Kategorie: Rundbriefe

  • Rundbrief Nr. 75 + „Thomas Mann macht Ferien. Ein Sommer am See“ + Veranstaltungshinweis „Meeresliebe“

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    die Anregungen der Jahrestagung werden uns noch lange beschäftigen, und dies taten sie auch beim sehr gut besuchten Stammtisch am 26.Juni. Der nächste wird am 14.August stattfinden, also am zweiten Donnerstag des übernächsten Monats, des vereinbarten Regeltermins also.

    Ich stelle dies voran, da dieser Termin sich auch prominent dargestellt findet auf unserer neugestalteten Homepage https://thomasmann-bonnkoeln.de/. Schauen Sie sich um auf der Seite und geben uns bitte Anregungen und Kritik. Frauke May und ich haben in den letzten Monaten viel Zeit in die Sache investiert und wir sind der Überzeugung, daß wir nun wieder eine ordentliche Visitenkarte im Netz stehen haben.

    Der eigentliche Anlaß dieses Rundbriefs ist das Erscheinen der Übersetzung der Hommage de la France à Thomas Mann von Thomas Schmalzgrüber und Axel Volhard. Ich wiederhole die Namen dieser unserer Mitglieder bewußt, um ihre große Leistung hervorzuheben. Wir bringen damit ein Projekt zum Abschluß, das ich mit dem Rundbrief Nr. 51 vom 7. Mai 1923 angeschoben habe. Ich danke allerseits für den langen Atem und gestehe, daß ich erst jetzt, mit dem gedruckten Buch in Händen, die Texte erstmals vollständig gelesen habe, und zwar in dem Bewußtsein, daß sie an den noch lebenden Thomas Mann adressiert waren, daß die Gratulanten damit rechnen mußten, eine Stellungnahme des großen Meisters zu erhalten – erhielten sie wohl nicht! In den wenigen und ereignisreichen Wochen zwischen dem 80. Geburtstag 1955 und seinem Tod wird er kaum die Zeit gefunden haben, sein auf Japanpapier gedrucktes Exemplar sorgfältig zu lesen.

    Treibende Kraft hinter der Hommage war Martin Flinker (1895 – 1986), ein aus Österreich-Ungarn stammender Buchhändler, Verleger und Schriftsteller, dem es 1938 nach dem Anschluß gelang, mit seinem Sohn Karl nach Frankreich zu fliehen. Vor der deutschen Besatzungsarmee ging die Flucht weiter nach Marokko. Nach dem Kriege eröffnete er eine Buchhandlung in Paris und war offenbar außerordentlich umtriebig, baute sich ein riesiges Netzwerk auf, was die Hommage beweist.

    Der Name Flinker taucht im Tagebuch Thomas Manns mehrfach auf, es gab vielfach Korrespondenz und am 11. August 1953 hatte er „Lunch mit Flinkers, Vater und Sohn, im Garten von Schönau in Erlenbach.“ Am 9.März 1955 kündigt Flinker die Hommage brieflich an, „auf die ich mich sehr freue“, notiert Thomas Mann im Tagebuch, zumal „Staatsmänner, Auriol, Schuman, Mendès-France“ darin zu Wort kommen.

    Jener Robert Schuman hatte als französischer Außenminister am 16. Dezember 1953 Thomas Mann in Zürich das Kreuz der Ehrenlegion verliehen. Ich muß sagen, daß keine Ehrung meiner Arbeit mir je soviel Vergnügen gemacht hat.

    So viel einleitend zu der Wertschätzung, die Thomas Mann unmittelbar nach dem Kriege erfuhr. Aus dem Briefwechsel mit Agnes Meyer erfuhr ich zudem, daß Docteur Faustus in Frankreich ein sensationeller Erfolg war. Dies wird auch deutlich an den Namen von rund 150 Gratulanten aus Wissenschaft und Kunst, die den Texten der Hommage vorangestellt sind. Jean Cocteau und Jules Romains versuchten sich nicht in literarischen Exegesen, sondern hinterließen würdevolle Worte der Anerkennung. Albert Schweitzer (1865-1965) schickte aus Lambarene einen handgeschriebenen Glückwunsch.

    Das Gros der Gratulanten kommt aus dem literarischen Betrieb, aus der Germanistik und der Philosophie. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Lebensdaten dieser Personen zu ermitteln, die in Zeiten dreier deutsch-französischer Kriege aufwuchsen und sich als Germanisten mit dem „Erbfeind“ beschäftigten.

    Jean Schlumberger (1877-1968) im „deutschen“ Elsaß geboren, war selbst Schriftsteller und ist eine interessante Figur, war Freund von Gide, und 1931 erwähnt ihn Thomas Mann in seiner Jungfranzösischen Anthologie in der Deutsch-Französischen Rundschau – so eine Zeitschrift gab es damals noch! Schlumberger läßt sich nicht auf eine literarische Abhandlung ein: Er gratuliert in persönlichen Worten.

    Marguerite Yourcenar (1903-1987) stimmt zum Hohelied an, saust durch Manns Lebenswerk rauf und runter, auf den Punkt bringen könnte ich ihren Text nicht, ist sehr gebildet, fast möchte man ihr ein fishing-for-compliments unterstellen.

    Robert d’Harcourt (1881-1965) ist der einer der wenigen, der in seinem kurzen Text die jüngere Vergangenheit mit in den Blick nimmt und damit auch den politischen Thomas Mann. D’Harcourt war Soldat im ersten Weltkrieg, katholisch-konservativer Ger- manist, arbeitete für die Resistance, zwei seiner Söhne wurden nach Buchenwald verschleppt, er publizierte bis zu seinem Tod 1965 über deutsche Nachkriegspolitik.

    Robert Schuman (1886-1963) ist ganz nobler Politiker, Bruder im Geiste von Thomas Mann, studierte in Bonn, in der Königstraße ist eine Plakette für ihn angebracht.

    Gabriel Marcel (1889-1973) war Philosoph, Vertreter des christlichen Existenzialismus – was auch immer das ist, vieles ist von ihm auf Deutsch erschienen, und ganz Philosoph beleuchtet er in erster Linie Manns Verhältnis zu Nietzsche.

    Marcel Brion (1895-1984) war Romancier und Essayist, der ein vielfältiges Werk hinterließ. Er befaßt sich mit dem Fantastischen im Werk von Thomas Mann und sein Text kreist in erster Linie um die Erzählung Der Kleiderschrank (1899). Die Geschichte spielt außerhalb von Zeit und Raum in einem Schnellzug Berlin-Rom und die Hauptfigur heißt Albrecht van der Qualen –: Wie kann man nur solch tolle Namen erfinden!? Eine Gelegenheitsarbeit Thomas Manns und Fingerübung zum Broterwerb, und dennoch eine großartige Erzählung. Alles weitere sagt Brion sehr trefflich dazu.

    Joseph Breitbachs (1903-1980) Ehrenrettung von „Königliche Hoheit“ macht Lust, eben dieses Werk mal wieder zu lesen. Breitbach war deutsch-französischer Journalist um Romancier, der sich stark für die Aussöhnung beider Völker einsetzte.

    Antonina Vallentin (1893-1957) hat mich sehr beeindruckt! Geboren in Lemberg arbeitete sie in den zwanziger Jahren im Außenministerium unter Stresemann, über den sie dann auch eine Biographie verfaßte. Zudem schrieb sie über Einstein, Leonardo und Picasso. Sie war verheiratet mit Julien Luchaire, weshalb sie Thomas Mann in den Tagebüchern als „die Luchaire“ bezeichnete. Am 16. September 1933 war sie bei Mann in Südfrankreich zu Besuch – eben davon berichtet sie in ihrem Text in der Hommage. Sie zeichnet ein wunderbares Bild der Persönlichkeit Thomas Manns, dessen „schöpferische Sensibilität“ die sich aber stets seinen „tyrannischen Ansprüchen“ unterzuordnen habe. Der Text entstand unter dem frischen Eindruck der Lektüre des Doktor Faustus und des Romans eines Romans.

    Sie schreibt, Thomas Mann habe sich zuweilen eine Aussage von Degas zu eigen gemacht: „Ein Bild ist eine Sache, die so viel List, Bosheit oder Laster erfordert wie die Verübung eines Verbrechens.“

    Auch Edmond Vermeil, (1878-1964) Germanist, Lehrer von Alfred Grosser, ist noch völlig vom Faustus umfangen, vom Teufelspakt. „Ich glaube nicht, daß Thomas Mann irgendwo in seinem Werk so hoch gestiegen ist wie in dieser Meditation.“

    Maurice Blanchot (1907-2003) lieferte den ausufernden Text: „Begegnung mit dem Dämon“. Er war eine eigentümliche Figur, gehörte vor dem Kriege den Rechtsnationalen an, war antisemitisch, danach Gegner von de Gaulle und am Ende Teil der 68’er Bewegung. Sein Beitrag kreist um den Faustus, er beschreibt quasi seinen eigenen Verdauungsvorgang, seinen inneren Kampf mit sich selbst – muß man nicht lesen.

    Marcel Schneider (1913-2009) war ein französischer Schriftsteller aus dem Elsaß, der auf dem Père Lachaise bestattet ist. Er war nebenbei auch Musikfachmann und schrieb daher einen bewundernden Beitrag mit dem Titel „Thomas Mann und die Musik“. Zentraler Satz: „Wie jeder Humanist gibt Thomas Mann der Kunst kein moralisches Ziel, sondern eine moralische Bedeutung.“

    George Duhamel (1884-1966, Vater von Antoine Duhamel) Schriftsteller, Arzt im ersten Weltkrieg, faßt sich kurz, selbstbewußt und endet mit einer liebevollen Spitze am Ende.

    Martin Schlappner (1919-1998) lebte in der französischen Schweiz, promovierte 1947 über Thomas Mann und verdiente sein Geld als Filmkritiker. Sein Text Das Moralistentum Thomas Manns und André Gides ist ein weit ausholender und kenntnisreicher Aufsatz über eben dieses Thema, hat aber nur am Rande etwas mit einer Hommage zu tun. Erst im vierten und letzten Kapitel kommt es zu so etwas wie einer Würdigung

    Thomas Manns: Es gibt zwei Ich in ihm, das Bürger-Ich und das Künstler-Ich. Worüber in den nächsten 70 Jahren viel geschrieben worden ist.

    Piere-Paul Sagave wurde 1913 in Berlin als Peter Paul Sagawe geboren, ging 1931 als Student nach Frankreich und blieb dort, weil er nicht nach Nazi-Deutschland zurückwollte. Er begegnete Thomas Mann 1933 in Sanary und blieb mit diesem brieflich in Kontakt. Als Germanist unterrichtete er in verschiedenen französischen Hochschulen und starb 2006 in Paris. Er ist der erste in der Hommage, der sich zu den Betrachtungen äußert, und er tut dies sehr differenziert und dezidiert zugleich.

    Louis Leibrich (1903-1983), Germanist und einer 1954 erschienenen französischen Thomas Mann Biografie, gelingt unter dem Titel Die Spiritualität Thomas Manns auf vier knappen Seiten ein schönes Gesamtbild des Autors. Der erste in der Hommage, der den Brief an den Dekan erwähnt und auch die Ansprachen Deutsche Hörer.

    Aber es meldeten sich auch zwei Musiker zu Wort, so der damals noch junge Pierre Boulez (1925-2016) mit einem kurzen Text, in dem er die Darstellung der Zwölftontechnik im Faustus würdigt; und Maurice Boucher (1862-1962) Komponist, Schüler von Fauré, Gewinner des Rompreises, – schreibt über die Literatur Thomas Manns in tiefgründiger Klarheit und zudem mit Humor: „Ich wollte weder den Weihrauchschwenker vom Dienst noch den Beckmesser spielen“ schreibt er an einer Stelle, um etwas weiter zu seinem wesentlichen Punkt zu kommen: „Durch Mittel, die weitaus mächtiger sind als jene, die Historikern, Philosophen und Parteimännern zu Verfügung stehen, haben Sie wie kein anderer die Verunsicherung des menschlichen Daseins spürbar gemacht.“

    Martin Flinker behielt sich vor, seine Hommage ans Ende des Buches zu stellen. Unter dem Titel Thomas Mann und das Problem der Einsamkeit entwirft er uns das Bild eines feinfühligen Autors mit einem positiven Frauenbild und dem Erfinder von gebrochenen Männerfiguren. Eine sehr moderne, zeitgemäße Betrachtungsweise.

    Nun hoffe ich, Ihnen hinreichend viel Lust auf die Lektüre der Hommage gemacht zu haben. Unsere erste „Auflage“ von 25 Stück ist fast vergriffen. Bestellen Sie rasch bei mir, dann wollen wir versuchen, die notwenigen Exemplare zum nächsten Stammtisch vorliegen zu haben. Der Preis ist wie gesagt 15.- Euro, bei Postversand 20.- Euro.

    Beim Stammtisch machte uns Frau Dr. Reinhardt auf eine interessante Ausstellung im Schloßmuseum Murnau aufmerksam: Die Malerin Olga Meerson (1882–1930) Olga Meerson war mit Heinz Pringsheim verheiratet, dem Schwager von Thomas Mann, war Schülerin von Kandinsky, Muse von Matisse – wer im Sommer im Bayrischen unterwegs ist, sollte sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen.

    https://schlossmuseum-murnau.de/de/olga-meerson

    Kommende Woche Freitag findet in der Schloßkirche der Uni Bonn die Veranstaltung Meeresliebe! Nichts als das! statt. Ein literarisch-musikalischer Strandspaziergang mit Thomas Mann, veranstaltet vom litterarium. Den entsprechenden Werbeflyer habe ich angehängt. Ich bin an diesem Abend leider verreist. Ich denke, unser Ortsverein sollte vertreten sein!

