabend der ganzen umliegenden Büros auch hinreichend Parkplätze geben, die S-Bahn-Haltestelle Museum Koenig ist nicht weit. Ich werde dann zeitnah nochmals daran erinnern. Bei den oben erwähnten Zuschriften sind schon erste Anmeldungen für diese Veranstaltung bei mir eingegangen. Herzlichen Dank dafür.
Natürlich stehen sämtliche Veranstaltungstermine unter dem Vorbehalt der nicht kalku- lierbaren Entwicklung der Covid-19-Pandemie. In diesem Zusammenhang möchte ich berichten von einem Gesprächskreis zum Thema ‚Angst‘, zu dem ich kürzlich als Mitglied der Freunde des Schauspiels (früher: der Kammerspiele) mit dem Regisseur Volker Lösch in das Foyer der Oper eingeladen war. Für Anfang 2021 plant er ein Schauspiel zu eben jenem Thema ‚Angst‘ und machte sich an verschiedenen Abenden auf Materialsammlung. Für mich drehte sich alles viel zu sehr um Corona. Als Gegengewicht verlas ich einige Notate aus den Tagebüchern Thomas Manns 1949-1952. Man muß sich immer wieder vergegenwärtigen, welch schwierige Zeiten viele Menschen zu unserer Zeit durchlaufen müssen und welch schwierige Zeitläufte Thomas Mann zu bestehen hatte. Ich erinnerte mich an den Wunsch, den er anläßlich seines fünfzigsten Geburtstags äußerte: Man möge von ihm sagen, daß es [sein Werk] lebensfreundlich ist, obwohl es vom Tode weiß. Er hatte damals gerade den Zauberberg veröffentlicht – in diesem Zusammenhang muß man das Zitat wohl sehen – war ein erfolgreicher Autor, hatte sechs gesunde Kinder, wohnte in einem großzügigen Anwesen im Münchner Villenviertel und war mit einer Frau aus einem wohlhabenden Haus verheiratet. Kann ein Mann glücklicher sein? Und zu dieser Zeit schickte er sich an, das größte Romanprojekt seines Lebens anzugehen: die Nacherzählung wesentlicher Teile des Ersten Buch Mose, dieser grundlegenden Schrift der jüdisch-christlich-muslimischen Welt. Die Josephsromane waren auch ein Friedensprojekt, die Darstellung des Menschen mit all seinen Talenten und Fehlern auch ein Manifest des Humanismus. Nie hätte sich Thomas Mann zu Beginn der Arbeit träumen lassen, in welch fernen Weltgegenden er dieses Werk als Flüchtling abschließen würde. Keine Frage: Er litt unter diesem Vertriebensein, aber er verzagte nicht. Daran sollten wir denken bei unserem halben und dennoch sehr komfortablen Stubenarrest.
Ich habe dieser Tage endlich Gisela Benschs ‚Träumerische Ungenauigkeiten‘ gelesen, ihre Untersuchung zu Traum und Traumbewußtsein im Romanwerk Thomas Manns.1 Eine Sekundärliteratur, die sich von vielen anderen abhebt: Sie ist auch einem Nichtgermanisten verständlich und sie kümmert sich um Wesentliches, um wesentliche Kerne der Romane Thomas Manns, des Zauberbergs und der Josephsromane insbesondere. In den Träumen Hans Castorps und Josephs wird die humanistische Idee Thomas Manns offenbar, seine Gesamtschau auf den Menschen, diesen hinnehmend als Wesen von Verstand und Gefühl. Dies ist von mir nun ganz weit heruntergebrochen, aber ich bin auch froh, einen Grundkurs in Freuds Traumdeutung und in Schopenhauers Philosophie bekommen zu haben, und zu dem auch die Lust, die Romane mit neuen Augen neuer- lich zu lesen. Wäre die Frage zu stellen, weshalb im Faustus nicht mehr geträumt wird? Hatte Thomas Mann seine Träume verloren?
So schweifen die Gedanken ab beim Stichwort Corona. Was uns aktuell als monströse Gefahr erscheinen mag, kann uns im Lichte des eben gesagten vielleicht etwas kleiner erscheinen. Mögen auch Ihnen die Romane Thomas Manns – und vieler anderer Auto ren – als Lebenshilfe dienen – nicht nur in diesen etwas aufgeregten Tagen, herzlich
Ihr Peter Baumgärtner