Rundbrief Nr. 32



Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

ich möchte zunächst kurz berichten vom Treffen mit Herrn Dr. Lange: nach der alttestamentarischen Drohung im letzten Rundbrief, gingen bei mir sofort eine Reihe weiterer Anmeldungen ein, was mich veranlasste, den Clubraum im Verwaltungsverband der evangelischen Kirchen anzumieten (in dem Haus, in dem früher die LESE untergebracht war), was wiederum eine Lawine von Problemen einer mit dort notwendigen Veranstalterhaftplichtversicherung auslöste. Mit Hilfe von Lübeck bekam ich auch diese gelöst, wir hatten einen wunderbaren, gut gelüfteten Raum mit Blick auf den Rhein – mit leider nur sehr wenigen Gästen: Zwei Personen, die sich angemeldet hatten, gaben die Anreise im Stau stehend frustriert auf, eine weitere hatte sich eine üble Verletzung zugezogen und mußte absagen, weitere zwei waren schon am Donnerstag gekommen und zuletzt hat ich es vergessen, einer Interessentin die Adressänderung durchzugeben.

Und dennoch: Wir hatten einen sehr angenehmen und informativen Abend in Räumlichkeiten, die wir in Zukunft häufiger zu Veranstaltungen nutzen werden. Herr Dr. Lange hielt ein kompaktes Referat zum Inhalt seines Buches; man staunte wieder über die Fülle an Daten, Quellen und Originaldokumenten, die er in Jahrelanger Recherchearbeit zusammengetragen hatte. Und in der Dichte wurde auch uns auch nochmals gewahr, in welch prekären Notlagen die verschiedenen Mitglieder der Familie Mann in den Jahren vor dem Kriege waren und wie entscheidend die Hilfe der Tschechoslowakei im allgemeinen und der Gemeinde Proseç samt Herrn Fleischmann im besonderen waren. Es die Hilfe einer ganz jungen wirtschaftlich prosperierenden Demokrate, die dann unter Mithilfe deutsch-faschistischer Bevölkerungsanteile zu Fall gebracht worden war, was später, nach dem Kriege, zu fürchterlichen Racheakten und Vertreibungen führte – auch an unbescholtenen Bürgern.

Das Gespräch über diese Zeitläufte füllte die Zeit nach Herrn Langes Vortrag, aber auch dessen Dank an unser Mitglied Frau Ellen Klose, die ihn auf das Fehlen einer Tschechei- Reise Thomas Manns aufmerksam gemacht hatte. Auch bei mir bedankte er sich für die Kontaktherstellung zu Jens-Peter Otto, der Ende der 60er Jahre Golo Mann als Chauffeur auf dessen Reisen auf den Spuren von Wallenstein diente. Auch von Herrn Ottos Seite erhielt er viele neue Informationen, die in einer zweiten Auflage Eingang fänden, so sie denn kommt. (Herr Otto sei auf diesem Wege nochmals höflich angefragt, ob er bereit wäre, uns in seinem herrlichen Erzählton von seinen Begegnungen mit der Famiie Mann zu berichten.) Es sei an dieser Stelle die kulturelle Leistung des Vitalis-Verlags hervorgehoben, der, in Prag ansässig, deutschsprachige Literatur verlegt, als Erinnerung und Ausblick auf ein gedeihliches Miteinander der Völker in der Mitte Europas.

Und noch ein Dennoch: Im Angesicht der sehr wenigen Gäste wurde mir nochmals bewußt, daß wir bei unseren künftigen Veranstaltungen nicht allein auf Publikumspräsenz setzen dürfen. Wir müssen den Schritt in eine Hybrid- oder Aufzeichnungstechnik wagen. Das Woelfl-Haus betreibt die Hybrid-Technik sehr routiniert und erfolgreich, unsere nächste Veranstaltung mit Herrn Prof. Oellers zu Brecht und Thomas Mann wird von Schülern aufgezeichnet. Für weitere Veranstaltungen brauche ich technische Unterstützung, ich kann das nicht auch noch leisten. (Zur Veranstaltung mit Oellers bei den Schlaraffen sind schon einige Anmeldungen bei Herrn Büning-Pfaue eingegangen, es gibt aber noch allerhand Luft bis zu den zulässigen 45 Personen)

Zum gleichen Thema: Vom 19. bis zum 25.September findet die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Thomas Mann-Gesellschaft im digitalen Raume statt. Lange Vorstandssitzungen gingen dieser Entscheidung voraus, die schon im April getroffen werden mußte. Sie hat sich als richtig erwiesen. Bei der derzeit wankenden Corona-Lage hätten sich nur die wenigsten von uns zu einer Präsenz-Veranstaltung nach Lübeck aufgemacht. Es ist keineswegs das Ziel, diese allein digitale Form in der Zukunft ausschließlich beibehalten zu wollen. Alle freuen sich wieder auf das Beisammensein, auf die 1000 Gespräche am Rande. Aber in diesem Jahr ist es nochmals ein Gebot der Vernunft, auf Großveranstaltungen zu verzichten. Wir sind kein Fußballclub. Die hybride Form aber wird bleiben. Schon jetzt haben sich Germanisten aus aller Welt zu den Vorträgen angemeldet. Das sollen sie auch in Zukunft tun, ohne um die halbe Welt fliegen zu müssen. Tun Sie es auch! Schauen Sie sich um auf der Tagungswebsite und melden sich an.