    Zuletzt finden Sie in einem anderen Anhang die Leseempfehlung von Patricia Fehrle zu Kerstin Holzers Buch Thomas Mann macht Ferien, das auch in Lübeck vorgestellt worden ist.

    Holger Pils hat für Oktober sein Kommen zugesagt, er wird den von ihm herausgegebenen Briefwechsel mit Ida Herz vorstellen. Im Rundbrief Nr. 68 hatte ich die Biographie Ida Herz‘ vorgestellt: Die Archivarin des Zauberers. Gönnen Sie sich im Sommer die Briefe. Der genaue Termin und de Vortragsort steht noch nicht fest, aber bald auf unserer neuen Homepage!

    Ich wünsche Ihnen angenehme Sommertage. Anmeldungen zum Stammtisch am 14. August, 18.00 Uhr, Delikart Bonn, nehme ich schon jetzt entgegen.

    Beste Grüße ihr Peter Baumgärtner


    Kerstin Holzer: „Thomas Mann macht Ferien. Ein Sommer am See“, KiWi 2025

    Liebe Thomas-Mann-Begeisterte,

    muss man dieses Buch lesen? Das habe ich mich vor der Tagung in Lübeck gefragt, denn zum 150. Geburtstag sind die Büchertische voll und die Sommerfrische am Tegernsee ist doch „nur“ eine kleine Episode. Auf dem Podium überzeugte mich Kerstin Holzer mit ihren Diskussionsbeiträgen sehr und nach kurzem „Anlesen“ in einer Kaffeepause kaufte ich ihr Buch.

    Ergebnis: Ich kann es allen nur wärmstens ans Herz legen!

    Warum? Die Autorin beschreibt zwei Sommerferienmonate 1918 der Familie Mann in Abwinkl am Tegernsee anschaulich und anekdotenreich. Sie selbst schreibt in ihrem Dank, dieses Buch handle „von einem Hund, einer Lebenskrise und der Liebe“. Das klingt simpel, ist aber doch schon eine Menge.

    Und es geht um viel mehr als ein Idyll. Thomas Mann macht sich Sorgen wegen der bevorstehenden Veröffentlichung seiner „Betrachtungen“, die nicht mehr in die Zeit passen wollen. Wie Bauschan und der Tegernsee ihre heilsame Wirkung entfalten, schildert uns die Autorin locker und humorvoll.

    Ein ganzes Kapitel widmet sie Katja Mann und sie beschreibt einfühlsam und mit großer Wärme die Beziehung zwischen Thomas und Katja: Das ist alles andere als eine „unglückliche Ehe“, auch sinnlich, trotz homoerotischer Neigungen! Die Autorin präsentiert Thomas Mann als Familienmenschen, der sich z.B. mit „Bauchmigräne“ dem Besuch von Schwiegermutter Pringsheim entzieht, aber des Abends regelmäßig romantische Ruderpartien mit Katja auf dem See genießt. Höhepunkt ist die Besteigung des Hirschberges, 1670 m hoch: „Einmal etwas Verrücktes tun!“, schreibt Kerstin Holzer. Das Erreichen des Gipfelkreuzes und der Ausblick bleiben Thomas Mann ein Leben lang im Gedächtnis. „Einen euphorischen Moment lang steht man über den Dingen.“, erklärt sie uns diese bedeutsame Erfahrung für den Dichter.

    Kerstin Holzer stellt diesen Sommer am See gleichermaßen als Auszeit und eine Art Wendepunkt für den Schriftsteller Thomas Mann dar.

    Das Buch ist leicht zu lesen, der Schreibstil ist anschaulich, flüssig, warmherzig und humorvoll. Kerstin Holzer beschreibt und deutet, mit Rückblicken und Vorausschau, aber sie manipuliert nicht. Eine wunderbare Sommerlektüre, die uns den Menschen Thomas Mann als solchen erlebbar macht und näher bringt!

    Patricia Fehrle


    ,,Meeresliebe! Nichts als das!“

    Freitag, 28.Juli 2025, 20:00 Uhr, Schlosskirche der Universität Bonn, Am Hof 1

    Ein literarisch-musikalischer Strandspaziergang mit dem Schriftsteller, Essayisten und meeresbetörten Bürger

    THOMAS MANN

    mit Hendrik Richter und musizierenden Gästen, von und mit Anja Stadler

  • Rundbrief Nr. 74 + Neuerscheinungen + Bericht Ortsverein + Bericht aus Georgien + Brief Shishkin

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    die Jahrestagung ist vorüber, der 150. Geburtstag Thomas Manns gebührend gefeiert und in einer Woche steht der Stammtisch an. Es gibt allerhand zu bereden, zuallererst die Inhalte eben jener Jahrestagung, über die ich nun möglichst knapp berichten werde, mündlich nächsten Donnerstag mehr.

    Voranstellen möchte ich die sich vor Neuerscheinungen biegenden Büchertische, die uns täglich im Foyer des Colosseums verlockten. Als Bahnreisender kaufte ich nur weniges, fotografierte vieles – siehe Anlage 1: Fast alle Autoren der dort abgebildeten Bücher waren anwesend, stellten sich vor und ich konnte mit ihnen sprechen. Sämtliche hätte ich spontan nach Bonn einladen können – der Fülle wegen tat ich es nicht, und schlage daher vor, beim Stammtisch sommerliche Leseaufgaben zu verteilen, über die wir uns beim übernächsten Treffen austauschen und Präferenzen bilden können.

    Nach der Begrüßung von Herrn Wißkirchen wurde die Tagung eröffnet mit einem fulminanten Vortrag von Meli Kiyak zur Lebensleistung Thomas Manns. Ich freue mich auf das Jahrbuch 2026, in dem wir diesen und alle anderen Beiträge nachlesen können.

    Dann stellte sich das Netzwerk Thomas Mann International vor, der Verbund aller Thomas Mann Häuser weltweit. Von Lübeck bis Los Angeles, von München und Zürich und ganz besonders beeindruckt hat mich Frau Prof. Dr. Ruth Leiserowitz aus Nidden, ganz links im Bild, ihre vielschichtigen Angebote in und um das Ferienhaus auf der kurischen Nehrung, nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Und täglich fährt ein Schiff von Kiel nach Klaipèda, Litauen…

    International ging es weiter mit der Veranstaltung Thomas Mann auf allen Kontinenten. Es war interessant zu hören, wie Hochschullehrer aus der ganzen Welt auf „unseren“ Autor schauen. Auf dem Podium saßen Frau Galvan aus Italien, Herr Orao aus Kenia, Herr Oguro aus Japan und Herr Soethe aus Brasilien.

    Die Stimmung auf der Geburtstagsfeier am Museumsshop wurde durch das kühle und regnerische Wetter etwas getrübt. Es war dennoch eine tolle Gelegenheit, mit vielen Teilnehmern der Tagung zwanglos ins Gespräch zu kommen. Unser noch recht neues Ortsvereinsmitglied Sven Lehmann konnte sich als der frischgebackene Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Bundestags vorstellen.

    Der Freitag, der eigentliche Geburtstag, begann mit einer Veranstaltung mit dem Titel Literarische Reisenarrative, bei der Prof. Dr. Alexander Hunold aus Basel über die Erzählung Das Eisenbahnunglück (1909) knapp, präzise und nicht ohne Humor sprach, und im Anschluß Prof. Dr. Barbara Beßlich aus Heidelberg über die Pariser Rechenschaft (1926). Ein bislang viel zu wenig beachteter Text. Über die Schnittmengen zu „unserer“ Hommage befinde ich mich mit ihr im Austausch.

    Der Vormittag wurde zu Ende gebracht mit Reiseaspekten in Josef und seine Brüder von Prof. Dr. Matthias Löwe aus Augsburg und in den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull von Dr. Birte Lipinski aus Oldenburg. Die Vorträge wurden eingeleitet durch eine Lesung eines Ausschnitts des jeweiligen Textes. Eine sehr publikumsorientierte Veranstaltung.

    Am Nachmittag fanden dann gleich zwei Festakte statt: Zunächst saßen wir lange sicherheitsüberprüft in den engen Kirchenbänken von Sankt Annen in Erwartung der Ansprache des Bundespräsidenten. Steinmeiers Redetext wurde inzwischen vielfach publiziert: Wohlgesetzte Worte, keine Heiligenverehrung aber viel Gegenwartsbezug.

    Im Anschluß wurde im Sankt Annen Museum die Ausstellung Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie eröffnet mit Live-Musik und kühlen Getränken.

    Am Abend dann das Festkonzert im Theater. Manns Lieblingsmusiken an just jenem Ort, an dem der kleine Thomas seine Liebe zur Musik entdeckte – eingeleitet von einem Original-Ton des alten Thomas Mann, das Bekenntnis seiner frühen Liebe für Wagners Lohengrin, deren Ouvertüre sogleich erklang.

    Der Samstagvormittag stand dann unter der Überschrift Thomas Mann – Ein Mensch mit internationaler Geschichte. Einleitend sprach Frau Dr. Irmtraud Hnilica aus Hagen. Bei der Vorbereitung ihres Vortrags machte sie für sich selbst die Entdeckung eines Freundes von Thomas Mann: Arthur Eloesser – von ihm in einem der nächsten Rundbriefe bzw. beim Stammtisch mehr.

    Es folgte der Vortrag von Prof. Kai Sina aus Münster, der die wesentlichen Züge seines Buchs Thomas Mann als politischer Aktivist vorzustellte. Sein roter Faden durch dieses sehr breite Thema ist Thomas Manns Verhältnis zum Zionismus. Das Buch wurde vielfach besprochen, Kai Sina ist gegenwärtig der gefragteste Mann unserer Gesellschaft – zu Recht. Das Buch steht nicht auf der Liste der Neuerscheinungen – es erschien bereits 2024 – man sollte Herrn Sina dennoch fragen, ob er auf einer seiner Lesereisen keinen Stopp in Bonn oder Köln einlegen könnte.

    Prof. Dr. Veronika Fuechtner sprach über Thomas Mann und der Kolonialismus. Sie war auch eine Entdeckung für mich. Sie unterrichtet im Darthmouth College, USA, hat selbst deutsche und brasilianische Wurzeln und forscht über die Familie von Julia Mann. In der Neuen Rundschau – siehe Neuerscheinungen – ist ein Text von ihr publiziert.

    Ihre Sprache ist in der Mischung von Witz und Ernst an Thomas Mann geschult, und es macht Spaß, ihr zuzuhören.

    Zum Abschluß des Vormittags wurde unter der Überschrift Ambivalenzen – Ethnische Identifikation bei Thomas Mann unter der Leitung von Sandra Kegel über das vorher Gesagte diskutiert.

    Irmtraud Hnilica Veronika Fuechtner Kai Sina Sandra Kegel

    Am Samstagnachmittag dann die übliche Mitgliederversammlung. Zur Eröffnung gab Herr Wißkirchen bekannt, daß die Mitgliederzahl im Laufe des Frühlings die Tausendermarke überschritten habe. Die vielfache Präsenz Thomas Manns in allen Kulturmedien trug dazu bei, auch die des politischen Thomas Mann, der in der gegenwärtigen Weltlage aktueller denn je ist. Es standen keine Wahlen an, daher wurde in erster Linie Vereinsformalitäten abgehandelt. Ich berichtete von den Aktivitäten unseres Ortsvereins – siehe Anlage 2 – und hatte die Ehre, unsere georgische Freundin Natia Tscholadze auf die Bühne bitten zu dürfen. Ihren Bericht finden Sie unter Anlage 3.

    Am Abend war wieder eine Überraschung geboten: zwei junge, mir unbekannte aber offenbar sehr populäre Menschen, Annika Brockschmidt und Thomas Laschyk berichteten in der Moderation von Tim Lörke über ihren Kampf im Internet gegen die rasende Verbreitung von Verschwörungstheorien, die, und das nicht nebenbei, auch schon das Weiße Haus in Washington erobert haben. Mit der halb-theatralischen Lesung von zwei Auszügen aus den Kridwiß-Kapiteln des Doktor Faustus des Lübecker Schauspielers Michael Fuchs wurde der gar nicht ferne Bezug zu Thomas Mann hergestellt.

    Der Sonntagvormittag stand unter der Überschrift Thomas Mann und die Demokratie. Noch mehr als bei den anderen Themen schwebte der Schatten Trumps und dessen Angriff auf die amerikanische Demokratie über der Tagung. Dies hob auch Prof. Dr. Tobias Boes von der University of Notre Dame, USA, bei seiner Einführung hervor.

    Es folgte der Vortrag der Direktorin des Buddenbrookhauses Dr. Caren Heuer. Wie eingangs beim Vortrag von Mely Kiyak möchte ich diesen mit dem Adjektiv fulminant belegen. Diese beiden Reden bildeten inhaltlich die große Klammer um die Jubiläumstagung. Thomas Mann hätte sich nicht träumen lassen, daß irgendwann viele Frauen an der Spitze der Thomas Mann Forschung und Repräsentanz stehen. Und es ist gut so.

    So komme ich mit dem Ende der Tagung auf den Anfang zurück: Unter der Moderation von Caren Heuer wurden jüngst erschienene Bücher von ihren Autorinnen und Autoren vorgestellt, hier im Bild:

    C. Heuer K. Holzer H. Wißkirchen O. Fischer F. Marx B. Hoffmeister

    Zur Verabschiedung erinnerte Hans Wißkirchen daran, mit wieviel Häme vor 50 Jahren die 100-Jahr-Feierlichkeiten in der Presse überschüttet wurden. „Langweilige Altherrenveranstaltung“ war noch eine der harmlosen Bezeichnungen. Hierzu hatte man nun ein lebendiges, vielgestaltiges und internationales Gegenbild gestaltet. Aber es waren damals nicht nur alte Menschen anwesend, sondern auch unser junger Hans Büning- Pfaue, der sich damals, um Einlaß zu bekommen, vom Fundus des Theaters einen Frack ausleihen mußte. Diese Geschichte durfte er zum Finale zum Besten geben.

