Rundbrief Nr.79

Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

ich bleibe meinem Motto treu, der Vorschau den Rückblick voranzusetzen.

Am 14. Oktober 25beehrte uns Dr. Holger Pils im Haus an der Redoute mit der Vorstellung seines Buches »Liebes Fräulein Herz«, dem von ihm herausgegebenen Briefwechsel mit Thomas Mann. Sein Vortrag war mehr als eine ausführliche Zusammenfassung seines ausführlichen Nachworts. Kein Buch kann die bescheidene Begeisterung übermitteln, mit der Holger Pils ans Werk ging, die über 300 meist handgeschriebenen Briefe Thomas Manns entzifferte und uns zugänglich machte. Eineinhalb Stunden durften wir in das nur scheinbar private Leben Thomas Manns Einblick nehmen, das ein ganz und gar literarisches und politisches war. Pils ersparte uns nicht die zuweilen gereizten (Über-) Reaktionen Thomas Manns auf diverse Ansinnen von Ida Herz, und gönnte uns den Vortrag ganz gegenteiliger Briefe, wie jenen vom 15. Oktober 1954 zu ihrem 60. Geburtstag, in dem er in herzlich-rührender Weise ihren gemeinsamen Weg durch diese unruhigen Zeiten Revue passieren ließ und hervorhob, daß sie ihm immer so wohlgesetzte Briefe schreibt, in besserem Deutsch als mancher Gelehrter es aufbringt.

Daß Ida Herz weit mehr war als nur die Archivarin des Zauberers, war bereits Frank Walter Steinmeier bei seiner Festrede im Juni in Lübeck aufgefallen: Er zitierte in einer Passage über die Josephsromane aus dem gerade erschienen Buch von Holger Pils wie folgt:

Die Freundin Ida Herz schreibt ihm [Thomas Mann] im Dezember 1933: Was […] uns deutsche Juden an Ihrem Werk so besonders rührt: es ist für uns die Inkarnation der liebenden Verschmelzung des deutschen Geistes mit dem jüdischen.

Ich habe Ihnen die vollständige Rede des Bundespräsidenten angefügt. Man möge sie all jenen vorlegen, die der Ansicht sind, daß wir natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem haben – offenbar mit fremdländischen Gesichtern – und glauben, dafür nicht um Entschuldigung bitten zu müssen.

Tags darauf, am 15. Oktober 2025 hatte ich das Vergnügen, bei der Zauberberg-Lesung von Frau Barbara Teuber im Haus der Theatergemeinde zugegen zu sein. Sie las das erste und das letzte Kapitel des Romans, steckte damit den Rahmen ab von der Anreise eines einfachen jungen Menschen nach Davos-Platz bis zum Ende des gereiften Mannes im Matsch der Westfront. Im vollbesetzten Raum lauschte man mit angehaltenem Atem.

Nun der Blick nach vorne.

Thomas Mann und der Rotary-Club:
Zu diesem Thema wird uns Herr Haukohl am
4. November um 18.00 Uhr die verfügbaren Fakten vortragen, vom Gründungsmitglied 1929, mit dem sich die Münchner Rotarier schmückten, bis zum grußlosen Rausschmiß 1933. Eine kurze, aber vielsagende Episode im Leben Thomas Manns und für die geistige Verfaßtheit des Münchner Bürgertums. Die Veranstaltung wird online stattfinden. Den Zugangslink habe ich in einer beigefügten, offenen Word-Datei angehängt, damit Sie sich die entsprechenden Zahlen- und Zeichenfolgen leicht in ihren Browser ziehen können. Ein Probelauf hat bereits erfolgreich stattgefunden. Ich werde Herrn Haukohl im Sitz unseres Vereins, in meinem Büro in der Wurzerstraße 106, um viertel vor sechs begrüßen. Es wäre schön, wenn mir fünf oder sechs Personen Gesellschaft leisten könnten – ungefähr so viele Menschen finden Platz und können von unserer Kamera erfaßt werden – um Herrn Haukohl in Lübeck ein Publikum als Gegenüber präsentieren zu können. Ich bitte um Rückmeldung, wer Lust hat zu kommen.

Dann, am 11. November ’25 um 19.00 Uhr im Haus an der Redoute wird Prof. Dr. Barbara Beßlich ihre Publikation Der Biograph des Komponisten –   Unzuverlässiges Erzählen in Thomas Manns  Roman Doktor Faustusvorstellen, wie ich dies bereits im Rundbrief Nr.76 angekündigt hatte – und dies allen Karnevalsumtrieben zum Trotz.