https://www.thomas-mann-gesellschaft.de/herbsttagung/herbsttagung-2021/index.html

Nach all diesen technischen Dingen noch einige literarische Hinweise:

Nachdem mir in verschiedenen biographischen Texten immer wieder der Name Ida Herz begegnet war, besorgte ich mir das 2001 erschienene Buch von Friedhelm Kröll:

‚Die Archivarin des Zauberers – Ida Herz und Thomas Mann‘. Friedhelm Kröll ist von Hause aus Soziologe und Kunstgeschichtler, der sich als Biographieforscher einen Namen gemacht hat, weshalb er immer wieder gerne Giftpfeile gegen germanistische Kollegen abschießt, einzig Hermann Kurzke kommt glimpflich davon. Nachdem Thomas Mann mehrfach in seinen Tagebüchern den Satz notierte: „Zu Tische leider die Herz“ wurde diese häufig als nervendes Frauenzimmer kurz abgefertigt. Kurzke hingegen scheibt hierzu lakonisch: „Wem Besuch noch nie auf die Nerven ging, der werfe den ersten Stein.“ Denn die Beziehung zwischen Thomas Mann und Ida Herz war viel mehr. Sie erstreckte sich über mehr als 30 Jahre und die Früchte ihrer Arbeit bildeten den Grundstock für das Thomas-Mann-Archiv in Zürich. Ihre erste zufällige Begegnung erfolgte 1924 in einer Straßenbahn von Fürth nach Nürnberg, weshalb sie zwanzig Jahre später als Kunigunde Rosenstiel in den Faustus Eingang fand „mit schwer zu bändigendem Vollhaar und Augen, in deren Bräune uralte Trauer geschrieben stand.“ Auch von der zweiten, selbstlosen Unterstützerin Leverkühns Meta Nackedey finden sich Wesens- züge von Ida Herz wieder. Kröll beschreibt diese Bezüge in psychoanalytischer Tiefenschärfe. Dies ist der eine, sehr interessante Aspekt des Buches. Der andere sind die unendlich vielen Briefe, die die beiden untereinander wechselten und aus denen Kröll zitiert. Gerade in dieser privaten Korrespondenz äußert sich Thomas Mann mit größter Prägnanz und Witz, daß es eine Freude ist, diese zu lesen. Man mag bei dem Buch über Längen und Wiederholungen jammern, aber es eröffnet einen klaren Blick auf den halbprivaten Thomas Mann, der schon früh erkennt und hofft, daß die Nachwelt Interesse am Schaffensprozeß seiner Werke haben könnte.

Nun verabschiede ich mich für einige Tage in Urlaub. Schauen Sie nochmals in Ihren Kalender, ob Sie am 21.10. zum Vortrag von Prof. Oellers zu Brecht und Mann Zeit haben. Seien Sie herzlich gegrüßt

Ihr Peter Baumgärtner

PS: Unser Mitglied Frau Reinhard ließ mir den beigeschlossenen FAZ-Artikel zur Begegnung zwischen Thomas Mann und Max Beckmann auf der Überfahrt nach New York zukommen, welchen Sie bei Ihrer FAZ-Lektüre ggf. überschlagen haben…

PPS: Noch ein literarischer Hinweis ganz seitab von Thomas Mann: Im Verwaltungsverband der evangelischen Kirchen sah ich zu meiner Überraschung eine Ausstellung zu Leben und Werk von John Millington Synge, jenem allzu jung verstobenen irischen Dramatiker, den Heinrich Böll in den frühen 60er Jahren für das Deutsche Publikum entdeckt und übersetzt hat. Mich verbinden mit Synge Erinnerungen an eine Schulaufführung vor über 40 Jahren, bei der ich eine Nebenrolle in ‚The Playboy of the Western World‘ innehatte: Ich gab den Schankwirt James Flaherty, der seine hübsche Tochter Pegeen mit dem dahergelaufenen Aufschneider Christoper Mahon verheiratete, welcher damit prahlte und Eindruck schund, seinen Vater höchst heldenhaft erschlagen zu haben, bevor eben jener höchst lebendig auftauchte. Ein großes Theatervergnügen, an das hier von der Deutsch-Irischen Gesellschaft erinnert wird. Hier die entsprechenden Links: https://www.ekir.de/evib/ueber-uns/hinweis-auf-ausstellungen-111.php