    So weit mein Bericht zur Tagung. Möge er als Werbung gelesen werden nicht nur, zu den Jahrestagungen zu kommen, sondern auch – an die Interessierten an unserer Arbeit adressiert – Mitglied zu werden, in der Muttergesellschaft und im Ortsverein. Denn dann kann man auch am Stammtisch teilnehmen, zu dem neben mir sicher noch andere Teilnehmer kommen werden, die ihre Wahrnehmung der Tagung in lockerer Runde verbreiten können. Es sind bei mir schon einige Anmeldungen eingegangen zu unserem Stammtisch am 26.Juni um 18.00 im DeliKart im Landesmuseum Bonn. Ich werde am Sonntagabend bereits dort sein (Ausstellung Jupp Darchinger!). Ich bitte, sich bis dahin anzumelden, damit ich einen hinreichend großen Tisch reservieren kann.

    Zum Abschluß noch ein Blick zurück auf unsere Veranstaltung im Uni-Club: Sie war sehr gut besucht, wir hatten über 100 Gäste, – davon sehr viele nicht Mitglieder unseres Ortsvereins – ich erntete von allen Seiten Lob für die Lesung von Bernt Hahn des Briefs an den Dekan und für die Berichte Mikhail Shishkins zur Lage der russischen Kultur im Exil unter Bezugnahme auf Thomas Mann, auf dessen Pochen auf den Geist der Humanität gegenüber aller Tyrannei.

    Allein: Es war eine sehr defizitäre Veranstaltung. Die 100 Gäste spendeten etwas mehr als 600.- Euro und tranken für mehr als 400.- Euro Wein. Sämtliche Spesen und Honorare mußten noch beglichen werden. Eine weitere Veranstaltung im Uni-Club kann unter den offenbar unverrückbaren Konditionen nicht durchgeführt werden. Und dennoch war es eine gute und wichtige Veranstaltung, die uns auch mindestens zwei neue Mitglieder einbrachte – und auch die gute Bekanntschaft mit Mikhail Shishkin, dessen aufopferungsvolle Arbeit ich weiter verfolgen und unterstützen werde.

    Er hatte auf der Bühne von seinem Literaturpreis „Dar“ gesprochen. Im Juni wurde von der Jury Maria Galina als Gewinnerin gekürt. Maria Galina ist eine ukrainische Schriftstellerin, die in russischer Sprache schreibt. Sie hat am Ende den Preis nicht angenommen. Hierzu waren in der Presse mißverständliche bis falsche Mitteilungen zu lesen.

    Mikhail hat mir hierzu den als Anlage 4 beigefügten umfänglichen Brief geschrieben. Ich wünsche ihm Kraft.

    Vielleicht sieht man sich in einer Woche im Delikart – beste Grüße ihr Peter Baumgärtner


    Anlage 1: Neuerscheinungen


    Anlage 2: Bericht des Ortsvereins Bonn-Köln 2025

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich will wieder mit der Mitgliederentwicklung unseres Ortsvereins beginnen, dieses Mal in besserer Stimmung, konnte der Mitgliederverlust aus dem vergangenen Jahr doch wieder wettgemacht werden, und – einen angekündigten Beitritt mit eingerechnet – wir wieder bei der Zahl 90 angekommen sind. Es sind erfreulicherweise einige „jüngere“ Mitglieder zu uns gestoßen – jung sind alle unter 60 – und besonders hervorheben möchte ich Herrn Jens Lehmann, der sich uns vorgestern bereits vorgestellt hat als der Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages.

    Woran liegt das? Thomas Mann wird nicht nur ob des Jubeltages, den wir heuer hier feiern, als relevant für unsere Gegenwart wahrgenommen – aus meiner Sicht aus zwei Gründen: Erstens ob seines mehr oder minder offenen Umgangs mit dem Thema Homosexualität im Künstlerischen wie im Privaten, und zweitens wegen seines politischen Engagements, das seine zweite Lebenshälfte prägte. Beide Themen nahmen im vergangenen Jahr wesentliche Räume unseres Programms ein.

    Zum ersten Themenkomplex paßt Oliver Fischers Buchvorstellung »Man kann die Liebe nicht stärker Erleben«, womit wir uns mit dem „Anderen Buchladen“ in Köln einen neuen Veranstaltungsort erschlossen. Auch die Uraufführung des Films »Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann« kann man zu dieser Kategorie zählen, wenngleich dieser Film einen sehr freien Umgang mit dem Thema Thomas Mann darstellt, eher ein Kunstwerk aus eigenem Recht sein will als ein ernsthafter Umgang mit dem Leben und Werk des Dichters.

    Michael Navratils Vortrag »Ironischer Elitarismus« kann als Brücke zum politischen Thomas Mann angesehen werden, erkennt er doch in den letzten beiden Romanen »Der Erwählte« und »Felix Krull« einen Ausdruck des ästhetischen Eskapismus angesichts einer verzweifelten Weltlage und in der gesteigerten Ironie und zum Teil genüsslichen Frivolität auch eine Absage an Dogmatismus und starre Weltanschauungen. Thomas Manns subversive Ironisierung wird zu einer genuin künstlerischen Gestaltungsform demokratischen Denkens. Ich denke, daß Herr Navratil hier einen Schlüssel im Zugang zu Thomas Mann sehr knapp und präzise umrissen hat – und damit auch einen Anhaltspunkt geliefert hat zur Aktualität Thomas Manns in dieser schwierigen Lage der Welt.

    Der „politische“ Thomas Mann begann, entzündete sich in seinem Verhältnis zu Frankreich. Die französische Intelligenz dankte ihm zu seinem 80.Geburtstag mit einer »Hommage de la France à Thomas Mann«. Das Buch ist in Druck, leider konnte ich es hier noch nicht vorlegen, ich werde laut ausschellen, wenn das Buch verfügbar ist.

    Im Thema Thomas Mann und die Universität Bonn kann man das Thema Thomas Mann und die Politik wie in einem Brennglas beleuchten. Für alle Nicht- Bonner hier: Thomas Mann wurde 1919 mit der Ehrendoktorwürde der philosophischen Fakultät Bonn ausgezeichnet – für seine Betrachtungen eines Unpolitischen, welche natürlich genau gegenteilig wahrgenommen wurden in einer erzkonservativen Fakultät. Thomas Manns Hinwendung zur Politik wurde in Bonn mit Entsetzen wahrgenommen und man begann den aus einem Mischblut aufgesprossenen Dichter mit verbalem Schmutz zu bewerfen. Nach 1933 stimmt man in Bonn in den Münchner Chor derer ein, die Thomas Mann möglichst rasch die Staatsbürgerschaft und somit auch die Ehrendoktorwürde entziehen wollten, allen voran seien da die Herren Himmler und Heydrich zu nennen. In Berlin stand Goebbels auf der Bremse, er wollte vor Olympia jeden Skandal vermeiden. So wurde die nationale und akademische Exkommunikation erst im Dezember 1936 vollzogen, worauf Thomas Mann mit dem berühmten Brief an den Dekan vom 1.Januar 1937 reagierte, diesem Meisterstück politischer Prosa, das wir am gerade vergangenem 13.Mai an der Bonner Universität vor mehr als 100 Menschen von Bernt Hahn vortragen ließen. Mit auf der Bühne war Mikhail Schischkin, der in der Schweiz lebende russische Schriftsteller, der auf zutiefst eindrückliche Weise von seiner Arbeit zur Ehrenrettung der russischen Sprache und Kultur berichtet. In seinen Vorträgen und Publikationen in aller Welt bezieht er sich immer wieder auf Thomas Mann, in seinem konkreten Handeln, in der Unterstützung unbekannter Autoren, ist ihm Thomas Mann gleichermaßen Vorbild. Gleichwie Thomas Mann in seinen Jahren des Exils auf Schritt und Tritt unter Beobachtung stand, so ergeht es auch Mikhail Schischkin.

    Womit wir bei meinem letzten Thema angekommen sind. Wie in den letzten Jahren haben wir zu Gast die Begründerin des Thomas-Mann-Freundeskreises von Thomas Mann aus Georgien Frau Dr. Natia Tscholadze. Aus vorgenannten Gründen bat sie mich, bei ihrer Vorstellung nicht über Politik in ihrem Lande zu sprechen. Wenn sie nun ihre Arbeit vorstellt, behalten Sie diese laut hallende Leere im Sinn und füllen Sie diese mit Ihrem Applaus. Danke.


    Anlage 3: Natia Tscholatze, Bericht aus Georgien

    Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde,

    ich begrüße Sie herzlich im Namen der georgischen Thomas-Mann-Gesellschaft!

    Mit großer Freude und Stolz möchte ich Ihnen heute die bisherige Tätigkeit und die Zukunftspläne der georgischen Thomas-Mann-Gesellschaft vorstellen.

    Schon kurz nach ihrer Gründung hat unsere Gesellschaft sowohl unter deutschen als auch unter georgischen Fachleuten und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern große Aufmerksamkeit erregt. Diese breite Unterstützung ermöglichte es uns, bereits im ersten Jahr mit aktiver und fruchtbarer Arbeit zu beginnen.

    Die Hauptziele unserer Gesellschaft sind:

    • die Förderung der deutschen Sprache und Literatur in Georgien;
    • die Wiederbelebung, Reflexion und Verbreitung von Thomas Manns Leben und Werk in unserem kulturellen Raum.

    Die ersten Schritte zur Umsetzung dieser Ziele waren bereits erfolgreich:

    Am 16. November 2024 fand an der Musikschule „Meliton Balantschivadse“ eine Jubiläumsveranstaltung statt, die Thomas Manns weltberühmtem Roman Der Zauberberg gewidmet war. Anlass war das 100-jährige Jubiläum der Veröffentlichung dieses Meisterwerks. An diesem Abend nahmen prominente Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft teil, unter ihnen: Prof. Nino Firtzchalawa, Dr. Maia Pantschikidse, der beliebte Schauspieler Reso Tchchikwischwili sowie die Sängerin Nino Shatberaschwili.

    Die zweite Veranstaltung fand am 22. Februar 2025 im Kino „Sakartvelo“ in Kutaissi statt. Sie war Thomas Manns berühmter Novelle Der Tod in Venedig gewidmet.

    Prof. Manana Paichadse hielt einen hochinteressanten Vortrag zum Thema:

    „Literarische Narration und Filmsprache am Beispiel von Thomas Manns ›Der Tod in Venedig‹ (Visconti – Adaptor oder Epitomator?)“.

    Im Anschluss daran wurde der gleichnamige Spielfilm des großen Regisseurs Luchino Visconti gezeigt – ein Meisterwerk der Filmgeschichte.

    Ebenfalls am 22. Februar wurde ein bedeutender Schritt in Richtung institutioneller Zusammenarbeit getan: Ein Memorandum wurde zwischen der Thomas-Mann- Gesellschaft Kutaissi und dem georgischen Verband der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer (DVG) unterzeichnet. Dieses Memorandum bildet eine solide Grundlage für gemeinsame, groß angelegte Projekte und Veranstaltungen, die die Integration der deutschen Sprache und Kultur in Georgien weiter vertiefen werden.

    Am 3. Mai 2025 fand an der Staatlichen Universität Samzche-Dschawachetien ein weiteres wichtiges Ereignis statt: die Veranstaltung „Deutsch für Große und Kleine“. Im Rahmen dieser Veranstaltung stieß das von unserer Gesellschaft initiierte Projekt „Entdecke die Welt von Thomas Mann“ auf großes Interesse.

    Am 17. Mai 2025 fand in Tiflis eine thematische Kultur- und Bildungsveranstaltung statt, organisiert vom Verband der Deutschlehrerinnen Georgiens. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde die georgische Thomas-Mann-Gesellschaft vorgestellt. Dabei wurden die Chronologie ihrer Gründung, ihre bisherigen Aktivitäten sowie ihre zukünftigen Pläne präsentiert. Die Präsentation stieß beim Publikum auf reges Interesse.

    Unsere Zukunftspläne sind besonders ambitioniert und beeindruckend:

    Das Jahr 2025, in dem sich Thomas Manns Geburtstag zum 150. Mal jährt, bietet eine einzigartige Gelegenheit. Aus diesem Anlass wird unsere Gesellschaft den Zyklus von Jubiläumsveranstaltungen fortsetzen.

    Bereits im Oktober ist eine groß angelegte wissenschaftliche Konferenz geplant, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Georgien teilnehmen werden. Diese Konferenz wird nicht nur ein akademisches Ereignis sein, sondern ein kulturelles Fest – ein vielschichtiges Ereignis zu Ehren Thomas Manns.

    Unsere Vision geht weit über literarische Veranstaltungen hinaus:

    Wir planen Bildungsprogramme, Publikationen, Jugendprojekte sowie den Aufbau neuer Partnerschaften in den Regionen.

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    die Thomas-Mann-Gesellschaft in Georgien ist bereits heute zu einer kulturellen Brücke zwischen Deutschland und Georgien geworden. Doch dies ist erst der Anfang. Wir glauben fest daran, dass wir mit vereinten Kräften noch viele wertvolle Projekte ins Leben rufen können.

    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und lade alle Interessierten herzlich ein, sich uns auf diesem inspirierenden Weg anzuschließen.


    Anlage 4: Brief von Mikhail Shishkin

    Lieber Peter

    Herzlichsten Dank für Deine Email und Deine Unterstützung! Das ist sehr wichtig für mich.

    Aus dem Bericht in der FAS kann man nicht verstehen, was eigentlich passiert ist. Hier einige Informationen, um die Situation zu klären.

    Wie erwartet, ist es nicht einfach im vierten Kriegsjahr, die russischsprachige Literatur zu unterstützen.

