
Prof. Dr. Werner Frick, Freiburg i.Br.: „Geistige Huldigungsmusik, Thomas Mann als Gratulant und Jubilar“
zusammen mit dem Germanistischen Institut,
Festsaal der Universität,
Am Hof 1 D, 53113 Bonn
Werner Frick (Freiburg i.Br.)
„Geistige Huldigungsmusik“:
Thomas Mann als Gratulant und Jubilar
Ehre zu bezeigen, den Rang zu salutieren, Honneurs zu erweisen, gehört zu den schönsten Genugtuungen des Herzens. Ohne Heuchelei, es gewährt viel reineres Vergnügen, als Ehre zu empfangen. Das macht einen heißen Kopf, überlastet das Selbstgefühl, und man denkt nur: ‚Kinder, Kinder – !’ – Vielleicht empfindet auch der Mann so, dem heute die geistige Welt huldigt. Er muß uns erlauben, egoistisch zu sein. Er erntet, was er gesät hat, und hätte uns weniger wohl tun dürfen, wenn er beabsichtigte, heute den Spröden zu spielen. – Die Eitelkeit ‚dabei zu sein’, ist äußerlich schwer zu unterscheiden von dem echteren Glücke, es dahin gebracht zu haben, daß man loben und ehren darf.
Daß man sich doch dem Guten so weit zu nähern vermochte, um daran teilzuhaben und sich in Stunden wie dieser ein wenig ‚vom Bau’ fühlen zu dürfen, vom Bau des Guten. – Ja, ich bin glücklich, heute ‚dabei zu sein’, zum Danke zugelassen zu werden und zum Bekenntnis.
(GW XIII, 822 f.)
Unter einem Jubiläum (lat. annus jubilaeus: Jubeljahr: Plural: Jubiläen) versteht man eine Erinnerungsfeier bei der Wiederkehr eines besonderen Datums. Es leitet sich ursprünglich aus dem alttestamentlichen ‚Jubeljahr’ (‚Yovel’ in Hebräisch) her, das alle 100, 50, dann alle 25 Jahre gefeiert wurde. Durch das 1300 eingeführte Heilige Jahr wurde dieses Jubeljahr auf einen christlichen Festanlass übertragen. – Heute hat sich eingebürgert, jede jährliche Wiederkehr als Jubiläum zu bezeichnen. Neben dem Jahrestag sind alle Vielfachen von 100, 50, 25, 10 oder auch 5 besondere Jubiläen.
Das Jubiläum ist umso bedeutender, durch je mehr der vorgenannten Zahlen es teilbar ist. Innerhalb der ersten 100 Jahre sind in der Regel 5 – 10 – 20 – 25 – 50 – 75 – 100 besonders bedeutsam. In der Arbeitswelt werden 10, 20, 30, 40 oder 50DienstjahrJubiläen oft besonders gewürdigt.
Verzeihen Sie, aber ich kann Ihren Vorschlag nicht ernst nehmen […]. Die Welt schickt sich an, das Fest zu begehen. Das Théâtre Français will den Faust spielen. Die ColumbiaUniversität in New York hat Gerhart Hauptmann zum Redner bestellt und wird ihm ihren Ehrendoktor verleihen. Er wird prächtig aussehen in der Robe. Die ‚Commission Permanente des Lettres et des Arts’ beim Völkerbund wird Frühjahr 1932 ihre Sitzungen in Frankfurt am Main abhalten, und die erste davon soll ausschließlich und feierlich dem Gedächtnis Goethe’s gewidmet sein. Und Deutschland soll sich in düster vieldeutiges Schweigen hüllen? Es geht nicht. Es ist nicht tunlich. Wir würden unsere Ungeheuerlichkeit auf die Spitze treiben. So gut und schlecht es gehen möge, müssen wir uns schließlich als gesittete Menschen benehmen. (GW XIII, 619)
die Erfahrung, die sich in diesem Jahr wieder bewährt, daß eine große Gestalt der Geistesgeschichte durch ihr festliches Wiederhervortreten, durch die allgemeine Beschäftigung mit ihr in ungewohnter Weise dem Leben angenähert, verdeutlicht, verwirklicht, vermenschlicht werden kann, so daß ein frischerer und unmittelbarerer Blick auf ihr ruht, und daß wirklich eine Art von Wiedergeburt, von Erneuerung, von Verlebendigung sich ereignet und das Historische, scheinbar so Ferngerückte sich dem Leben aufs neue befruchtend verbinden kann.
(GW XIII, 621f.)
Es ist, meine Damen und Herren, ein Faktum, das man nicht verkleinern, sondern dessen glückliche Bedeutsamkeit man anerkennen sollte, daß Ost und Westdeutschland, abseits und oberhalb von allen Unterschieden ihrer staatlichen Regimente, aller ideologischen, politischen und ökonomischen Gegensätze, auf kulturellem Grund sich gefunden und ihre Goethepreise in diesem besonders festlichen Jahr ein und derselben Schriftstellerpersönlichkeit zuerteilt haben. Mir erscheint das als eine ermutigende und bemerkenswerte Tatsache, ganz unabhängig von der Person des Preisträgers. (GW XIII, 792 f.)
