Rundbrief Nr. 66

Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

Die „Tage des Exils“ wurden gestern im vollbesetzten Saal des LVR-Landes- museum feierlich eröffnet. Der Schirm- herr Christopher Hope hielt eine beeindruckende Eröffnungsrede. Er sprach von seiner Heimat, von seinem „home“, von Südafrika, dem Land, das er verlassen mußte Anfang der 70er Jahre, das ihm nur unter der Bedingung einen Paß ausstellte, nie mehr zurückzukommen. Sein Paß wurde ihm Ausbürgerungsurkunde. Mit viel Witz beschrieb Hope die traurigen Zustände in seinem Heimatland Südafrika. Wir erhielten eine Geschichtsstunde in literarischer Sprache. Ein Autor, den wir für uns wiederentdecken sollten. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurde er gefragt, wie er heute mit 80 Jahren, nach 50 Jahren im Exil, zu seinem „home“ stehe? Nun, sagte er zögerlich, wie zu einer alten Geliebten, von der er nicht wisse, ob er sie heiraten solle oder die nächste Klippe hinunterwerfen.

Beim Sekt danach sprach ich ihn an, stellte mich vor als Mitglied unserer Gesellschaft, und sagte ihm, daß ich seinen Redetext sehr gerne hätte, seine feine Ironie würde mich an Thomas Mann erinnern. Die Falten seines alten Gesichts begannen zu strahlen.

Die Vertreter der Körber-Stiftung versicherten mir, daß seine Rede publiziert würde, über welches Medium sei noch unklar. Ich werde sie nachreichen.

Nun zu unserer Veranstaltung am 10. September im Haus an der Redoute, zum Vortrag von Prof. Friedhelm Marx „Thomas Mann im amerikanischen Exil“. Es liegen inzwischen 22 Anmeldungen vor, die Hälfte davon sind nicht Mitglieder unseres Ortsvereins. Wir sollten dies als Chance begreifen. Ich bitte einige Mitglieder schon um 18.30 Uhr vor Ort zu sein, also eine halbe Stunde vor Beginn. Wir bekommen den Saal sehr günstig, müssen aber selbst die Stühle rücken, den Eintritt kassieren, Bücher verkaufen, etc. Da der Platz im Haus an Redoute beschränkt ist, bitte ich darum, sich anzumelden, da ich niemanden wegschicken will.

Stammtisch

Nun endlich will ich von unserem Stammtischabend im Hause der Schlaraffia berichten. Wir wurden begrüßt von unserem Gastgeber Herrn Wolfgang Koehler, der die Gelegenheit nutzte, Werbung zu machen für seine Gesellschaft, die noch älter ist als Thomas Mann und in der sich Nachwuchssorgen breit machen. Er stellte sie vor als einen liberalen, weder konfessionell noch politisch gebundenen (Männer-) Verein, der dem Humor zugeneigt ist.

Es waren 23 Mitglieder gekommen – mehr als zur Jahresmitgliederversammlung! Wir hatten den Raum für uns, störten also keine anderen Gäste, und so entwickelte sich die Veranstaltung weg vom Stammtisch hin zu einem Vortragsabend, was keineswegs schlecht war, da es allerhand zu berichten gab, insbesondere aus Davos von der Tagung: Hundert Jahre Thomas Manns Der Zauberberg – eben just im Ort des Geschehens der Romanhandlung.

Patricia Fehrle faßte die Vorträge knapp und bündig zusammen, gab aber auch zu verstehen, sich auf deren Erscheinen im Jahrbuch zu freuen, da deren Inhalt zuweilen sehr komplex gewesen sei und ein Nachlesen sich sicher lohnt. Was man sich gönnen sollte – und hier geriet Frau Fehrle ins Schwärmen – ist ein Aufenthalt im Retrohotel Schatzalp. Ich werde dies jedenfalls in nicht allzu ferner Zukunft tun, allerdings ohne die Tage in einem klimatisierten Vortragssaal zu verbringen.

Frau Fehrle übergab dann das Wort unserem „Musiker“ Bernhard F. Schoch, der über das musikalische Begleitprogramm berichtete und insbesondere auf den Vortrag von Dr. Robert Grossmann einging. Grossmann ist der Komponist der Zauberberg-Oper, die 2002 in Chur uraufgeführt wurde. Zehn Jahre hatte er daran gearbeitet, über aller Versunkenheit in das Projekt scheiterte seine Ehe, um die Uraufführung möglich zu machen, schoß er privates Kapital hinzu und hatte am Ende nur sehr mäßigen Erfolg. Herr Schoch war voll des künstlerischen Mitgefühls.

Herr Pfeifer berichtete dann von einer privaten Reise nach Davos, wozu er eine Reihe von herrlichen Landschafts- und Architekturaufnahmen präsentierte. Da die Zeit schon fortgeschritten war, konnte er seinen Vortrag zur Entstehungsgeschichte des Romans und seines persönlichen Verhältnisses zum Zauberberg leider nicht zu Ende bringen.

Ich hatte noch Gelegenheit, mit unseren Übersetzern der Hommage à Thomas Mann zu sprechen. Die Edition dieses Werks wird noch in diesem Jahr in Angriff genommen.

Viele Dinge sind zu klären, Urheberrechtsfragen, Finanzierung, etc. Ziel ist es, dieses Buch zum 150.- Geburtstag Thomas Manns vorliegen zu haben und eine entsprechende Veranstaltung hierzu auf die Beine zu stellen.

Unser nächster Stammtisch wird im Gasthaus Nolden in Bonn-Endenich stattfinden, und zwar am Donnerstag, den 14.November um 18.00 Uhr. Bitte vormerken, weitere Details folgen.