    Man versteht hier im Westen nicht, warum Maria Galina (sie schreibt auf Russisch, lebt in Odessa) am Wettbewerb teilgenommen hat, sehr gerne im deutschen Fernsehen Interviews zum Thema „Dar-Preis“ gegeben hat, den Preis gewonnen hat, aber in der letzten Minute nicht angenommen hat, dabei mit der Erklärung, dass sie die russischsprachige Literatur nicht unterstützen will, weil das die Sprache des Aggressors ist. Hier im Westen ist es kaum vorzustellen, unter welchem Druck russischsprachige Schriftsteller in der Ukraine leben, also müssen wir ihre Entscheidung mit Verständnis betrachten, sie hat Angst vor Hetze bekommen. Ich habe das auf der Website des Preises in einer Erklärung kommentiert:

    «Maria Galina hat ein wichtiges Buch auf Russisch geschrieben und es zum Wettbewerb des neuen Literaturpreises ‚Dar‘ eingereicht, dessen Ziele klar definiert sind und die jeder auf der Website nachlesen kann: “Der Preis wurde geschaffen, um russischsprachige Autoren zu unterstützen und zu fördern, unabhängig von ihrem Wohnort und ihrer Staatsangehörigkeit. Wir wollen die Aufmerksamkeit auf neue Stimmen und die besten Beispiele der zeitgenössischen russischsprachigen Literatur lenken. Der Preis will eine neue Kultur schaffen, in der die russischsprachige Literatur den ihr gebührenden Platz in der Welt einnimmt, da sie der Menschheit und nicht den Diktaturen verpflichtet ist.“

    Maria Galinas Buch „Neben dem Krieg. Odessa“ erhielt völlig zu Recht die Unterstützung der Jurymitglieder und wurde zum Gewinner der ersten Saison des Preises.

    Als Maria erfuhr, dass sie den Preis gewonnen hatte, weigerte sie sich, ihn anzunehmen. In einem offenen Brief begründete sie ihren Standpunkt, dass sie Russisch als Sprache eines Aggressorlandes nicht unterstützen wolle. Ich akzeptiere ihre Entscheidung.

    Mehrere westliche Verlage, die ich kenne, hatten bereits während des Abstimmungsprozesses großes Interesse an der Veröffentlichung der Bücher aus der Shortliste gezeigt. In den Medien verschiedener Länder gab es bereits zahlreiche Veröffentlichungen und Videoberichte über den Preis «Dar», z. B. führte die deutsche Fernsehsendung „Kulturzeit“ auf 3Sat, die dem Preis gewidmet ist, ein großes Interview mit Maria Galina (Link unten). Ich zweifle nicht daran, dass ihr Buch, das

    durch den Gewinn unseres Wettbewerbs bekannt geworden ist, in Übersetzungen erscheinen und eine breite Leserschaft finden wird. In diesem Sinne ist die Aufgabe unseres Preises erfüllt – es ist uns gelungen, sowohl russischsprachige Leser als auch westliche Verleger auf diesen Text aufmerksam zu machen. Ich wünsche Maria und ihrem Buch von ganzem Herzen Erfolg und freue mich, dass dies der Erfolg unseres Preises «Dar» ist.

    Die Übersetzungsbeiträge, die Maria Galina abgelehnt hat, gehen an die Gewinner der zweiten Staffel. Die Gewinner der Juryabstimmung werden also im nächsten Jahr nicht ein, sondern zwei Bücher sein, die die Mehrheit der Jurystimmen erhalten werden.

    Die nächste Saison des Literaturpreises „Dar“ wird am 1. September 2025 eröffnet. Wir machen weiter.»

    https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/michail-schischkin-ruft-russischen-literaturpreis-ins-leben-100.html

    Maria Galina hat mir darauf geschrieben:

    «Lieber Mikhail, vielen Dank für dein Verständnis und deine Geduld! Und für die Unterstützung, die du der Ukraine von Anfang an gegeben hast. Das erforderte in dieser Situation viel Mut und Standhaftigkeit. Und es wird für immer bleiben. Maria Galina»

    Wir sind im Krieg, und in der Ukraine sterben Menschen täglich seit Jahren. Viele russischsprachige Kulturschaffende erleben in der Ukraine diesen Druck durch die radikalen Nationalisten, Maria auch. Aber öffentlich werden sie das kaum wagen zu sagen, denn jeder, der klare Stellung für die Ukraine und gegen das putinsche Regime bezieht, aber sich dabei für die russische Sprache einsetzt, wird durch radikale Nationalisten zum Staatsfeind erklärt und gehetzt. Das ist leider die Realität, und Maria Galina und andere russischsprachige Kulturschaffende müssen in dieser Realität leben.

    Ohne das zu verstehen, kann man die Absage Galinas nicht verstehen. Und dieses schmerzhafte Thema müssen die ukrainischen Intellektuellen öffentlich behandeln.

    Ich verstehe und akzeptiere diese Welle des Hasses gegen alles Russische in der Ukraine, die durch diese schreckliche Aggression ausgelöst wurde. Und es schmerzt mich zu sehen, wie ukrainische Dichter, Schriftsteller, Künstler und Musiker, die sich im Westen für Solidarität mit allen Kulturschaffenden unabhängig von ihrer Sprache einsetzen, die die Ukraine unterstützen, zu Hause unter die Räder des Hasses der Ultranationalisten geraten. Das ist die Realität der Ukraine, und es steht mir nicht zu, sie zu verurteilen.

    Es war mir immer wichtig, gemeinsam mit ukrainischen Schriftstellern aufzutreten. Ich habe sehr viele Freunde in der Ukraine, und seit Beginn dieses Krieges nach der Besetzung der Krim bin ich mehrfach in verschiedenen Ländern gemeinsam mit Andrej Kurkow, Jurij Andruchowytsch, Serhij Schadan, Alexander Kabanow, Borys Chersonskyj und anderen ukrainischen Dichtern und Dichterinnen, Schriftstellern und Schriftstellerinnen aufgetreten. Denn es ist so wichtig zu zeigen, dass wir, die Menschen der Kultur, gemeinsam gegen die aufkommende Barbarei Widerstand leisten. Sowohl Kultur als auch Barbarei kennen keine nationalen Grenzen. Als die groß angelegte putinsche Invasion begann, führten Jurij Andruchowytsch und ich eineinhalb Stunden lang ein Gespräch im deutschen Radiosender SWR4, ich aus dem Studio in Basel, er aus Lemberg. Im März 2022 trat ich gemeinsam mit Andrej Kurkow (Andrej und ich sind seit vielen Jahren befreundet) in Oslo auf – der riesige Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. So muss es sein – russische und ukrainische Schriftsteller gemeinsam gegen den putinschen Krieg.

    Dann gerieten ukrainische Schriftsteller, die sich gemeinsam mit russischen Schriftstellern gegen die Aggression des Putin-Regimes aussprachen, innerhalb der Ukraine unter Druck. Im August 2022 traten wir erneut gemeinsam mit Jurij Andruchowytsch in Norwegen beim Festival in Molde auf. Es war ein wunderbarer Abend – Solidarität der Kulturschaffenden gegen Putins Krieg. Aber danach begann in den ukrainischen sozialen Netzwerken ein regelrechter Shitstorm gegen Yuri. All das ist im Internet zu finden. Ultranationalisten beschuldigten ihn auf Facebook, ich zitiere: „Ein Russe – egal, ob er für Putin ist oder gegen ihn – ist Scheiße. Du hast ihn berührt – du stinkst!“ Es tat weh zu lesen, wie Yuri sich zu rechtfertigen versuchte, dass wir bei gemeinsamen Auftritten nie Russisch mit ihm gesprochen hätten, sondern nur Deutsch oder Englisch. Man kann andere ukrainische Autoren verstehen, die sich einer solchen Hetzkampagne nicht aussetzen möchten. Einige Wochen später sollte ich zusammen mit Andrej Kurkow auf der Buchmesse in Göteborg auftreten, wir waren bereits im Programm angekündigt, aber ich erhielt eine E-Mail von Andrej, dass er den gemeinsamen Auftritt absagt und mich um Verständnis für diesen Schritt bittet. Kurz darauf trafen wir uns auf der Buchmesse in Frankfurt. Wir hatten getrennte Auftritte, aber in der Pause trafen wir uns und umarmten uns. Er sagte zu mir: „Mikhail, du verstehst doch alles!“ Das alles ist schwer und traurig.

    Eine solche Haltung der Ablehnung aller Russen aufgrund ihrer Nationalität, selbst derjenigen, die die Ukraine in ihrem Kampf unterstützen, war in den ersten Monaten des Krieges emotional verständlich, hilft aber im vierten Kriegsjahr nur noch Putins Propaganda. Die russische Sprache gehört nicht dem Diktator und seinen Mördern, sie gehört nicht dem russischen Staat und seinem Territorium. Mit dieser Sprache schaffen Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus verschiedenen Ländern die Kultur der Menschheit: In welcher Sprache schreibt die Schriftstellerin aus Belarus, die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch? In welcher Sprache schreibt der im

    Westen bekannteste ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow? Jede Sprache ist ein Instrument zur Schaffung von Kultur, ein Weg zur Entstehung eines Gefühls der Würde im Menschen. So wie Thomas Mann die deutsche Sprache vor Hitler verteidigen musste, müssen wir jetzt unsere Sprache vor Putins faschistischem Regime verteidigen.

    Natürlich habe ich mich gefreut, als ich sah, dass auch russischsprachige ukrainische Verlage und Schriftsteller und Schriftstellerinnen ihre Werke zum Wettbewerb des Literaturpreises «Dar» im letzten Herbst eingereicht hatten. Neben Maria Galina wurden auch der Kiewer Verlag „Drukarsky Dvor“ und die Schriftsteller Andrei Krasnjaschich und Sergei Solowjew in die Shortlist aufgenommen. Der Gewinner der Leserabstimmung für den Literaturpreis „Dar“ ist auch ein russischsprachiger ukrainischer Schriftsteller. Sergei Solowjew hat einen ukrainischen Pass, lebt aber nicht in der Ukraine, sondern in Deutschland und Indien, weit weg von den Ultranationalisten. Und Maria Galina, als sie erfuhr, dass sie den Preis gewonnen hat, hat realisiert, dass sie jetzt auch wie damals Juri Andruchowitsch unter die Walze der Hetze durch die Nationalisten geraten kann. Deshalb hat sie sich entschlossen, auf den Preis zu verzichten und zu erklären, dass sie die russische Sprache überhaupt nicht unterstützen will.

    Nun zu Beznosov-Anschuldigungen. Ich habe auf der Webseite des Preises eine Erklärung veröffentlicht (auf Russisch und Englisch):

    «Once again regarding Galina Rymbu’s accusations against Denis Beznosov.

    The genocide of the Ukrainian people and the deportation of Ukrainian children from the occupied territories of Ukraine is a heinous crime. All persons involved in this crime must certainly be identified and punished according to the law. The investigation is being carried out by the Ukrainian Government authorities and the International Criminal Court in The Hague. In the near future, the Special Tribunal for the Crime of Aggression against Ukraine will also deal with this issue.

    To what extent Denis Beznosov participated in these crimes (and whether he did) should be investigated by these competent authorities, not by the literary prize. The task of the Dar literary prize is to promote the finalists‘ books in every possible way, to attract the attention of social networks, press, translators, and publishers all over the world. And Dar successfully coped with its task in the first season. The books of the finalists have received and continue to receive a lot of attention in foreign media. The interest in the prize has been enormous, and we are already receiving a large number of applications for the next season. The accusations against one of the finalists were made only after the award season was already over, although the names of the shortlisted entrants had long been announced on the award’s

    website. No one made any accusations against Denis Beznosov for several months while the award was running.

    A literary award is not an investigative committee and proceeds from the presumption of innocence. If the Ukrainian state authorities investigating the crimes

    of the Russian Federation against Ukraine confirm in their official conclusion the accusations against Denis Beznosov, the Literary Prize will certainly take all measures in its power. People involved in crimes against humanity, in the deportation of Ukrainian children from the occupied territories, in the genocide of the Ukrainian people have no place near the Literary Prize “Dar”.»

    Alle Stifter, Mitstifter, Jurymitglieder, Experten, die an der Arbeit des Preises teilnehmen, sind gegen die putinsche Aggression und unterstützen die Ukraine in diesem Krieg, fast alle leben jetzt im Exil und wurden in der Russischen Föderation für ihre klar ausgedruckte politische Haltung und Unterstützung der Ukraine als

    «ausländische Agenten», «Extremisten» und «Terroristen» gebrandmarkt. Die putinsche Propaganda macht alles, um unsere Initiative – einen vom Regime unabhängigen Literaturpreis – zu untergraben. Leider helfen solche verwirrenden Publikationen, wie in der FAS, den putinschen Geheimdiensten.

    Der Preis „Dar“ leistet einen großen und sehr wichtigen Beitrag. Zwischen Ukrainern und Russen ist derzeit eine riesige Kluft entstanden, gefüllt mit Tod, Schmerz und Hass. Und mit jeder Rakete, die Wohnhäuser in Charkiw, Odessa oder Sumy trifft, wird diese Kluft nur noch größer und wird weiterwachsen. Aber früher oder später wird es notwendig sein, Brücken über diese Kluft zu schlagen. Die ersten, die diese Brücke schlagen werden, sind Menschen aus der Kultur – Schriftsteller, Künstler, Musiker. Für diese zukünftige Brücke ist es wichtig, jetzt die Würde der russischsprachigen Kultur zu bewahren, und mit dem Bau dieser Brücke muss schon jetzt begonnen werden. Dazu brauchen wir diese Initiative – den Literaturpreis „Dar“.

    Wir erhalten jetzt eine riesige Welle der Unterstützung von allen Seiten, auch PEN International, auch andere ukrainische russischsprachige Autoren und Autorinnen, auch bekannte westliche Schriftsteller, alle schreiben uns, wie wichtig das ist, was wir begonnen haben, und bitten uns, nicht aufzuhören. Und wir machen weiter.

