
Prof. Dr. Hans Vaget, Northampton Mass./USA: “Joseph der Amerikaner“
Nach einem Überblick auf den Romanzyklus legte er seinen Schwerpunkt auf den vierten Band und hob zwei Aspekte hervor. Zunächst lenkte er unseren Blick auf das Fünfte Hauptstück: Thamar; auf jene sechs Kapitel also, die auch als ausgelöste Novelle erschienen sind und die das Bild einer sehr selbstbewußten und entschiedenen Frau zeigen, die kein Mittel scheut, sich in das Stammbuch des jüdischen Volkes einzuschreiben. Dieser fiktiven Geschichte an die Seite stellt Vaget das Verhältnis Thomas Manns zu seiner amerikanischen Freundin und Gönnerin Agnes Meyer, deren auch intimen Annäherungen er sich nur mit Mühe erwehren konnte, und dieser biographische Hintergrund ist von kaum geringerem ironischen Witz geprägt, als das fiktionale ‚Original‘.
Den zweiten Bezug zur amerikanischen Gegenwart sieht Vaget in der Darstellung Josephs als Stellvertreter des Pharao, die Ähnlichkeiten mit dem damaligen Präsidenten Roosevelt aufweisen. Dessen für amerikanische Verhältnisse revolutionäre Wohlfahrts- und Sozialpolitik habe Thomas Mann ins biblische Ägypten übertragen und auch überzeichnet: Eine tatsächliche Enteignung wäre einem Roosevelt nie in den Sinn gekommen, und man kann dies auch nur als Gedankenspiel des Lübecker Patriziersohns abtun.
Abschließend machte Vaget noch auf ein biographisches Detail aufmerksam: Neben einer ganzen Reihe anderer Ehrendoktorwürden erhielt Thomas Mann diese auch vom Institute for Israel and Jewish Studies der Columbia University, einer herausragenden Ehre für einen Deutschen am Ende dieses fürchterlichen Krieges, die eben auch einer literarischen Adaption des biblischen Gründungsmythos des jüdischen Volkes galt, die nicht dogmatisch, sondern liberal, ironisch gebrochen, im besten Sinne humanistisch war und ist.
Die Inhalte des Vortrags von Vaget finden sich auch in seinem Buch „Thomas Mann, der Amerikaner“, für das er noblerweise keine Werbung machte. Werbung allerdings zum Lesen und Wiederlesen machte er für die Josephs-Romane von Thomas Mann.
Peter Baumgärtner