Rundbrief Nr. 41 + Anlagen Leserbrief | Fokuma-Fürtjes
Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,
„Wenn es ihn je gegeben hat, den deutschen Meister ohne Welt, ohne Europa im Blut – heute kann es ihn nicht mehr geben. […] in einem geistig und wohl auch wirtschaftlich-politisch zusammenwachsenden Europa wäre ein Meistertum der Enge, der Verstocktheit und des provinziellen Winkels eine weinerliche Erscheinung.“
Mit diesen anerkennenden Worten, liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit, lobte Thomas Mann seinen Bruder Heinrich am 27.März 1931 vor der Preußischen Akademie der Künste in Berlin. Viel Hoffnung lag in diesen Worten, wohl aber auch schon eine Ahnung von dem Unheil, das den beiden Brüdern und der Welt noch bevorstehen würde. Möge uns das Werk Thomas Manns Kraft und Hoffnung geben für die Heraus- forderungen, die uns bevorstehen.
Krankheitsbedingte Absagen von Veranstaltungen, wie jene von Tim Lörke, werden uns daher auch nicht entmutigen. Im Rahmen der Herbsttagung in Lübeck werde ich mit Dr. Lörke einen Nachholtermin vereinbaren.
An anderer Stelle haben sich erfreuliche Entwicklungen ergeben: Die Sonntags-Matinee im Museum Alexander Koenig mit dem Vortrag von Tobias Schwartz konnte ich nun verbindlich terminieren; sie wird am 4. September um 11.00 Uhr stattfinden. Wir werden begrüßt vom wissenschaftlichen Leiter des Hauses Prof. Dr. Bernhard Misof, das sich heute „Stiftung Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels“ nennt, sich also mit den brennenden Fragen der Gegenwart beschäftigt. Im angehängten Flyer können Sie noch weitere Details finden (Anlage 1). Ich freue mich auf diese Veranstaltung einer neuen Art. Bringen Sie Zeit und Freunde mit. Sie werden nur den üblichen Museumseintritt zu bezahlen haben. Wenn Interesse besteht, kann ich im Nachgang noch eine Führung durch das Haus organisieren, auch in Räume, die in der Regel für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. In den verschiedenen Archiven sind erstaunliche Schätze zu bewundern. Interessierte sollten sich im Vorfeld bei mir melden, damit ich dies im Haus entsprechend vorbereiten lassen kann.
Über der seit langem angekündigten Veranstaltung mit Prof. Thomas Wortmann aus Mannheim steht ein unglücklicher Stern: Bei ihm wäre der Freitag, 4. November, ein passender Termin. Leider stehen uns an diesem Tag weder das Haus der Schlaraffia noch der Saal des Verwaltungsverbands der evangelischen Kirchen zur Verfügung.
Alternativvorschläge werden gerne angenommen.
Unser aus Georgien stammendes Ortsvereinsmitglied Frau Ekaterine Horn konnte ich Ihnen schon in vergangenen Rundbriefen vorstellen. Angeregt durch ein Benefizkonzert für die Ukraine im Woelfl-Haus werden wir nun ebenda am 15.Oktober einen georgischen Abend veranstalten. Auch in diesem Land, das sich 1991 auf den schwierigen aber letztlich erfolgreichen Weg in die Unabhängigkeit und zu einer freiheitlichen Demokratie gemacht hat, ist man in Sorge vor einem russischen Zugriff. Weit im Osten gelegen, hat man in diesem Land großes Interesse, an der westeuropäischen Kultur teilzuhaben. An den Universitäten gibt es starke germanistische Fakultäten. An diesem Abend wird Frau Natia Choladze von der staatlichen Universität Kutaissi zu uns sprechen unter der Überschrift „Die sinfonische Architektonik von Thomas Manns Der Zauberberg„. Diese Universität betreibt eine intensive Zusammenarbeit mit der Goethe-Gesell- schaft in Weimar e.V. Über den Link: https://www.goethe-gesellschaft.de/goethe-weltweit/2421/ gelangen Sie zu dem sehr informativen Aufsatz von Jochen Golz: „Willkommen in Kutaissi. Zum jüngsten Studienband aus einer georgischen Universität“. Es gilt für uns alle, neue Entdeckungen machen zu können.