Dankbarkeit, es sind Gefühle herzlicher Pietät für ein Werk, eine Kulturtat, die meiner Jugend behilflich war, wie sie der Jugend und Bedürftigkeit von Millionen behilflich gewesen ist. Ich denke der fernen, frischen Zeiten, als meine Büchersammlung sich fast ganz aus den gelbroten Heftchen der UniversalBibliothek zusammensetzte, ich denke entscheidender Eindrücke, bildender, stärkender, begeisternder, die sie mir vermittelte (GW X, 248).
Ganz hinten im Festzuge marschiere ich und werfe die Beine, damit er doch einen leidlich strammen Eindruck von mir erhält, der Herr Hauptmann, obgleich ich weiß, daß ich vom Parademarsch immer Sehnenscheidenentzündung bekomme und dieserhalb vom Regiment nach einem Vierteljahr mit schlichtem Abschied entlassen wurde … Dürfen solche Leute sich eigentlich heute sehen lassen? Staatskrüppel, Sonnengeflechtler, Schopenhauerianer, Verfallsanalytiker, zwiespältige und ironische Mischlinge aus Bourgeoisie und Künstler, die als Artisten das Leben und als Bürger die Kunst bespötteln? Gesetzt, dass er etwas von mir weiß – will er etwas von mir wissen? Wenn er nun Musterung hält, der Krieger, der Jäger, der Stolze, der Ganze, der Mann – wenn er nun unter uns tritt, unter die Menge der Gratulanten, und ein Wort an mich richtet, so packt mich der Haltungstremor – ich kenne mich, ich verliere die Contenance dort, wo ich liebe und an der Erwiderung solchen Gefühles verzweifeln muß. (GW X, 405)
und ich werfe die Beine. Was Ironie! Was Dualismus! Was Dekadenzproblem! Mag er unter uns treten, mag er mich ansehen! Ich schlage die Hacken zusammen und sage mit scharfer und froher Stimme: ‚Gratuliere, Herr Hauptmann!’ (GW X, 405 f.)
Hiddensee hat ein kaltes Meer, besonders am Morgen, aber Hauptmann ging, wie er’s wohl heut noch tut, sehr früh schon, um sieben Uhr, vorm Frühstück zum Baden an den Strand. Eines Morgens traf ich ihn dort – er stand schon im Bademantel, das weiße Haar von Wind und Salzwasser verklebt und versträhnt. ‚Nun?’ fragte ich. ‚Guten Morgen!
Wie war es denn? Schönes Bad? Wie ist heut das Wasser?’ – ‚Es geht’, war die Antwort. ‚Recht hübsch. Nur etwas zu warm.’ Und ich dagegen:
‚Warm? Das ist neu. Nun, desto besser!’ und ging weiter am Strande. Es waren vielleicht zehn Schritte, die ich ging, oder zwölf, da hörte ich hinter mir wiederholt meinen Namen von Hauptmanns Stimme. Er kam mir nach, bemüht, mich ernstlich zu bedeuten. Er sagte: ‚Verstehen Sie mich recht, lieber Freund, das war ein Scherz von mir! Das Wasser ist furchtbar kalt.’
Was war in ihm vorgegangen, seit ich an ihm vorüber war? Er hatte mich angeflunkert und fürchtete wohl gar so etwas wie einen Choc, wenn ich mit dem Glauben ins Bad ginge, das Wasser sei warm. Ich werde diese rührende Reue über einen so unschuldigen Schabernack niemals vergessen. Sie offenbarte mir zugleich etwas von der Eulenspiegelei und Schalkheit, die, was wenige wissen, auf dem Grunde von Hauptmanns Seele liegen, und von der schonend sich einfühlenden Güte, die ihr widerspricht und sie nicht eilig genug korrigieren kann.
(GW X, 471 f.).
Mein lieber Hermann Hesse!
Hier fehlen? Unmöglich! Aber auf eine irgend erhebliche Art dabei sein kann ich auch nicht. Ich habe zu Ihrem Sechzigsten, habe zu Ihrem Siebzigsten geschrieben und weiß nichts mehr. J’ai vidé mon sac. Daß ich Ihnen in Bewunderung von Herzen gut bin, das weiß ich. Aber das wissen schon alle und Sie auch. Lassen Sie mich’s zu Ihrem Fünfundsiebzigsten einfach noch einmal sagen und Sie recht aufrichtig beglückwünschen zu dem gesegneten, Freude spendenden Leben, das Sie geführt haben.
