Rundbrief Nr. 72

Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

bevor wir zurückschauen, schauen wir nach vorne in die übernächste Woche hinein: Am kommenden Donnerstag, den 3. April 2025 wird, wie bereits mehrfach angekündigt, Oliver Fischer sein jüngst erschienenes Buch »Man kann die Liebe nicht stärker Erleben« vorstellen. Er erzählt darin die Geschichte der Beziehung Thomas Manns zu Paul Ehrenberg, es ist das Ergebnis jahrelanger Recherchearbeit des Autors. Oliver Fischer ist der Vorsitzende des Ortsvereins Hamburg und zugleich einer der Vizepräsidenten unserer Gesellschaft.

Die Lesung findet statt in Der andere Buchladen in Köln, Ubierring 42, um 19.00 Uhr. Es werden 10.- Euro Eintritt erhoben. Das kleine Plakat, das ich hierzu entwickelt habe, finden Sie im Anhang. Ich freue mich, daß wir mit dieser Buchhandlung einen weiteren Partner für unsere Veranstaltungen gefunden haben. Die Anzahl der dort verfügbaren Sitzplätze ist beschränkt. Bitte melden Sie sich direkt dort an unter: suedstadt@der-andere-buchladen-koeln.de.

Thomas Manns Brief an den Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Bonn wird uns – wie bereits mehrfach angekündigt – am 13.Mai im Uni-Club von Bernt Hahn gelesen. Zu Gast sein wird auch der russische, in der Schweiz lebende Schriftsteller Michail Schischkin, der, ähnlich wie Thomas Mann zu seiner Zeit, die Ehre und das Ansehen seiner Muttersprache und der Literatur seiner exilierten Landsleute retten will. Die Vorbereitungen zu dieser Veranstaltung sind noch voll im Gange. Einen elektronischen Flyer habe ich bereits konzipiert – Sie finden ihn im Anhang.

Nun der erfreuliche Blick zurück auf den Vortrag von Dr. Michael Navratil im Haus an der Redoute in Bad Godesberg. Der Titel des Vortrags

Ironischer Elitarismus. Menschlicher und erzählerischer Rang in Thomas Manns Der Erwählte und Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

war uns allen etwas rätselhaft erschienen. Wie würde Navratil den Thomas Mann oft unterstellten Elitarismus mit seinem menschlichen Rang zusammenbringen? Welche Rolle spielt seine Ironie dabei? Er erinnerte daran, daß die relative politische Enthaltsamkeit innerhalb der Fiktion einerseits und das politische Engagement des Autors in der Realität andererseits als zwei Seiten derselben Medaille zu betrachten seien. Und er fuhr fort, daß die beiden letzten Romane Thomas Manns nicht nur seine humoristischsten sind und als Ausdruck des ästhetischen Eskapismus angesichts einer verzweifelten Weltlage anzusehen seien, sondern daß man in dieser gesteigerten Ironie und zum Teil genüsslichen Frivolität auch eine gewandelte Form einer demokratischen Ästhetik erblicken könne, eben als Absage an Dogmatismus und starre Weltanschauungen. Die subversive Ironisierung wird zu einer genuin künstlerischen Gestaltungsform demokratischen Denkens.

In dieser äußersten Verknappung des Vortragsinhalts wird dessen Aktualität sichtbar. Der ganze Vortragstext ist im Jahrbuch 2023 nachzulesen. Das zahlreich erschienene Publikum dankte mit warmem Applaus. Die Art, wie Herr Navratil seine komplexen Gedanken sprachlich vermitteln kann, wurde allerseits bewundert. Ich habe ihn sogleich für das nächste Frühjahr zu einem weiteren Vortrag eingeladen. Wer noch mehr von seinen germanistischen Tiefenbohrungen lesen möchte, kann sich sein neues, bei De Gruyter erschienenes Buch: Kontrafaktik der Gegenwart. Politisches Schreiben als Realitätsvariation bei Christian Kracht, Kathrin Röggla, Juli Zeh und Leif Randt besorgen.