    Die nächste Saison des Literaturpreises „Dar“ wird am 1. September 2025 eröffnet.

  • Rundbrief Nr. 73a

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    ich freue und bedanke mich dafür, bis dato 18 Anmeldun- gen zu unserer Veranstaltung im UniClub erhalten zu haben!

    Und ich bin mir auch sicher, daß noch mehr von Ihnen im Sinne haben, am Dienstag dorthin zu kommen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir dies kurz anzeigen würden, damit ich für eine passende Bestuhlung sorgen kann.

    Wir dürfen einen lauen Frühsommerabend erwarten, vom UniClub zur Innenstadt sind es nur wenige Schritte. Sie können vor oder nach der Veranstaltung die dortige Gastronomie genießen – bringen Sie Freunde und Bekannte mit.

    Den entsprechenden Werbe-Flyer habe ich nochmals angehängt.

    Für unsere ins Deutsche übertragene Hommage de la France à Thomas Mann sind bei Herrn Kempken inzwischen eine ganze Reihe von Bestellungen eingegangen. Da wir den Postversand von der Wurzerstraße aus erledigen wollen, bitte weitere Bestellungen an meine Adresse richten.

    Thomas Schmalzgrüber machte mich darauf aufmerksam, daß Sebastian Guggolz nicht nur in Bonn bei Böttger am 21.Mai über Thomas Manns 150.Geburtstag sprechen wird, sondern auch in Köln in der Agnes-Buchhandlung am Tag darauf zu Gast sein wird. Beide Veranstaltungen finden um 20.00 Uhr statt.

    In der Hoffnung, Sie am 13.Mai im UniClub treffen zu können grüßt herzlich Ihr Peter Baumgärtner

  • Rundbrief Nr. 73 + Anlage Uni Club

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    zuallererst und mit allem Nachdruck möchte ich Sie heute auf unsere Kooperationsveranstaltung mit dem Uniclub aufmerksam machen. Wie in meinem Rundbrief Nr.69 ausführlich dargelegt, beleuchten wir damit den wichtigsten Bezugspunkt Thomas Manns mit Bonn: Seine Ehrendoktorwürde – oder besser deren Aberkennung!

    Wir dürfen uns freuen auf die Lesung des uns wohlbekannten Sprechers Bernt Hahn und auf die Begegnung mit dem russischen Autor Michail Schischkin, von dem ich Ihnen auch schon mehrfach berichtete.

    Diese Veranstaltung gibt uns in dem schönen baulichen Rahmen des UniClubs auch die Möglichkeit, weit über unseren Mitgliederkreis hinaus bekannt zu werden. Die Einladung an die Mitglieder des Uniclubs habe ich Ihnen als PDF angehängt. Ich habe auch erstmals im Kultur-Magazin der Theatergemeinde Bonn ein Inserat platziert.

    Der Universitäts-Club stellt uns der Raum kostenlos zur Verfügung, ein festgesetztes Eintrittsgeld darf nicht erhoben werden. Die Kosten für die Honorare, die Spesen und das Glas Wein hinterher übernimmt unser Verein. Da kommt einiges zusammen. Ich bitte darum, sich für ihren Besuch einen nicht zu kleinen Schein für unsere Spendenbox bereit zu halten und für die Veranstaltung auch in Ihrem Bekanntenkreis Werbung zu machen.

    Mein Dank gilt dem Hotel KÖNIGSHOF, der so freundlich ist, als Sponsor die Beherbergung und Verköstigung von Herrn Schischkin und seiner Frau zu übernehmen.

    Der Uniclub bat mich, eine Abschätzung zu geben, wie viele Gäste kommen. Daher bitte ich Sie, Ihr kommen kurz bei mir zu avisieren. Besten Dank.

    Nach der Vorschau der Rückblick: Am Mittwoch, den 9. April stellte uns Oliver Fischer sein Buch Man kann die Liebe nicht stärker empfinden vorstellen in der Kölner Buchhandlung Der andere Buchladen vor. Die Veranstaltung war gut besucht, Thomas Schmalzgrüber moderierte souverän und stellte gezielt Fragen. Das Publikum war begeistert, die Kooperation mit den Inhaberinnen der Buchhandlung funktionierte reibungslos. Eine Zusammenarbeit, die wir wiederholen sollten.

    Beim Stammtisch am 10. April waren leider nur 5 Mitglieder anwesend. Diese konnten aber den Probedruck unseres Buchs Frankreichs Hommage an Thomas Mann in Augenschein nehmen. Letzte Änderungen wurden besprochen, auch entschieden, ein etwas größeres Format zu wählen, um der Gestaltung des französischen Originals von 1955 noch näher zu kommen.

    Der Datensatz für diese Ausgabe liegt nun druckfertig auf dem Rechner von Thomas Kempken. Inclusive aller Grundgebühren entstehen Herstellungskosten von 15.- Euro pro Exemplar, die wir entsprechend weiter berechnen. Wer Interesse an einer Ausgabe hat, möge sich bitte bei Thomas Kempken melden (thomas.kempken@fedex.com) Er wird dann gesammelt bestellen und die Bücher zum nächsten Stammtisch oder nach Lübeck mitbringen. Bei Postversand entstehen zusätzliche Kosten. Wie wir die Zahlungsabwicklung pragmatisch gestalten, teile ich beim nächsten Rundbrief mit. Es ist davon auszugehen, daß Herr Kempken bis dahin auch der „Herr“ über unser Konto ist. Die letzten Formalitäten laufen.

    Stammtisch! Wie erwähnt, waren zuletzt nur wenige Mitglieder anwesend. Diese erlaubten sich, den Termin für unser nächstes Treffen aufgrund der Feierlichkeiten in Lübeck und anderweitigen kirchlichen Feiertragen auf den 26. Juni um 18.00 Uhr wieder im Delikart im Landesmuseum Bonn zu verschieben. Ich bitte darum, mir bis 20.Juni eine Anmeldung zu schicken.

    Eine letzte Mitteilung: Sebastian Guggolz (Teamleiter Klassiker im Literaturlektorat des S. Fischer Verlags) wird am Mittwoch, den 21.Mai in der Buchhandlung Böttger über Thomas Mann zu dessen 150.Geburtstag sprechen.

    In der Hoffnung, Sie am 13.Mai im UniClub treffen zu können grüßt herzlich Ihr Peter Baumgärtner


    Liebe Mitglieder, Freunde und Förderer des Universitätsclubs,

    zu der folgenden Veranstaltung, die wir in Kooperation mit der Thomas-Mann- Gesellschaft durchführen, lade ich Sie herzlich ein:

    Am 2.Dezember 1936 vollzog die Reichsregierung nach langem Zögern die Ausbürgerung von Thomas Mann. Die Universität Bonn hatte lange darauf gedrängt und zögerte nicht, ihm am 19.Dezember auch die Ehrendoktorwürde zu entziehen. Am 1.Januar 1937 sandte Thomas Mann seine Erwiderung an den Dekan der philosophischen Fakultät. Der Text wurde im Verlag von Emil Oprecht sogleich zehntausendfach gedruckt und in ganz Europa verbreitet. Eine Sternstunde politischer Prosa in deutscher Sprache.

    Bernt Hahn ist Schauspieler und als Sprecher auf unzähligen Hörbüchern zu erleben. Bekannt wurde er durch die Einspielung von Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ und Goethes „West-Östlicher Divan“

    Michail Schischkin, ist ein mit vielen Preisen ausgezeichneter russischer Autor. Er lebt seit 1995 in der Schweiz. Seit der Besetzung der Krim durch Russland ist er der markanteste Gegner Putins aus dem Bereich der Literatur: „Einmal mehr greift ein Diktator zum Patriotismus, um seine Macht zu sichern. […] Die Machthaber von heute haben dem russischen Volk das Erdöl und das Gas, die Wahlen und das Land gestohlen. Und auch den Sieg (von 1945). […] Russen und Ukrainer aufeinanderzuhetzen ist eine unverzeihliche Niedertracht.“ (NZZ 2015) Wie Thomas Mann vor 88 Jahren versucht Schischkin, die Ehre der russischen Sprache und Kultur vor der Welt zu retten. Unerschrocken tritt er in allen Medien für seine Sache ein. Am 10.November 2024 hielt er in Marbach die Schillerrede. Er wird uns über sein Leben und seine Arbeit berichten.

    Die Veranstaltung wird gesponsert vom Hotel KÖNIGSHOF

  • Rundbrief Nr. 72

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    bevor wir zurückschauen, schauen wir nach vorne in die übernächste Woche hinein: Am kommenden Donnerstag, den 3. April 2025 wird, wie bereits mehrfach angekündigt, Oliver Fischer sein jüngst erschienenes Buch »Man kann die Liebe nicht stärker Erleben« vorstellen. Er erzählt darin die Geschichte der Beziehung Thomas Manns zu Paul Ehrenberg, es ist das Ergebnis jahrelanger Recherchearbeit des Autors. Oliver Fischer ist der Vorsitzende des Ortsvereins Hamburg und zugleich einer der Vizepräsidenten unserer Gesellschaft.

    Die Lesung findet statt in Der andere Buchladen in Köln, Ubierring 42, um 19.00 Uhr. Es werden 10.- Euro Eintritt erhoben. Das kleine Plakat, das ich hierzu entwickelt habe, finden Sie im Anhang. Ich freue mich, daß wir mit dieser Buchhandlung einen weiteren Partner für unsere Veranstaltungen gefunden haben. Die Anzahl der dort verfügbaren Sitzplätze ist beschränkt. Bitte melden Sie sich direkt dort an unter: suedstadt@der-andere-buchladen-koeln.de.

    Thomas Manns Brief an den Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Bonn wird uns – wie bereits mehrfach angekündigt – am 13.Mai im Uni-Club von Bernt Hahn gelesen. Zu Gast sein wird auch der russische, in der Schweiz lebende Schriftsteller Michail Schischkin, der, ähnlich wie Thomas Mann zu seiner Zeit, die Ehre und das Ansehen seiner Muttersprache und der Literatur seiner exilierten Landsleute retten will. Die Vorbereitungen zu dieser Veranstaltung sind noch voll im Gange. Einen elektronischen Flyer habe ich bereits konzipiert – Sie finden ihn im Anhang.

    Nun der erfreuliche Blick zurück auf den Vortrag von Dr. Michael Navratil im Haus an der Redoute in Bad Godesberg. Der Titel des Vortrags

    Ironischer Elitarismus. Menschlicher und erzählerischer Rang in Thomas Manns Der Erwählte und Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

    war uns allen etwas rätselhaft erschienen. Wie würde Navratil den Thomas Mann oft unterstellten Elitarismus mit seinem menschlichen Rang zusammenbringen? Welche Rolle spielt seine Ironie dabei? Er erinnerte daran, daß die relative politische Enthaltsamkeit innerhalb der Fiktion einerseits und das politische Engagement des Autors in der Realität andererseits als zwei Seiten derselben Medaille zu betrachten seien. Und er fuhr fort, daß die beiden letzten Romane Thomas Manns nicht nur seine humoristischsten sind und als Ausdruck des ästhetischen Eskapismus angesichts einer verzweifelten Weltlage anzusehen seien, sondern daß man in dieser gesteigerten Ironie und zum Teil genüsslichen Frivolität auch eine gewandelte Form einer demokratischen Ästhetik erblicken könne, eben als Absage an Dogmatismus und starre Weltanschauungen. Die subversive Ironisierung wird zu einer genuin künstlerischen Gestaltungsform demokratischen Denkens.

    In dieser äußersten Verknappung des Vortragsinhalts wird dessen Aktualität sichtbar. Der ganze Vortragstext ist im Jahrbuch 2023 nachzulesen. Das zahlreich erschienene Publikum dankte mit warmem Applaus. Die Art, wie Herr Navratil seine komplexen Gedanken sprachlich vermitteln kann, wurde allerseits bewundert. Ich habe ihn sogleich für das nächste Frühjahr zu einem weiteren Vortrag eingeladen. Wer noch mehr von seinen germanistischen Tiefenbohrungen lesen möchte, kann sich sein neues, bei De Gruyter erschienenes Buch: Kontrafaktik der Gegenwart. Politisches Schreiben als Realitätsvariation bei Christian Kracht, Kathrin Röggla, Juli Zeh und Leif Randt besorgen.

    Diese Woche tagte auch der Redaktionsrat unseres Buchprojekts Frankreichs Hommage an Thomas Mann in unserem „Dienstsitz“ und meinem Büro in der Wurzerstraße. Zugegen waren die beiden Übersetzer Axel Volhard und Thomas Schmalzgrüber, wie auch Thomas Kempken, der uns das Portal zu einem Verlag eröffnete, der selbst ertellte Bücher auf Bestellung produziert. Wir klärten die Typographie, den Umbruch, die Umschlaggestaltung und manches andere mehr, und gaben dann die Bestellung für ein Probeexemplar auf. Wir sind sehr gespannt! 70 Jahre nach seinem Erscheinen auf Französisch wird es zum 150. Geburtstag Thomas Manns auf Deutsch verfügbar sein, die preiswerte Taschenbuchausgabe für zwölf Euro, gebunden für zwanzig.

    Stammtisch! Wie sich die Teilnehmer der Mitgliederversammlung sicher erinnern können: Wir haben beschlossen, den Stammtisch zu verstetigen, uns alle zwei Monate zu treffen, das nächste Mal am 10. April um 18.00 Uhr im Delikart im Landesmuseum Bonn. Ich bitte darum, mir bis spätestens 6. April Anmeldungen zu schicken, damit ich einen entsprechend großen Tisch bestellen kann.

    Feuilleton

    Bei der Einladung zur Mitgliederversammlung habe ich auf die jüngst erschienene Neuausgabe von Thomas Manns Rundfunkansprachen während des Krieges hingewiesen.