Der Vortrag wird gerahmt von Musik aus Georgien, dargeboten von Herrn Rezo Tschchikwischwili, einem georgischen Schauspieler, der seit Jahrzehnten in Essen lebt und ein langjähriges Ensemblemitglied des Essener Grillo-Theaters ist. Sie kennen ihn vielleicht auch aus verschiedenen Fernsehfilmen, auch durch Auftritte im ‚Tatort‘.
Zu unserem Freund Prof. Susmann aus Nishni Nowgorod: Er bat mich, ihm die Texte Thomas Manns zu Franz Kafka zu schicken. Aus ‚Gesammelte Werke‘ konnte ich ihm Kopien der Texte ‚Die Vernachlässigten – Franz Kafka‘ (1930) ‚Dem Dichter zu Ehren – Franz Kafka und ›Das Schloß‹‘ (1941) zusenden. Wenn Ihnen noch weitere Texte zum Thema bekannt sind, werde ich diese ihm gerne weiterleiten. Herr Susmann hat sich jedenfalls höflich bedankt. Offenbar arbeitet er an diesem Thema:
Lieber Herr Baumgärtner,
besten Dank für diese Texte. Den aus dem Jahr 1930 kannte ich nicht. Diese Erwähnungen waren für mich in Bezug auf Kafka wichtig. Aber das Thema «Kafka und Th.Mann” ist ein sehr interessantes. Z.B. hat man bemerkt, daß “Der Erwählte” und “Die Verwandlung” eine interessante Konfiguration bilden.
Nochmals danke! Alles Liebe, Valerij Susmann
Feuilleton
An dieser Stelle möchte ich zunächst meine Reihe ‚Literaturtipps von Thomas Mann‘ fortsetzen:
Im Januar 1955 verfaßte Thomas Mann den Nachruf auf den gerade verstorbenen Freund Ernst Penzoldt. Die beiden schätzten sich nicht nur auf der literarischen sondern auch auf persönlicher Ebene, besaßen den gleichen Humor. Mann schreibt, Penzoldt habe ihm kürzlich noch folgende Zeilen aus dem Krankenhaus geschickt: „Es muß recht bedenklich um mich gestanden haben letzthin. Alle waren so verdächtig nett zu mir.“ Und dann: „Nun, auch zu mir sind die Leute jetzt ziemlich nett. Achtzig Jahre sind eine Krankheit zum Tode wie eine andere. Warte nur balde…“
Neben den bekannteren Erzählungen wie „Die Powenzbande“ oder der Novelle „Der arme Chatterton“ hebt er Penzoldts letzte große Erzählung ‚Squirrel‘ hervor: „Ich lasse mir nichts vormachen: ‚Squirrel‘ ist eine poetischere Konzeption als der ganze Krull.“ Der ‚Squirrel‘ ist eine Mischung vom ‚Taugenichts‘ und ‚Kaspar Hauser‘ – gegen Ende fällt gar die Formulierung von der „Trägheit des Herzens“. Thomas Mann brachte es auf den Punkt: „Arbeiten kann jeder, Squirrel aber erfreut… er erfüllt damit eine hohe asoziale Aufgabe.“
Ernst Penzoldt ‚diente‘ in zwei Kriegen als Sanitäter in Lazaretten. Diese Erfahrungen hat er in mehreren Erzählungen verarbeitet und auch damit den Respekt von Thomas Mann erworben. In der Erzählung ‚Zugänge‘ beschreibt Penzoldt distanziert und präzise zugleich all das Elend, das der Mensch dem Menschen antun kann. Es ist ein tiefst humaner Blick auf all die Schwächen der Soldaten im Angesicht des Todes. Polen und Deutsche liegen Seite an Seite, der Tod macht keine Unterschiede. Ein Antikriegsdenkmal in Worten.