(GW X, 529)
Und sterben Sie ja nicht vor mir! Erstens wäre es naseweis, denn ich bin ‚der nächste dazu’ [Thomas Mann ist 2 Jahre älter, WF]. Und dann: Sie würden mir furchtbar fehlen in all dem Wirrsal. Denn Sie sind mir darin ein guter Gesell, Trost, Beistand, Beispiel, Bekräftigung, und sehr allein würd’ ich mich ohne Sie fühlen. (GW X, 529)
Achtzig Jahre? Vor einem Liebermann’schen Gartenstück aus jüngster Zeit erzählte mir der Direktor einer ausländischen Galerie, auch der Meister habe mit ihm davorgestanden und gefragt: ‚Finden Se det senil?’. Man kann nur antworten: ‚Nee, nich im jeringsten.’ (GW X, 444)
Es gibt verschiedene Arten, sich an Jubiläumstagen zu verhalten und zu festlichen Veranstaltungen, die sie etwa mit sich bringen. Man hört von Jubilaren, die an solchen Tagen aus dem Lande verschwinden, sozusagen in die Wüste gehen, um sich ‚den Ehrungen zu entziehen’; und das wird wohl als Zeichen der Bescheidenheit und der Abneigung gegen äußeren Tand gewürdigt. Sie sehen, ich habe es nicht so gemacht, und zwar nicht aus einem unüberwindlichen Verlangen, mich feiern und hudeln zu lassen, habe ich es nicht so gemacht, sondern weil ich finde, daß man sich nicht ‚entziehen’ soll, überhaupt nicht, daß man dem Leben gehorsam sein und darin seinen Mann stehen und auch die Feste feiern soll, wie sie fallen. Man soll ein Mensch sein, soll sich dem Leben nicht ‚entziehen’, sondern es mitmachen in allem, was es mit sich bringt. […] und so soll man, lebensbürgerlich, auch solchen Festen, wie sie in diesen sonderbaren Tagen auf mich niederrauschen, standhalten, dankbaren Herzens standhalten – sollten solche Ehrungen einen auch beschämen und einem Angst machen (GW XI, 365 f.).
Ich bin geboren am Sonntag den 6. Juni 1875 mittags zwölf Uhr. Der Planetenstand war günstig, wie Adepten der Astrologie mir später oft versicherten, indem sie mir auf Grund meines Horoskops ein langes und glückliches Leben sowie einen sanften Tod verhießen. Was das Leben betrifft, so konnten sie ihre Prophezeiung zum guten Teil schon von seinen Tatsachen ableiten, denn viel Glück und Gunst kommt darin vor, ja, seine Gesamttendenz ist glücklich zu nennen. (GW XI, 450).
Ich bin nun in mein 80. Jahr getreten, und da tut man wohl gut, sich auf sehr weitschauende Unternehmungen nicht mehr einzulassen. Ich muß froh sein, dass ich mit 25, mit 50, 60 und 70 Jahren doch etwas wie einen kleinen Vollbringer („Buddenbrooks“, „Zauberberg“, „Joseph“ und Faustus“) nach bewunderten Mustern abgeben konnte. Weiß Gott, ich war nicht groß. Aber eine gewisse kindliche Intimität in meinem Verhältnis zur Größe brachte ein Lächeln der Anspielung auf sie in mein Werk, das Wissende, Gütige, Amüsable jetzt und später erfreuen mag. (Br 3, 348)
Wie wird es mit dem Schweizer Bürgerrecht werden? Was wird Bonn tun? Ich kann von dort kaum etwas erwarten noch annehmen. Alles käme zu spät, besonders das Verdienstkreuz. Auch der Pour le Mérite wird zu spät kommen. Diese Zeichen, die geringere längst tragen, widern mich. Ein holländischer Orden wäre mir lieb, die französische Huldigung wird mich freuen. (TB 19511953, 344 f.)
Sehr würdig steht es doch nicht darum. Begeht man mit solchen kompromittierenden Scherzen sein 80. Wiegenfest? Müder Übermut – tut nicht gut, sprichwörtlich geredet. Oft muß ich denken, daß es besser gewesen wäre, wenn ich nach dem Faustus das Zeitliche gesegnet hätte.
Das war doch ein Buch von Ernst und einer gewissen Gewalt und hätte als Abschluß ein rundes, in sich geschlossenes Lebenswerk ergeben.
(Br 3, 345)
Wir fangen nun an, zu den alten Herren zu zählen, er und ich, aber was wir einander zu berichten haben, wenn wir uns treffen, das ist, […], daß es nach unserer Erfahrung durchaus nicht Schrumpfung, Verarmung, Verkümmerung, sondern vielmehr Erhöhung und Zuwachs, ein heiteres Breiter und Mächtigerwerden, das Inbesitznehmen neuer Gebiete bedeutet; ja wir erzählen uns, daß unternehmende Kühnheit, weit entfernt, ein Vorrecht der Springinsfelde zu sein, eigentlich erst recht dem vielversuchten Alter gehört und daß wir uns heute manches Dinges getrauen, von dem unsere blühende Jugend sich nicht einmal etwas träumen ließ. (GW X, 481f.)