    Ich gestehe, diese nun erstmals vollständig gelesen zu haben und, wie so oft, von der Macht seiner Sprache beeindruckt gewesen zu sein.

    In seiner Ansprache an die „Deutschen Hörer“ vom 28. Februar 1944 erinnert Thomas Mann an die frühen Schriften Heidens zur Hitlerei und macht auf eine Neuerscheinung in Amerika aufmerksam: Der Führer, Hitler’s Rise to power.

    Herrn Heiden sind wir schon einmal begegnet im Verlag von Emil Oprecht in Zürich, in dem 1937 Thomas Manns Brief an den Dekan der philosophischen Fakultät Bonn erschien, und – schon drei Jahre zuvor, 1934 – die erste Biografie Adolf Hitlers. Nun, neugierig genug, besorgte ich mir die 2016 erschienene Biografie Konrad Heidens, verfaßt von dem wohlbekannten Journalisten Stefan Aust. Titel: Hitlers erster Feind.

    Konrad Heiden, Jahrgang 1901, wuchs in München auf und hörte schon 1921 Hitler bei einer der ersten Nazi-Versammlungen reden. Er erkannte schnell, daß all der Unsinn, den er verzapfte, mit einer großen Gerissenheit gepaart war. Fortan bleibt er Hitler auf den Fersen, beobachtet, wie ungeschickt sich dieser Prolet in vornehmen Kreisen bewegt. In Gegenwart von Winifried in Bayreuth habe er das Gesicht eines Staatsanwalts bei einer öffentlichen Hinrichtung gemacht. Heiden nahm mit Entsetzen wahr, daß das Hohngelächter über die politischen Morde jener Jahre juristisch nicht geahndet wurden. Kurt Eisner 1919, Matthias Erzberger 1921 – ihm wurde der „Dolchstoß“ zur Last gelegt – wie auch Walter Rathenau, der im Juni 1922 ermordet wurde.

    Zum Jahrestag der Ermordung Walter Rathenaus hatte Konrad Heiden 1923 mit der Arbeitsgemeinschaft republikanischer Studenten eine Gedenkveranstaltung organisiert, zu der er keinen geringeren als Thomas Mann als Redner gewinnen konnte. Dieser sprach unter der Überschrift: Geist und Wesen der Deutschen Republik – Dem Gedächtnis Walter Rathenaus.

    Sich in diesen aufgewühlten Zeiten öffentlich zur Republik zu bekennen, bedurfte es großen Muts. Man bedenke: Die Franzosen waren im Januar ins Ruhrgebiet einmarschiert, die Inflation nahm Anlauf – der Preis für ein Kilo Brot übersprang gerade die 10.000-Reichsmark-Hürde und Thomas Mann steckten noch die heftigen Anfeindungen in den Knochen, die er nach seiner Rede Von Deutscher Republik im Oktober 1922 hatte ertragen müssen. Jene ist auch die bekanntere und häufig publizierte, nach der Rede vom Juni 1923 muß man suchen.

    Thomas Mann räumt gleich zu Anfang ein, daß er diese Rede nicht aus eigenem Verlangen, sondern jugendlichem Andringen nachgebend halten würde. Sein Ton ist verhalten, und dennoch beharrt er darauf, daß die deutsche Innerlichkeit nicht im Widerspruch zur demokratischen Staatsform steht, vielmehr Fundament sein könnte menschlicher Ganzheit und Vollständigkeit wie sie die Republik verkörpert. Die Innerlichkeit, die Bildung des deutschen Menschen, das ist: Versenkung; ein individualistisches Kulturgewissen; der auf Pflege, Formung, Vertiefung und Vollendung des eigenen Ich … gerichtete Sinn;… Das klingt alles fürchterlich altmodisch, ist mir aber sehr nah. Für ihn folgt daraus, daß die Einheit von Staat und Kultur … den Grundgedanken der Republik ausmacht… Auch da hat er mich.

    Thomas Mann scheut sich in der Rede nicht, das Verhalten der französischen Politik als vollkommen schlecht zu bezeichnen – die Besetzung des Rheinlandes – , ohne dabei in Revanchismus zu verfallen, vielmehr sieht er die Gefahr, daß die deutsche Jugend dadurch dem politischen Obskurantismus, das heißt: der Reaktion in die Arme getrieben wird. – Um am Ende die jungen Leute, die ihn zu der Rede aufgefordert haben, zu ermutigen: Die republikanische Jugend Deutschlands begreift, daß Humanität die Idee der Zukunft ist, diejenige, zu der Europa sich durchringen, mit der es sich beseelen und der es leben muß – wenn es nicht sterben will.

    Konrad Heiden hat diesen Auftrag angenommen.

    Im November 1923 Hitlers Putschversuch. Dessen feige Flucht und das milde Luxus-Urteil, das er bekam, verfolgt Heiden aus der Nähe und verfaßt Reportagen darüber, noch nicht wissend, daß er zehn Jahre später all dieses Material für die erste Biografie des Diktators gebrauchen konnte. Aber er ahnte vieles. Spätestens nach dem Erscheinen von Mein Kampf mahnte er, daß Hitler alles genauso meine, wie er es von Heß hat aufschreiben lassen. Und nach der „Nacht der langen Messer“, der Nacht der Ermordung Röhms und der vollständigen SA-Führung, wußte er sich bestätigt.

    Wer die entsetzlichen Vorgänge in Deutschland richtig verstehen will, darf nicht vergessen, daß der Beruf von Mördern das Morden ist. Er muß sich vor Augen halten, daß das Element von Kriechtieren der Sumpf ist. Und vor allem muß er stets daran denken, daß das Geschäft von Lügnern das Lügen ist.

    Heiden flieht zunächst in die Schweiz und ist dann bis 1935 im Saarland als Redakteur tätig, leidenschaftlich damit beschäftigt, bei den Saarländern ein Bewußtsein von den Vorzügen Frankreichs zu wecken. Vergeblich, wie man weiß. Dann die Flucht nach Paris, wo er mit Klaus Mann in intensivem Kontakt ist, und immer wieder Zürich, wo er von Oprecht Unterstützung erfährt, und auch die Gelegenheit bekommt, die besagte erste Hitlerbiografie zu veröffentlichen. Dies macht ihn nicht nur in der noch freien westlichen Welt bekannt, sondern auch in Berlin. Er bekommt die zweifelhafte Ehre, auf die gleiche Ausbürgerungsliste wie Thomas Mann gesetzt zu werden.

    1939 scheint seine Flucht vor den heranrückenden Deutschen in einem südfranzösischen Nest in eine Sackgasse geraten zu sein. Thomas Mann, als Mitglied des Rescue- Committee, setzt sich für ihn ein, und daher weiß auch Varian Fry, wen er zu den ganz besonders gefährdeten Personen rechnen muß.

    Nach unendlichen Strapazen erreicht er Lissabon, wo er bis Oktober 1940 warten muß, bis er auf einem Frachtschiff für relativ kleines Geld nach Amerika ausreisen kann. Auf- grund seiner Bücher ist er dort sofort ein gefragter Mann, und in Berlin wird jeder Vortrag registriert, den er in den USA hält.

    Ein zentraler Satz, geschrieben 1936 zur Neuauflage von „Geburt des Dritten Reiches“ lautet: „Es – das Buch – sucht zu schildern, wie eine Welt unterging, weil sie der eigenen Kraft nicht mehr vertraute, an die volle Ruchlosigkeit des Gegners nicht glaubte, mit der Treulosigkeit Verträge und mit der Vernichtung Frieden schloß.“

    Wenn dieser Satz nur nicht so wahnsinnig aktuell wäre.

    Herzlich Grüße Ihr Peter Baumgärtner


  • Rundbrief Nr. 71

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    dieser Rundbrief soll zunächst an unsere Veranstaltung nächste Woche Freitag erinnern: Dr. Michael Navratil wird am 14. März 2025 um 19.00 Uhr im Haus an der Redoute in Bad Godesberg sprechen zum Thema:

    Ironischer Elitarismus. Menschlicher und erzählerischer Rang in Thomas Manns Der Erwählte und Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

    Ich bat ihn um Erläuterungen zu seinem Vortragstitel und erhielt folgenden Text:

    Dass sich Thomas Mann ab den 1920er Jahren zum aufrechten Demokraten wandelte, gehört beinahe schon zu den Klischees der Forschung. Wie aber kommt es, dass Thomas Mann in seinen letzten beiden Romanen Der Erwählte und Die Bekenntnisse des Felix Krull ausgerechnet zwei dezidierte Ausnahmeindividuen ins Zentrum stellt, welche die Idee der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen in Zweifel zu ziehen scheinen? Der Vortrag widmet sich dem ‚ironischen Elitarismus‘ in Thomas Mann späten Texten, indem er der Frage nachgeht, inwiefern sich gerade eine erzählerisch-ironisierte Präsentation des Menschlich-Exzeptionellen als Teilstrategie einer demokratischen Ästhetik begreifen lässt.

    Ich dankte für diese vielversprechende Ankündigung. Sie rückt ganze neue Aspekte in den Fokus – das macht neugierig, hoffentlich nicht wenige von Ihnen. Es wäre nett, wenn Sie mir ihr Kommen kurz anzeigen könnten, damit ich hinreichend viele Stühle aufstellen kann. Wir erheben keinen Eintritt, bitten aber höflich um eine Spende von 10.- Euro – es dürfen gerne mehr sein.

    Der Vortrag von Oliver Fischer wird nicht wie angekündigt am Mittwoch, den 9. April stattfinden, sondern bereits eine Woche früher am Donnerstag, den 3.April um 19 Uhr, wie gehabt in der Buchhandlung Der andere Buchladen, in der Filiale Ubierring 42. Oliver Fischers Buch Man kann die Liebe nicht stärker empfinden wurde in der Mitgliederversammlung sehr gelobt und er wird im gesamten deutschsprachigen Raum zu Lesungen geladen. Wir dürfen uns auf den Termin freuen.

    Noch ein Wort zum übernächsten Termin im UniClub: Michail Schischkin wurde heute ausführlich in der Kulturzeit auf 3-sat vorgestellt, insbesondere seine Initiative, ein Literaturpreis für russischsprachige Autoren auszuloben, die in Rußland nicht mehr publizieren dürfen. Es war ein sehr interessanter Beitrag, in dem auch verschiedene Autoren vorgestellt wurden, die es bereits auf die Shortlist geschafft haben. Am Dienstag, den 13.Mai wird uns Herr Schischkin mehr dazu berichten können.

    Am Ende eine traurige Nachricht: Der von uns allen wohl hoch geschätzte Hanjo Kesting ist vor wenigen Tagen gestorben und mit ihm ein großer Freund Thomas Manns. Vor beinahe zehn Jahren hielt er uns an der Universität den Vortrag

    “Musik, Dämonie und Deutschtum – Aspekte des Doktor Faustus“

    Bei der Gelegenheit machte ich die beigefügte Aufnahme. Vor zwei Jahren stellte er bei Böttger Glanz und Qual vor, und im letzten Frühjahr sprach er ebenda zu Jean Améry. Ich hatte in den Rundbriefen darüber berichtet. Ich schätzte Hanjo Kesting nicht nur als hoch kompetenten Literaturkenner, sondern auch als uneitlen und nie überheblichen Menschen. Meine laienhaften Fragen beantwortete er mit Humor und Geduld.

    Wir werden ihn vermissen. Ich bin in Trauer um ihn.

    Die Mitglieder des Ortsvereins erhalten mit der folgenden Mail das Protokoll unserer Jahresversammlung. Auf Ihren Besuch beim Vortrag von Herrn Navratil würde ich mich freuen.

    Auf bald Ihr Peter Baumgärtner

  • Rundbrief Nr. 70 + Gemeinsam gelesen: Doktor Faustus.

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    zunächst wünsche ich Ihnen allen, das neue Jahr gesund und mit viel Lebenszuversicht begonnen zu haben, bereit, es mit den Herausforderungen unserer Tage aufzunehmen.

    Dieser Rundbrief dient der Vorbereitung unseres nächsten Stammtischs, der in erster Linie unsere Jahresmitgliederversammlung sein wird. Ich habe die Nichtmitglieder in Kopie genommen, damit sie sehen, was sie alles verpassen. Die formelle Einladung und die Tagesordnung finden die Mitglieder in der getrennten Elektro-Post.

    Neben vielen vereinsinternen Dingen werde ich folgende Veranstaltungstermine ankündigen und näher ausführen:

    In meinem Bericht zur Jahrestagung 2024 (Rundbrief 67) sahen Sie nicht nur Oliver Fischer auf der Bühne sitzen, sondern auch Dr. Michael Navratil. Wie angekündigt, habe ich ihn zum Vortrag eingeladen. Er wird zu uns am 14. März 2025 um 19.00 Uhr im Haus an der Redoute in Bad Godesberg sprechen zum Thema:

    Ironischer Elitarismus. Menschlicher und erzählerischer Rang in Thomas Manns Der Erwählte und Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

    Ich freue mich auf seine ansteckende Begeisterung für sein Thema, auf seine routiniert- eloquente Art, komplexe Themen verständlich darzulegen. Schauen Sie sich auf seine homepage um: michael-navratil.de – vielleicht laden wir ihn an diesem Abend gleich ein zweites Mal ein.

    Am Mittwoch, den 9. April wird um 19 Uhr Oliver Fischer sein Buch Man kann die Liebe nicht stärker empfinden vorstellen, und zwar in Köln in der Buchhandlung Der andere Buchladen, in der Filiale Ubierring 42. Ich hatte das Buch bereits im letzten Rundbrief ausführlich vorgestellt und freue mich darüber, mit dieser Buchhandlung neue Kooperationspartner unseres Ortsvereins gefunden zu haben.