Diese Woche tagte auch der Redaktionsrat unseres Buchprojekts Frankreichs Hommage an Thomas Mann in unserem „Dienstsitz“ und meinem Büro in der Wurzerstraße. Zugegen waren die beiden Übersetzer Axel Volhard und Thomas Schmalzgrüber, wie auch Thomas Kempken, der uns das Portal zu einem Verlag eröffnete, der selbst ertellte Bücher auf Bestellung produziert. Wir klärten die Typographie, den Umbruch, die Umschlaggestaltung und manches andere mehr, und gaben dann die Bestellung für ein Probeexemplar auf. Wir sind sehr gespannt! 70 Jahre nach seinem Erscheinen auf Französisch wird es zum 150. Geburtstag Thomas Manns auf Deutsch verfügbar sein, die preiswerte Taschenbuchausgabe für zwölf Euro, gebunden für zwanzig.

Stammtisch! Wie sich die Teilnehmer der Mitgliederversammlung sicher erinnern können: Wir haben beschlossen, den Stammtisch zu verstetigen, uns alle zwei Monate zu treffen, das nächste Mal am 10. April um 18.00 Uhr im Delikart im Landesmuseum Bonn. Ich bitte darum, mir bis spätestens 6. April Anmeldungen zu schicken, damit ich einen entsprechend großen Tisch bestellen kann.

Feuilleton

Bei der Einladung zur Mitgliederversammlung habe ich auf die jüngst erschienene Neuausgabe von Thomas Manns Rundfunkansprachen während des Krieges hingewiesen.

Ich gestehe, diese nun erstmals vollständig gelesen zu haben und, wie so oft, von der Macht seiner Sprache beeindruckt gewesen zu sein.

In seiner Ansprache an die „Deutschen Hörer“ vom 28. Februar 1944 erinnert Thomas Mann an die frühen Schriften Heidens zur Hitlerei und macht auf eine Neuerscheinung in Amerika aufmerksam: Der Führer, Hitler’s Rise to power.

Herrn Heiden sind wir schon einmal begegnet im Verlag von Emil Oprecht in Zürich, in dem 1937 Thomas Manns Brief an den Dekan der philosophischen Fakultät Bonn erschien, und – schon drei Jahre zuvor, 1934 – die erste Biografie Adolf Hitlers. Nun, neugierig genug, besorgte ich mir die 2016 erschienene Biografie Konrad Heidens, verfaßt von dem wohlbekannten Journalisten Stefan Aust. Titel: Hitlers erster Feind.

Konrad Heiden, Jahrgang 1901, wuchs in München auf und hörte schon 1921 Hitler bei einer der ersten Nazi-Versammlungen reden. Er erkannte schnell, daß all der Unsinn, den er verzapfte, mit einer großen Gerissenheit gepaart war. Fortan bleibt er Hitler auf den Fersen, beobachtet, wie ungeschickt sich dieser Prolet in vornehmen Kreisen bewegt. In Gegenwart von Winifried in Bayreuth habe er das Gesicht eines Staatsanwalts bei einer öffentlichen Hinrichtung gemacht. Heiden nahm mit Entsetzen wahr, daß das Hohngelächter über die politischen Morde jener Jahre juristisch nicht geahndet wurden. Kurt Eisner 1919, Matthias Erzberger 1921 – ihm wurde der „Dolchstoß“ zur Last gelegt – wie auch Walter Rathenau, der im Juni 1922 ermordet wurde.

Zum Jahrestag der Ermordung Walter Rathenaus hatte Konrad Heiden 1923 mit der Arbeitsgemeinschaft republikanischer Studenten eine Gedenkveranstaltung organisiert, zu der er keinen geringeren als Thomas Mann als Redner gewinnen konnte. Dieser sprach unter der Überschrift: Geist und Wesen der Deutschen Republik – Dem Gedächtnis Walter Rathenaus.

Sich in diesen aufgewühlten Zeiten öffentlich zur Republik zu bekennen, bedurfte es großen Muts. Man bedenke: Die Franzosen waren im Januar ins Ruhrgebiet einmarschiert, die Inflation nahm Anlauf – der Preis für ein Kilo Brot übersprang gerade die 10.000-Reichsmark-Hürde und Thomas Mann steckten noch die heftigen Anfeindungen in den Knochen, die er nach seiner Rede Von Deutscher Republik im Oktober 1922 hatte ertragen müssen. Jene ist auch die bekanntere und häufig publizierte, nach der Rede vom Juni 1923 muß man suchen.