Georgien

Hier gibt es zwei erfreuliche Nachrichten zu verkünden.

Erstens: Die fünf Paten für die georgischen Mitglieder haben sich gefunden – schönen Dank dafür.

Zweitens: In Lübeck fand sich eine Frau aus Georgien, die dort mit einem Herrn Hagenström verheiratet ist – und ich hatte immer gedacht, diesen Namen hätte Thomas Mann frei erfunden. Und was noch schöner ist: Unsere Natia darf die zur Tagung bei Hagenströms übernachten!

Feuilleton

Gemeinsam mit unserem Ortsvereinsmitglied Jutta Hartmann besuchte ich dieser Tage Polling. Sie hatte berichtet, daß dort ein Doktor-Faustus-Rundweg eingerichtet sei, diesen galt es zu besuchen. Wir trafen uns dort mit Dr. Fritz Wambsganz, der eben jenen Rundweg eingerichtet hat und dafür sorgte, daß Faltblätter in der Touristen-Information der Gemeinde ausliegen.

Mit dem Ort muß ich beginnen: Er hat kaum 2000 Einwohner und der Zug von München nach Garmisch rauscht seit Jahren an ihm vorbei. Man kann nicht mehr anreisen, wie weiland Zeitblom oder Leverkühn, weshalb wir in Murnau übernachteten.

Dann zur Klosteranlage: Sie wurde zu Napoleons Zeiten säkularisiert, aber die gewaltigen Gebäude sind noch vorhanden, werden von Behörden genutzt, ein Pflegeheim wird eingerichtet, etc. Die Klosterkirche nimmt sich aus wie eine Kathedrale, im Äußeren zurückhaltend gestaltet, im Innern schwülstig Barock – nicht mein Ding.

Dann der Hof der Familie Schwaiger, im Roman der Schweigestills: Er ist alles andere als ein gewöhnlicher Bauernhof, wie ich ihn im Sinn hatte: Er war der Maierhof des Klosters, geht wie die gesamte Anlage auf das 14. Jahrhundert zurück und hat gewaltige Ausmaße. Der Hof an sich beinahe so groß wie ein Fußballfeld, zwei altersschwache Linden brechen seine Größe. Alles ist in Privatbesitz eines wohlhabenden Anwalts, dessen Hobby es ist, alte Mercedes-Sportwagen zu restaurieren. Genauso liebevoll und denkmalgerecht geht er mit den alten Gebäuden um. Neben der riesigen Scheune, heute Werkstatt, gibt es zwei Wohnhäuser: Das frühere Bauernhaus und das Haus des Abtes, in dem sich der uns bekannte Nike-Saal befindet. Er ist heute das Wohnzimmer einer jungen Familie, den Mietern dieser Etage des Abthauses. Dr. Wambsganz ermöglichte uns den Zugang in den besagten Saal, der nicht größer ist, als unser aller Wohnzimmer – allein auf ein Kreuzrippengewölbe müssen wir zuhause verzichten.

Ein Spaziergang hinaus zum Klammerweiher am Fuße des Buchel, eines bewaldeten Höhenrückens, lohnt sich allemal. Insgesamt ist es kein Wunder, daß Thomas Mann dieser Ort mit seiner übergroßen Klosteranlage im Gedächtnis blieb nach ersten Besuchen im Jahr 1903.

Ich erlaube mir noch, Sie auf einen kleinen literarischen Ausflug ins nahe Murnau mitzunehmen. Hier lebte und schrieb der Diplomatensohn Ödön von Horváth im Hause seiner Eltern in den Jahren 1923 bis 1933. In diesen Jahren wurde er bekannt als Autor provokanter Theaterstücke, weshalb der Freistaat Bayern ihm, dem gebürtigen Ungarn, 1928 die Einbürgerung verweigerte. Große Popularität und großen Haß zog er endgültig 1930 auf sich mit der Veröffentlichung seiner grandiosen Satire: „Der ewige Spießer“. Als 1933 Hitlers erste Rundfunkansprache auch in Murnau im Gasthof zur Post aus den Lautsprechern klang, bat Horváth die Wirtin, den Schreihals doch auszudrehen, worauf er von einigen SA-Leuten sehr unfreundlich hinausbefördert wurde.

Diese Dinge sind im Schloßmuseum Murnau neben den Werken von Münter, Macke, Marc und Kandinsky sehr schön aufbereitet. Und 1933 begann eben Horváths Leben in Flucht und Vertreibung, womit wir wieder beim Anfang des Rundbriefs angekommen sind. 1937 erschien bei Allert de Lange in Amsterdam sein großartiger Roman „Jugend ohne Gott“, der Geschichte eines Lehrers im dritten Reich, der sich im Unterricht erlaubte zu sagen: „Neger sind auch Menschen.“ Die Empörung richtete sich nicht gegen das N-Wort, sondern gegen dieses liberale humanistische Gefasel. Thomas Mann soll in einem Brief an Carl Zuckmayer geschrieben haben, er halte dieses Buch als das beste der letzten Jahre.

Im Mai 1938 macht Horváth in Paris die Bekanntschaft mit Klaus Mann („Netter, seltsamer Mensch“ KM, Tagebuch) bevor er ein paar Tage später auf den Champs Elysées von einem Baum erschlagen wird. Dazu Klaus in seinem Tagebuch: „Ihm kam der Tod. NEID.“

Es wäre schön, wenn wir uns Dienstag in acht Tagen im Haus an der Redoute sehen würden.

Es grüßt herzlich Ihr Peter Baumgärtner