    Am Dienstag, den 13.Mai um 19 Uhr sind wir mal wieder zu Gast im Uni-Club Bonn: Bernt Hahn wird Thomas Manns Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn vom 1. Januar 1937 lesen, Manns Reaktion auf den Entzug der Ehrendoktorwürde und der offiziellen Ausbürgerung. Ich berichtete darüber ausführlich im letzten Rundbrief.

    Da das Thema Exil ein sehr aktuelles ist – es durchzog schon unser Programm des letzten Jahres – habe ich Herrn Michail Schischkin hinzugeladen, den in der Schweiz im Exil lebenden Schriftsteller, der an Schillers Geburtstag am 10.November die Festrede halten durfte, in der er über die russische Exilliteratur sprach. Darüber wird er auch uns berichten, von dem Literaturpreis, den er ins Leben gerufen hat. Er wird begleitet von seiner Frau Evgeniya, mit der zusammen er den Verlag Petit-Lucelle Publishing house gegründet hat. Auch diesen wird er vorstellen.

    Da wir gerade beim Thema sind: Die Briefe, die mich aus Georgien erreichen, klingen enttäuscht, traurig – aber nicht verzagt. Die Bereitschaft, sich für das freie Wort, für den freien Geist zu engagieren, ist nach wie vor gegeben. Viele der tapfersten Demonstranten wurden gefoltert und eingesperrt, andere setzen sich ins Ausland ab. Man hat Sorge, daß eine bleierne Zeit in Georgien anbricht, daß die Unterdrückung am Ende greift wie in Weißrußland. Diese Sorge wurde verstärkt, nachdem sich in der größten Weltmacht ein Mann ohne jegliche ethischen Grundsätze an die Macht gelogen hat.

    Um das Thema Exil zum Abschluß zu bringen: Im Anhang finden Sie die Eröffnungsrede zu den Tagen des Exils von Christopher Hope, die von der Körber-Stiftung online gestellt wurde – auch als Video-Aufzeichnung in seinem gut verständlichen Englisch.

    Seine Mischung aus Trauer und Witz ist auch sprachlich ein Vergnügen.

    Bernhard Schoch gibt noch folgenden, ganz besonderen Hinweis und Empfehlung: Rainer Nellessen, der frühere Leiter der Karl Rahner Akademie, veranstaltet regelmäßig Literaturkurse zu ausgewählten Romanen. In diesem Frühjahr ist der Doktor Faustus an der Reihe, und zwar an fünf Nachmittagen in März und April dieses Jahres. Eine sehr intensive und fruchtbare Auseinandersetzung mit diesem Hauptwerk Thomas Manns. Als Berufstätiger habe ich leider nicht die Möglichkeit, daran teilzunehmen. Es wäre schön, wenn ein Mitglied unseres Ortsvereins daran teilnehmen könnte und anschließend berichten. Weitere Einzelheiten zu diesem Kursus finden Sie im Anhang.

    Eine vergnügliche Perspektive will ich ans Ende setzen: Mein Vorgänger und Gründer unseres Ortsvereins Prof. Hans Büning-Pfaue regt an, daß wir im zweiten Halbjahr, nach den großen Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag Thomas Manns in Lübeck ein Sommerfest eben zu diesem Anlaß in Bonn feiern, bei dem er von den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Thomas Manns berichten wird, bei denen er bereits zugegen war. Selbst Fotos und Einladungskarten finden sich noch in seinen Schubladen – wir dürfen sehr gespannt sein! Über das Wann und Wo sollten wir bei der Mitgliederversammlung sprechen.

    Herzlich Ihr Peter Baumgärtner

    PS: Am findet im Schauspiel Bonn die Premiere der Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull statt – ist schon ausverkauft, weitere Vorstellungen folgen.


    Gemeinsam gelesen: Doktor Faustus.
    Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde

    Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann

    Thomas Manns 1947 erschienenes vielschichtiges Werk verknüpft den Künstler- und Musik-Roman mit dem Faust-Mythos und der Frage, wie die Kulturnation Deutschland einen Pakt mit dem barbarischen Nationalsozialismus schließen konnte.

    Die Leser*innen haben ihren je eigenen Zugang zu diesem Roman. Gemeinsam gelesen gibt die Möglichkeit, über die unterschiedlichen Leseweisen miteinander ins Gespräch zu kommen, neue Aspekte zu entdecken.

    Bitte lesen Sie den Roman vor Beginn des Kurses. Zur Vorbereitung wird zusätzlich empfohlen: Thomas Mann Die Entstehung des Doktor Faustus (1949) mit wichtigen Hinweisen zu Quellen und Struktur des Romans und zeitgeschichtlichen Zusammenhängen.

    10. März

    17. März

    24. März

    31. März

    7. April

    Mo 14:30 bis 16:45 Uhr

    Rainer Nellessen ehemaliger Studienleiter der Karl Rahner Akademie

    40 Euro

    Die Zahl der Teilnehmer*innen ist auf 12 Personen begrenzt.

    Anmeldung erforderlich

    bei Karl Rahner Akademie, Jabachstraße 4 – 8, 50676 Köln www.karl-rahner-akademie.de

    Tel. 0221 / 8010780

    E-Mail: info@karl-rahner-akademie.de

  • Rundbrief Nr. 69 + Anlage Der Mathematiker, der sich für Richard Wagner prügelte

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft,

    vor allen anderen Dingen möchte ich auf den nächsten Stammtisch-Termin hinweisen, der gleichzeitig unsere Jahresmitgliederversammlung sein wird: Wir sehen uns am

    Donnerstag, den 20. Februar 2025 um 18.00 Uhr im Haus der Schlaraffia.

    Die Tagesordnung und weitere Details folgen im neuen Jahr. Bitte merken Sie sich den Termin vor, nachdem beim letzten Stammtisch aus verschiedensten Gründen nur zehn Mitglieder anwesend waren.

    Nun seien auch die Interessierten an unserer Arbeit begrüßt – die (Noch-) Nicht-Mitglieder – die den Film Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann vielleicht auch gesehen und eine Lust entwickelt haben, sich in unserem Kreis über diesen Casus zu unterhalten. Beim Stammtisch war das Echo auf den Film ambivalent. Ich erlaubte mir, der Produktionsfirma, die mich zur Premiere eingeladen hatte, wie folgt zu antworten (Auszüge):

    was Sebastian Schneider (Hauptdarsteller) spielerisch und sprachlich leistet, ist phänomenal. … Als Thomas Mann-Purist muß ich einige Vorbehalte anbringen: Das Gespräch mit dem Hauptdarsteller, dem Regisseur und dem Drehbauchautor war erhellend. Der normale Kinobesucher wird diesen Luxus nicht haben, und wird mit seiner Frage alleingelassen sein: Warum machen die das so? Erst bei diesem „Nachspiel“ habe ich begriffen, daß der Film als Kunstwerk an sich zu begreifen ist, keinesfalls eine Verfilmung des Krull, obgleich er chronologisch der Erzählung folgt. Der Film fokussiert sich auf die sexuellen Aspekte der Handlung, was betont wird durch die pfauenhaften Kostümierungen der Hauptfigur – sie soll die verborgenen Sehnsüchte Thomas Manns nach außen kehren. Diesen Anspruch kann man als Anmaßung begreifen. Es macht die Künstlerperson Thomas Mann eben aus, daß er sich eine „Verfassung“ gab, eine Fassade, eine öffentliche Rolle, hinter der er wesentliche Eigenheiten seiner Person versteckte, und dieser innere Druck war ihm Antrieb für sein ganzes Schaffen.

    Dieser innere Druck wurde allerdings nicht nur gespeist von seinen wie auch immer gearteten sexuellen Präferenzen, er hatte sich stets die Frage vorgelegt wie ein sittliches Zusammenleben der Menschen ohne religiösen Rückbezug gestaltet werden kann, die Frage nach dem Humanismus also. Dieser Aspekt kommt in ihrem Film nicht vor oder wird plakativ nach außen gewandt, was Thomas Mann sehr befremdet hätte.

    Den Maler Friedel Anderson kennenlernen zu dürfen, war eine Bereicherung für uns alle. Mir war, als würde das Bildnis des Dorian Gray geschaffen das sich am Ende wandelt in ein Altersbildnis. Ein Kunst-Event innerhalb dieses Filmkunstwerks.

    Dieses Thema, die Homosexualität Thomas Manns, wird uns auch beschäftigen, wenn uns Oliver Fischer sein Buch Man kann die Liebe nicht stärker empfinden vorstellt. Wann und wo dies sein wird, ist noch nicht klar. Aktuell bin ich auf der Suche nach einer Buchhandlung in Köln, die sich für das Buch und das Thema offen zeigt. Vorab möchte ich es ihnen schon warm ans Herz legen – hier einige Sätze dazu:

    Nach jahrelanger Recherche-Arbeit hat er ein Buch vorgelegt, die die jungen Jahre Thomas Manns in einem klareren Licht erscheinen lassen. Oliver Fischer hat Germanistik, Kunstgeschichte und Theologie studiert und verdient sein Geld als freier Journalist. All dies merkt man dem Buch an: Es ist bei aller Gründlichkeit sehr gut lesbar geschrieben. Der von Thomas Mann angehimmelte Paul Ehrenberg war Künstler – Olivers Expertise in Sachen Kunstgeschichte kommen diesem Aspekt zugute. Ein ganzes Kapitel ist der Geschichte des gesellschaftlichen Umgangs mit Homosexualität gewidmet, den strengen Gesetzen hierzu und dem Vertuschen in rechtslastigen Männerbünden. Ich habe vieles gelernt!

    Oliver legte sich Fragen vor, denen andere Biographen auswichen oder nur mit spitzen Fingern anpackten. Und er wagt Antworten! Auch solche, die Thomas Mann gar nicht gut dastehen lassen.

    Zudem ist das Buch großzügig ausgestattet mit teils farbigen Abbildungen und Lesebändchen. Wenn wir mit Oliver Fischer zusammen sind, wird sich sicher eine lebendige Diskussion ergeben. Ich schrieb ihm bereits, daß mir das Werben Thomas Manns um Katja Pringsheim in zu einseitigem Licht dargestellt erschien: Die Mühe, die ihn dies kostete, lag keineswegs allein in dem sexuellen Sich-Verbiegen. Er, der seit seinem 16ten Jahr vaterlos ein „wurstiges“ Künstlerleben führte, mußte sich nun Tag für Tag in Gesellschaft bewähren – einem Schwiegervater gegenüber, der diesen dahergelaufenen Tintenkleckser mißtrauisch beäugte. Mußte er sich nicht fühlen wie Morten Schwarzkopf, der um die Hand der Senatorentochter anhält?

    In meinem Bericht zur Jahrestagung 2024 (Rundbrief 67) sahen Sie nicht nur Oliver Fischer auf der Bühne sitzen, sondern auch Dr. Michael Navratil. Wie angekündigt, habe ich ihn zum Vortrag eingeladen. Er wird zu uns

    am 14. März 2025 um 19.00 Uhr im Haus an der Redoute in Bad Godesberg sprechen zum Thema:

    Ironischer Elitarismus. Menschlicher und erzählerischer Rang in Thomas Manns Der Erwählte und Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

    Womit wir Felix Krull von einer weiteren Seite beleuchten können. Ich freue mich auf seine ansteckende Begeisterung für sein Thema, auf seine routiniert-eloquente Art, komplexe Themen verständlich darzulegen. Schauen Sie sich auf seine homepage um: michael-navratil.de – vielleicht laden wir ihn an diesem Abend gleich ein zweites Mal ein.

    Georgien

    Wie sich die Lage in Georgien darstellt, haben Sie sicher aus den Medien erfahren. Von Natia Tscholadze erreichen mich Briefe voll wütender Entschlossenheit. Sie unterstützt die jungen Leute, die in Tiblissi demonstrieren, mit allem, was sie hat, und weiß sehr wohl, daß ihr Mailverkehr vielleicht überwacht wird, wie auch jener von hunderttausenden von anderen entschlossenen Bürgern Georgiens. Alle kämpfen nun mit offenem Visier. Der Kampf ist jetzt heiß. Wenn er verloren geht, beginnt für die Menschen dort eine neue Eiszeit. Viele werden ins Ausland fliehen.

    Ich habe ihr (wieder auf Umwegen) Geld zukommen lassen. Falls Sie sich anschließen möchten, bitte Spenden unter dem Stichwort „Georgien“ auf unser Konto bei der Sparkasse Köln-Bonn anweisen: DE86 3705 0198 1902 2707 17 (Siehe hierzu Sonder-Rundbrief Nr. 63)

    Feuilleton

    Nun komme ich zurück auf den Rundbrief Nr. 67, auf den Vortrag von Friedhelm Marx: Thomas Mann im amerikanischen Exil. Er gab damals den Hinweis, daß sein früherer Lehrer Prof. Norbert Oellers 1983 an einem Colloquium zur 50. Wiederkehr des 30.Januar 1933 teilnahm. Die Beiträge wurden in einem Bouvier-Bändchen unter dem Titel: Literatur und Germanistik nach der Machtübernahme publiziert, das noch heute lesenswert ist.

    Gleich zu Anfang betreibt Peter Pütz eine begriffliche Klarstellung: An dem besagten Datum fand keine Machtergreifung statt, sondern die Macht wurde dem schnauzbärtigen Unhold übergeben.

    Oellers zitiert in seinem Text Dichtung und Volkstum – Der Fall der Literaturwissenschaft aus den Betrachtungen eines Unpolitischen die sehr politischen Äußerungen wider die Demokratie, wider die ‚Zivilisation‘ – und wider Frankreich ganz allgemein – einer Haltung, aus der sich Thomas Mann 1922 zum Geburtstag von Gerhard Hauptmann herauszuwinden suchte.