Die Erzählung ‚Die Sense‘ ist eine märchenhafte Geschichte über eine nie versiegende Hoffnung. Eine Witwe, die ihren Mann im ersten Krieg verloren hat, erhält die Nachricht, daß nun ihr Sohn im zweiten tot in Rußland geblieben sei. Mit einer Sense über der Schulter als Bäuerin verkleidet macht sie sich eben dorthin auf den Weg und holt ihren lebenden Sohn zurück. Dies wäre allzu schlicht, wenn Penzoldt unterwegs die Erzählung nicht unterbrechen und die Leser unmittelbar ansprechen würde: Jener solle wissen, daß ein Schriftsteller Wunder geschehen lassen könne – was er dann auch tut, im Jahre 1946, in dem noch so viele Menschen auf eben dieses Wunder hoffen. Eine tröstliche Gutenachtgeschichte.
Zum Schluß noch einige Worte zu dem Text: ‚Reisen mit Thomas Mann‘ aus dem Jahre 1949. Gleich eingangs räumt Penzoldt ein, Thomas Mann vor dem Kriege zwar mehrfach begegnet zu sein, daß er aber nie mit ihm gereist sei. Im Text geht es vielmehr darum, wie man in den Nachkriegsjahren über Thomas Mann spricht, sich das Maul zerreißt über ihn, ganz gleich, ob man je eine Zeile von ihm gelesen hat oder nicht. So geschehen bei einem PEN-Treffen in Hamburg. „Dieser Bursche“ habe da ein Edelmann Thomas Mann bezeichnet. Penzoldt hat Mühe, seinen Humor zu wahren. Am Ende ruft er aus: „Wenn die Deutschen nur entfernt so streng mit Hitler und den Seinen ins Gericht gegangen wären, wie jetzt mit ihrem, ich stehe nicht an, das zu sagen, bedeutendsten lebenden Schriftsteller deutscher Sprache, es wäre besser um uns bestellt.“
Noch drei Dinge:
Erstens: Ich wurde vom mehreren Seiten auf den Artikel in der FAZ vom 8.Mai angesprochen mit dem Titel: »Thomas Mann und Edvard Beneš – Mehr als eine moralische Hilfe« von Jan Vondráček. Ich sprach Herrn Peter Lange darauf an, der uns im vergangenen Jahr sein höchst lesenswertes Buch ‚Prag empfing uns als Verwandte‘ vorgestellt hatte. Er machte mich darauf aufmerksam, daß Herr Vondráček Stipendiat im Thomas- Mann-Haus in Los Angeles gewesen war und dieser Artikel seinen verdichteten Forschungsbericht darstellt. (Ist im online-Archiv der FAZ zu finden) Er legte mir auch einen Leserbrief bei (siehe Anhang 2), den er aus der sudentendeutschen Ecke verortet, dem aber dennoch kaum zu widersprechen sei. „Er zeigt einmal mehr, dass Thomas Mann immer auch ein romantischer Idealist geblieben ist. Für den Grad der Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen hatte er keine richtige Antenne; und die »Feinheiten« der tschechoslowakischen Demokratie dürften ihm auch verborgen geblieben sein.“ – Auch dies wollen wir ihm verzeihen.
Zweitens: Unser rühriges Mitglied Jürgen Quasner schickte mir den Link zu einem Welt- Interview mit dem ungarischen Schriftsteller Irme Kertész, darin dessen Begeisterung für unseren Autor: Thomas Mann, keine Frage! 1954 hat Georg Lukácz die ersten Thomas-Mann-Texte nach dem Krieg herausgebracht, die ich verschlang. Das hat mein Leben verändert, „Tod in Venedig“, „Wälsungenblut“…
Und den Ehrenplatz am Ende erhalten die uns wohlbekannten Kataro Fukuma und Michael Fürtjes, die uns im letzten Sommer mit der Konzertlesung „Adorno-Beethoven- Thomas Mann“ begeistert hatten. Sie treten wieder im Woelfl-Haus auf, nicht zu Thomas Mann, sondern mit Ihrer Kreisleriana und zwar schon am 21. August um 18.00 Uhr. Näheres sehen Sie in der Anlage 3. Das wird sicher ein Vergnügen!