Thomas Mann räumt gleich zu Anfang ein, daß er diese Rede nicht aus eigenem Verlangen, sondern jugendlichem Andringen nachgebend halten würde. Sein Ton ist verhalten, und dennoch beharrt er darauf, daß die deutsche Innerlichkeit nicht im Widerspruch zur demokratischen Staatsform steht, vielmehr Fundament sein könnte menschlicher Ganzheit und Vollständigkeit wie sie die Republik verkörpert. Die Innerlichkeit, die Bildung des deutschen Menschen, das ist: Versenkung; ein individualistisches Kulturgewissen; der auf Pflege, Formung, Vertiefung und Vollendung des eigenen Ich … gerichtete Sinn;… Das klingt alles fürchterlich altmodisch, ist mir aber sehr nah. Für ihn folgt daraus, daß die Einheit von Staat und Kultur … den Grundgedanken der Republik ausmacht… Auch da hat er mich.

Thomas Mann scheut sich in der Rede nicht, das Verhalten der französischen Politik als vollkommen schlecht zu bezeichnen – die Besetzung des Rheinlandes – , ohne dabei in Revanchismus zu verfallen, vielmehr sieht er die Gefahr, daß die deutsche Jugend dadurch dem politischen Obskurantismus, das heißt: der Reaktion in die Arme getrieben wird. – Um am Ende die jungen Leute, die ihn zu der Rede aufgefordert haben, zu ermutigen: Die republikanische Jugend Deutschlands begreift, daß Humanität die Idee der Zukunft ist, diejenige, zu der Europa sich durchringen, mit der es sich beseelen und der es leben muß – wenn es nicht sterben will.

Konrad Heiden hat diesen Auftrag angenommen.

Im November 1923 Hitlers Putschversuch. Dessen feige Flucht und das milde Luxus-Urteil, das er bekam, verfolgt Heiden aus der Nähe und verfaßt Reportagen darüber, noch nicht wissend, daß er zehn Jahre später all dieses Material für die erste Biografie des Diktators gebrauchen konnte. Aber er ahnte vieles. Spätestens nach dem Erscheinen von Mein Kampf mahnte er, daß Hitler alles genauso meine, wie er es von Heß hat aufschreiben lassen. Und nach der „Nacht der langen Messer“, der Nacht der Ermordung Röhms und der vollständigen SA-Führung, wußte er sich bestätigt.

Wer die entsetzlichen Vorgänge in Deutschland richtig verstehen will, darf nicht vergessen, daß der Beruf von Mördern das Morden ist. Er muß sich vor Augen halten, daß das Element von Kriechtieren der Sumpf ist. Und vor allem muß er stets daran denken, daß das Geschäft von Lügnern das Lügen ist.

Heiden flieht zunächst in die Schweiz und ist dann bis 1935 im Saarland als Redakteur tätig, leidenschaftlich damit beschäftigt, bei den Saarländern ein Bewußtsein von den Vorzügen Frankreichs zu wecken. Vergeblich, wie man weiß. Dann die Flucht nach Paris, wo er mit Klaus Mann in intensivem Kontakt ist, und immer wieder Zürich, wo er von Oprecht Unterstützung erfährt, und auch die Gelegenheit bekommt, die besagte erste Hitlerbiografie zu veröffentlichen. Dies macht ihn nicht nur in der noch freien westlichen Welt bekannt, sondern auch in Berlin. Er bekommt die zweifelhafte Ehre, auf die gleiche Ausbürgerungsliste wie Thomas Mann gesetzt zu werden.

1939 scheint seine Flucht vor den heranrückenden Deutschen in einem südfranzösischen Nest in eine Sackgasse geraten zu sein. Thomas Mann, als Mitglied des Rescue- Committee, setzt sich für ihn ein, und daher weiß auch Varian Fry, wen er zu den ganz besonders gefährdeten Personen rechnen muß.

Nach unendlichen Strapazen erreicht er Lissabon, wo er bis Oktober 1940 warten muß, bis er auf einem Frachtschiff für relativ kleines Geld nach Amerika ausreisen kann. Auf- grund seiner Bücher ist er dort sofort ein gefragter Mann, und in Berlin wird jeder Vortrag registriert, den er in den USA hält.

Ein zentraler Satz, geschrieben 1936 zur Neuauflage von „Geburt des Dritten Reiches“ lautet: „Es – das Buch – sucht zu schildern, wie eine Welt unterging, weil sie der eigenen Kraft nicht mehr vertraute, an die volle Ruchlosigkeit des Gegners nicht glaubte, mit der Treulosigkeit Verträge und mit der Vernichtung Frieden schloß.“

Wenn dieser Satz nur nicht so wahnsinnig aktuell wäre.

Herzlich Grüße Ihr Peter Baumgärtner