Frau Beßlich ist in Bad Godesberg aufgewachsen und ist seit 2008 als Nachfolgerin von Dieter Borchmeyer Professorin an der Uni Heidelberg. Ich habe sie in Lü-beck als begeisterungsfähige Rednerin erlebt, die auch schwierige Zusammenhänge faßbar erläutern kann.

Das Buch ist eine universitäre Publikation, es ist ein narratologischer Text, er nimmt die Erzähltechnik Thomas Manns in den Fokus und zieht daraus inhaltliche Rückschlüsse. Im Mittelpunkt steht die Erzählerfigur Serenus Zeitblom, der Biograph des Komponisten, dessen Halbwissen uns Leser zum Hinterfragen des Erzählten animiert, uns schlauer, wissender macht als der Erzähler selbst ist.

Diese Unzuverlässigkeit des Erzählers Zeitblom wird als literarischer Kunstgriff beschrieben, als Metaebene über der Erzählhandlung, als Ausweis der Modernität Thomas Manns. Es wird ein erkenntnisreicher Abend für uns werden, bei dem Frau Beßlich uns sicherlich auch von ihrem aktuellen Tätigkeitsschwerpunkt berichten wird, von ihrer Beschäftigung mit der Pariser Rechenschaft aus 1926. Hierzu wird im nächsten Sommer von ihr federführend organisiert ein Seminar in der Sorbonne, Paris, stattfinden, über dessen Ergebnis sie uns vielleicht im nächsten Herbst berichten wird.

https://www.gs.uni-heidelberg.de/de/thomas-manns-pariser-rechenschaft-1926

Bei unserem letzten Stammtisch berichtete uns Herr Matheisen von seiner Reise ins Baltikum, von seinem Besuch im Thomas Mann Haus in Nidden, begeistert, angetan von Landschaft und Leuten. Es kam die Anregung, eine Gruppenreise dorthin von und für unserem Ortsverein aus organisieren. Eine großartige Idee! Rufe aber laut und deutlich: Freiwillige vor! – Ich kann eine solche Vorbereitung nebenberuflich nicht auch noch auf den Weg bringen.

Unser nächster Stammtisch wird turnusgemäßam 11.Dezember stattfinden. Wer hierzu vorweihnachtliche Ideen einbringen möchte, ggf. auch einen anderen Treffpunkt als das Delikart, möge sich bei mir melden. Noch ist Zeit.

GEORGISCHE THOMAS MANN GESELLSCHAFT

Unsere Freundin Natia Tscholadze berichtet mir von der sehr schwierigen Situation in ihrem Lande, von dessen innerer Zerrissenheit, von autoritären politischen Strukturen, in denen Menschen von Geist kaum gelitten sind. Das Mißtrauen der Menschen untereinander ist groß. Natia schrieb mir:

Es gibt einige, die offen das sogenannte Regime unterstützen, andere, die sich klar dagegenstellen – und die gefährlichste Gruppe sind jene, die schweigen. Jede Begegnung endet mit Konflikten, Diskussionen, Spannungen. Kurz gesagt, lieber Peter, wir blicken im Moment überhaupt nicht durch, was sich hier wirklich abspielt.

Und dennoch hat sie zum 150. Geburtstag Thomas Manns eine Tagung organisiert. Sie steht unter der Überschrift: „Thomas Mann in der georgischen Literaturkritik“ und finden in der Akaki Tsereteli Universität in Kutaissi statt am 15. und 16. November.

Neben zehn Referentinnen und Referenten aus Georgien – darunter auch Frau Dr. Natia Tcholadze – wird von deutscher Seite Prof. Dr. Hans Wißkirchen online teilnehmen und Prof. Dr. Elisabetta Galvani aus Napoli persönlich. Natia würde sich freuen, noch weitere Gäste aus Deutschland begrüßen zu dürfen. Die Tagung wird in erster Linie in deutscher Sprache geführt.

Ich habe ihr versichert, daß wir mit größtem Respekt ihr tapferes Einstehen für die Freiheit des Geistes verfolgen. Möge dieser seine Strahlkraft entfalten, auch im sogenannten freien Westen ist er unter größtem Druck. Zusammenhalt ist gefragt.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich Ihr Peter Baumgärtner