Dr. h.c. Hanjo Kesting, Hamburg: “Musik, Dämonie und Deutschtum – Aspekte des Doktor Faustus“

Dr. h.c. Hanjo Kesting, Hamburg: “Musik, Dämonie und Deutschtum – Aspekte des Doktor Faustus“

“Musik, Dämonie und Deutschtum – Aspekte des Doktor Faustus“…
So war der beinahe zweistündige Vortrag von Herrn Dr. h.c. Hanjo Kesting überschrieben.
Er beließ es aber keineswegs dabei, sich auf Doktor Faustus zu beschränken. In dem klar strukturierten Vortrag hob er hervor, daß es sich bei diesem Roman um eine Lebensbilanz des Autors handelt. Alle großen Themen des Romans sind Lebensthemen von Thomas Mann: Die Künstlerbiographie, die Musik, Goethe, Faust, all diese Motive begleiteten ihn durch sein Leben, zu allen gibt es verschiedenste, oft widersprüchliche Aussagen von Thomas Mann. Und der Romancier sah nicht seine Aufgabe darin, diese Widersprüche aufzulösen, sondern auf die Vielschichtigkeit all dieser Lebenswelten hinzuweisen, die Vieldeutigkeit immer wieder zum Prinzip zu erheben. Die Spannung zwischen einer Neigung zur spätromantischen Innerlichkeit und einem radikalen Geist der Aufklärung, zwischen der Musik mit dämonischem Zugriff auf die Seele des Menschen, und dem analytisch denkenden Verstand hatte der Autor ein Leben lang auszuhalten. Von der Musik von Richard Wagner, von diesem stimulierenden, erotischen und todessehnsüchtigen Rauschmittel zugleich, konnte er ein Leben lang nicht lassen. In seiner reaktionären Schrift ‚Betrachtungen eines Unpolitischen‘ beschreibt er alle Befindlichkeiten eines vorgestrigen Deutschen, die er in seinen späteren Schriften – und im Faustus insbesondere – mit dem scharfen Skalpell seiner Ironie religionsgeschichtlich, psychologisch und politisch zer- und widerlegt.

Es war faszinierend, den weiten Gedankenbögen Kestings zu folgen. Eine profunde Kenntnis des Werks von Thomas Mann erlaubte ihm den gedanklichen Zugriff auf viele Details und den assoziativen Umgang mit dieser Faktenfülle, und dies alle in einer Sprache, der wir Dilettanten folgen konnten und die im germanistischen Elfenbeinturm sicher nicht wohl gelitten ist.

Mir aber, als Laie, der in der Literatur auch eine Schule des dialektischen, nie widerspruchsfreien Denkens sucht, war ein solcher Vortrag viel lehrreicher, als dickleibige Fußnotenbände zum jedem Werk. Fragen blieben natürlich offen und es war ein Trost, im Nachgespräch zu erfahren, daß Herr Kesting plant, all seine Schriften zu Thomas Mann in einem Band zusammenzufassen und zu veröffentlichen. Vielleicht erfahren wir darin auch, weshalb Beethoven, dessen Musik im Faustus eine herausragende Rolle spielt, im Vortrag kaum Erwähnung fand. Auch wäre ich gespannt auf Belege für die These der ödipalen Rache an seiner Vaterfigur Goethe in der mehrfachen Maskierung im ‚Tod in Venedig‘ oder in der unmittelbaren Schilderung in der ‚Lotte in Weimar‘. Es ist keine Zerstörung der Vaterfigur, wenn er Goethe nach einem Traume von einer nackten Jagdgöttin mit einer Erektion erwachen läßt, und ein schwieriges Verhältnis zum eigenen Sohn hatte Thomas Mann sehr wohl auch. Nein,  es ist gerade die Ambivalenz, die Vieldeutigkeit seiner Goethedarstellung, die diese zu einer Liebeserklärung werden läßt: Der mahnende Prophet und der zechende Trinker, der Monarchist und der Antinationalist, der Großzügige und der Gestrenge – alles Widersprüche die auch Wesen und Leben Thomas Manns prägten und die den Unterschied ausmachen zwischen einem weltfernen Idealisten und einem Humanisten.

Peter Baumgärtner

Lieber Herr Baumgärtner,


Zunächst, die Zusammenfassung ist Ihnen glänzend gelungen, ich finde meine Aussagen darin in bester und ideal komprimierter Weise wieder. Dabei wäre im Einzelnen noch viel dazu zu sagen.

Die »Betrachtungen« nennen Sie eine »reaktionäre Schrift«, völlig zu Recht, ich selbst habe mich nicht gescheut, manche Aussagen darin mit Goebbels zu vergleichen, so wird es Sie möglicherweise überrascht haben, dass ich gerade diese »Betrachtungen« in der Schlussrunde als Antwort auf eine Frage aus dem Publikum in gewisser Weise verteidigt habe: als das bestechendste Buch des Konservativismus, das wir in Deutschland haben, und gerade in einer Zeit, in der die Globalisierung in allen ihren Erscheinungsformen über uns gekommen ist, ist es von neuer Aktualität. Allerdings muss man es produktiv weiterdenken und nicht jenen überlassen, die nur den Rückwärtsgang einlegen wollen.

Zum »Tod in Venedig« als Zeugnis der ödipalen Rache an der Vaterfigur Goethe will ich hier nur anmerken, dass es den älteren Plan einer Goethe-Novelle gab in der Absicht, Goethe »in seiner Entwürdigung« zu zeigen. Dieser Grundgedanke immerhin wurde in den »Tod in Venedig« hinübergerettet. Ich würde nicht so weit gehen, in Aschenbach eine Maske Goethes sehen zu wollen.

Nur in einem Punkt sehe ich mich nicht ganz verstanden oder habe es versäumt, deutlich genug zu sein: den Goethe in »Lotte in Weimar« halte ich nicht für den Versuch einer Goethe-Destruktion, sondern weit eher für den Versuch einer unio mystica mit Goethe. Sie haben völlig Recht mit der Feststellung, dass dieser Goethe eher eine Liebeserklärung ist, angetrieben von dem Verlangen, Weimar und Goethe anno 1937 nicht den Nazis zu überlassen. Allerdings mit dem Ergebnis, dass dieser Goethe, auch im Urteil seiner Umwelt, viele Züge von Thomas Mann trägt.
Mit besonderer Freude habe ich gelesen, dass Sie dem Vortrag das Kompliment machen, in mancher Hinsicht lehrreicher zu sein als viele dickleibige Fußbotenbände. In der Tat gebe ich mir Mühe, mich verständlich auszudrücken. Bei meinem Freund Klaus Harpprecht, dessen großes Thomas Mann-Buch ich in der Entstehung über viele Jahre mitverfolgt und mitgelesen habe, habe ich es erlebt, dass ihm nach Erscheinen das abwertend gemeinte Etikett »journalistisch« aufgedrückt wurde. Eher hätte man anmerken müssen, dass es besonders gut geschrieben war.
….
Zum Schluss will ich nicht versäumen, mich für alle Fürsorge zu bedanken, die ich in Bonn empfangen habe, nicht zuletzt von Ihrer Seite.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr Hanjo Kesting