    Oellers erinnert an die Napoleonischen Kriege als Keimzelle der „Erbfeindschaft“. Goethes Sympathie für die positiven Impulse Napoleons ignorierte man im 19. Jahrhundert offenbar vollständig – und führt aus, daß stramm nationalistische Haltungen in der Literaturwissenschaft aus jener Zeit herrühren und nicht 1933 erfunden wurden. Die Kurzbiografien seiner Amtsvorgänger sind ebenso skurril wie traurig. Erschreckend das Bild der Studentengeneration jener Jahre, deren begeisterte Teilnahme an den Bücherverbrennungen.

    In seinem Text erwähnt Oellers auch das Buch von Paul Egon Hübinger: Thomas Mann, die Universität und die Zeitgeschichte, erschienen 1974.

    Der Autor war ein anerkannter Historiker, dem man vorwarf, Nestbeschmutzer zu sein, der aber trotz aller Schwierigkeiten die Sache durchstand. Ich war über den schwerleibigen Band mit 640 Seiten erschrocken, las ihn dann aber mit großer Begeisterung, ist er doch spannend wie ein Krimi.

    Hübinger berichtet, daß bereits 1906 erste Seminare zu Erzählungen von Thomas Mann an der Universität Bonn stattfanden. 1911 wurde Thomas Mann erstmals nach Bonn eingeladen, um aus einigen Erzählungen zu lesen.

    Zunächst widmet sich Hübinger der Frage, wofür Thomas Mann seine Ehrendoktorwürde erhalten hat. Von der entscheidenden Sitzung des Fakultätsrats gibt es kein Protokoll. Hübinger ist auf Indizien angewiesen, auf Briefe im Hintergrund und ist sich am Ende sicher: Die Betrachtungen eines Unpolitischen gaben den Ausschlag, auch wenn in der Urkunde nur die Buddenbrooks erwähnt werden.

    Diese Ehrung war für Thomas Mann eine sehr wichtige Auszeichnung, zumal es die erste dieser Art war. Sie wurde ihm 1919 verliehen anläßlich des – verschobenen – 100- jährigen Jubiläums der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Im Jahr zuvor herrschte Krieg, und auch 1919 konnte Thomas Mann nicht anreisen: das Rheinland war noch französisch besetzt. – Ob er ein Visum bekommen hätte?

    Erst im Spätherbst 1920 kann er die Auszeichnung persönlich entgegennehmen. Prof. Berthold Litzmann läßt nun die Maske fallen, er betont in seiner Begrüßung, welch innerlichen Nachhall die ‚Betrachtungen eines Unpolitischen‘ in Bonn gefunden hatten und wie sehr man Thomas Manns aus einem Mischblut aufgesprossene … Entscheidung zum Deutschtum in ihrem Bekenntniswert erkannt hatte. Die ‚Bonner Zeitung‘ berichtete: Er [Thomas Mann] wehrte sich dagegen, daß Litzmann der Jugend ihn nicht nur als eine Persönlichkeit tiefsten künstlerischen und deutschen Gewissens, sondern als ein Führer vorgestellt hatte. Er fühle sich nicht begabt zum Mann der Geste, des Mir-nach, der emphatischen Fahnenvoranträgerei.

    So viel zur Geisteshaltung in der Bonner Universität, in der sich in den 20er Jahren dann Erschütterung über die Abtrünnigkeit Thomas Manns breit machte. Die öffentlichen Verunglimpfungen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Man ist fragt sich, weshalb Thomas Mann nicht schon fünf Jahre früher in die Schweiz auswanderte.

    In Bonn freute man sich, daß die faschistische Staatsführung schon ‘33 ein Gesetz erließ, das die Ausbürgerung von im Ausland lebenden Renegaten erleichterte, und diese sollte den Entzug aller anderen bürgerlichen Ehrentitel nach sich ziehen. Auf diese Ausbürgerung wartete man an der Uni Bonn, um nicht selbst aktiv werden zu müssen. Die Studentenschaft war als treibende Kraft ganz vorne mit dabei, aber auch ein bayrischer SS-Mann namens Heydrich. Doch in Berlin zögerte man, mit Heinrich und Klaus hatte man kurzen Prozess gemacht, aber gegen Thomas lag nichts Greifbares vor. Seine Wagner-Rede reichte nicht hin. Doch man hatte ihn im Visier: Wo auch immer er einen Vortrag hielt: Ein Gestapo Mann saß im Publikum. Welche Zeitung auch immer ein Interview mit ihm führte, sei es in Paris oder New York: Eine Kopie gelangte nach Berlin.

    Im Februar 36 schien die Stunde gekommen, Manns Replik auf Korrodi war deutlich genug – aber die Olympiade stand vor der Tür. Man wollte keinen internationalen Skandal. Heydrich war inzwischen in Berlin angekommen, Goebbels stand auf der Bremse. Man wandte sich an Hitler, der „sackharte“ Flüche wider Thomas Mann ausstieß, aber auch die Sommerspiele vorüber gehen lassen wollte. Zur Begründung der Ausweisung konnte Hübinger sieben Konzepte nachweisen, die sämtlich verworfen wurden – erst die achte wurde Thomas Mann zugestellt; und auch dies erst nachdem man sich in Wien erkundigt hatte, ob man ihm nicht die österreichische Staatsbürgerschaft zugesprochen hätte – dies hätte die förmliche Ausweisung unnötig gemacht.

    So wird die Ausbürgerung Thomas Manns erst am 2.Dezember 1936 öffentlich gemacht, nicht wissend, daß dieser seit dem 19. November schon tschechischer Staatsbürger war, die Ausbürgerung somit gegenstandslos und die Aberkennung der Ehrendoktorwürde ohne rechtliche Grundlage.

    Und Thomas Mann ‚schoß‘ zurück: Am 1. Januar 1937 ging sein Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn auf die Post, tags zuvor war er bei dem Buchhändler und Verleger Emil Oprecht zu Gast. Ein Mann, mit dem sich Thomas Mann sehr verbunden fühlte und der allzu jung verstarb. Thomas Mann hielt eine bewegende Trauerrede am 13.10. 52. Ich zitiere daraus: …und meine schönste Erinnerung an ihn ist die an die Stunde, Silvesterabend 1936, als ich ihm den eben geschriebenen Brief nach Bonn, jene Streitschrift gegen die Verderber Deutschlands, vorlas, die dann dank seiner Initiative ihren Weg um die Welt machte. Nie vergesse ich den Ausdruck, mit dem er, als ich geendet hatte, stumm meine Hand ergriff und sie drückte. Ich glaube, es standen Tränen in seinen Augen.

    Bis Ende Februar waren 20.000 Exemplare der Abschrift des Briefes verkauft, er wurde in fast alle europäischen Sprachen übersetzt, mit Tarneinbänden versehen und so ins Reich geschmuggelt.

    An diesen wunderbaren Menschen Emil Oprecht erinnerte Peter Stahlberger in dem 1970 im Züricher Europa-Verlag erschienenen Buch Der Züricher Verleger Emil Oprecht und die deutsche politische Emigration. Oprecht (1895-1952) hatte zunächst als explizit linker Verleger erste Erfolge mit Ignazio Silone, bevor er sich in den 30er Jahren als der Verfechter des freien Wortes in der Schweiz entwickelt. Er verlegte neben vielen anderen Autoren Romane von Heinrich Mann, und hatte 1935 einen großen Erfolg mit der Herausgabe der ersten Hitler-Biographie von Konrad Heiden (1901-1966). Stahlberger zitiert einige Passagen: wunderbar respektlos, frech und treffend: Ein gescheiterter Mann und ein gescheitertes Volk verbinden sich.

    Zurück zu Thomas Mann und Uni Bonn: Bereits in der ersten Fakultätssitzung im Juli 1945 stand das Thema Wiederannäherung an Thomas Mann auf Platz eins der Tagesordnung. Man begann sogleich, einen Brief an ihn zu formulieren, wurde sich unsicher, textete ein Telegramm und ließ dann beides liegen. Kluge Menschen hatten den Rat dazu gegeben und zurecht angenommen, der Meister könnte verschnupft reagieren, wenn all jene, die während der braunen Zeit an der Uni in Lohn und Brot standen, die letzten zwölf Jahre kurzerhand vergessen machen wollten.

    Man besann sich und wandte sich 1947 an den in England im Exil lebenden Althistoriker Wilhelm Levison mit der Bitte, im Namen der Bonner Hochschule bei Thomas Mann vorzufühlen. Levison war der Hübingers Doktorvater, ein aus dem Rheinland stammender und in der ganzen Welt hoch angesehener Historiker, der 1939 mit knapper Not noch nach England gelangte. Der Wiki-Eintrag über ihn ist sehr lesenswert.

    Jedenfalls gab Thomas Mann dem Ansinnen statt, unter der Bedingung, daß alle Körperschaften der Uni diesen Schritt ausdrücklich begrüßten: Er wußte wohl, welch üble Nachrede in den Nachkriegsjahren über ihn im Umlauf waren. Diese Bedingung zu erfüllen, fiel allein dem ASTA schwer: Die Studenten waren zu jung, um Thomas Mann wirklich zu kennen, hatten ihre Schulbildung unter dem Hakenkreuz erhalten, und wenn dort der Name Thomas Mann erwähnt wurde, dann nur als Vaterlandsverräter…

    Am Ende dieses kurzen Referats über ein großartiges Buch und somit auch ans Ende dieses Rundbriefs möchte ich Norbert Oellers zitieren, der seinerseits in seinen oben erwähnten Bericht aus 1983 Brechts Galilei zitiert: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat.“ Und Galilei korrigiert: „Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“ Und Oellers kommentiert: „Helden zu fordern, steht keinem zu, der keiner war oder ist. Aber jeder darf wünschen, daß sie in Zeiten der Not nicht ganz ausbleiben.“

    Wenn ich dies lese, kann ich nicht umhin, an unsere Natia in Georgien zu denken. Denken auch Sie an sie.

    Ich wünsche friedvolle Weihnachtstage. Herzlich Ihr Peter Baumgärtner


    Aus der Süddeutschen Zeitung:

    Alfred Pringsheim

    Der Mathematiker, der sich für Richard Wagner prügelte

    15. November 2024, 14:55 Uhr  |  Lesezeit: 7 Min.

    Der Münchner Alfred Pringsheim war Hitzkopf, Kunstsammler, Musiker, Intellektueller – und Schwiegervater von Thomas Mann. Über einen klugen Kopf, dessen brillante Lebensleistung in Vergessenheit geraten ist.

    Von Wolfgang Görl

    Die junge Schauspielerin Hedwig Dohm, Tochter des Schriftstellers Ernst Dohm und seiner Frau Hedwig, einer berühmten Feministin, war im Sommer 1876 ins Bayreuther Haus Wahnfried eingeladen. Dort, berichtet sie später, gab Richard Wagner „in unverfälschtem Sächsisch“ Anekdoten von sich und dessen Gattin Cosima führte als „Grande Dame“ häusliche Regie. Zu den Gästen der Wagner’schen Soiréen gehörte in den Jahren zuvor auch „der kleine Dr. Alfred Pringsheim“, denn „der Meister hatte sich mit dem jungen Anbeter, dem er auch zu sämtlichen Proben Zutritt gegeben, (…) förmlich angefreundet“. Diese Freundschaft fand ein jähes Ende, und zwar nicht, weil Pringsheim seinem Hausgott Wagner abtrünnig wurde, sondern weil er dessen Ehre in allzu vehementer Weise verteidigte.

    Der Vorfall ereignete sich in einem Bayreuther Gasthof. Unter den Zechern war ein Berliner Kritiker, der zu vorgerückter Stunde wetterte, das ganze Bayreuth sei „purer Schwindel“, und es wäre ein Leichtes, „mit einigen Strauß’schen Walzern die ganze Sippe vom Festspielhügel herunterzulocken“. Wagner-Anbeter Pringsheim sah sich zum Eingreifen genötigt. Einen Bierkrug hatte er schnell zur Hand, und diesen schlug er dem Lästerer auf den Kopf. Pringsheim brachte die Attacke einige süffisante Berichte in der Presse sowie den Beinamen „Schoppenhauer“ ein. Das Haus Wahnfried reagierte pikiert. Umgehend brach man die Verbindung zu Schoppenhauer ab.

    Im kollektiven Gedächtnis ist Alfred Pringsheim, wenn überhaupt, als Schwiegervater Thomas Manns präsent. Das aber wird seiner Lebensleistung nicht im Mindesten gerecht.

    Pringsheim war ein bedeutender Wissenschaftler, ein brillanter Lehrer, war talentierter Musiker sowie kenntnisreicher Kunstsammler, und gemeinsam mit seiner Frau, eben jener Schauspielerin Hedwig Dohm, gehörte er zur Crème de la Crème der Münchner Gesellschaft der Prinzregentenzeit und der Weimarer Jahre. In der Villa der Pringsheims in der Arcisstraße gingen die besten Künstler, Wissenschaftler und Intellektuellen ein und aus – bis die Nazis an die Macht kamen und alles zerstörten.

    Alfred Pringsheims Heimat war Ohlau in Schlesien, wo er am 2. September 1850 auf die Welt kam. Die Pringsheims waren eine weitverzweigte jüdische Familie, die viele Industrielle, Unternehmer, Wissenschaftler und Gelehrte hervorbrachte. Alfreds Vater Rudolf Pringsheim war ein schwerreicher Mann. Ihm gehörten große Kohlengruben, und er war ein erfolgreicher Eisenbahnunternehmer, der Oberschlesien durch ein Netz von Schmalspurbahnen erschloss. Mit seiner Frau Paula und den Kindern residierte er in einem prachtvollen Palais in der Berliner Wilhelmstraße.

    Als Rudolf Pringsheim starb, erbte der einzige Sohn Alfred ein sagenhaftes Vermögen. Die Schwester Maria wurde mit einer Summe von 3270000 Goldmark ausgelöst. Der Mathematiker Friedrich Ludwig Bauer schreibt im zweiten Band der Buchreihe „München leuchtet für die Wissenschaft“: „Alfred Pringsheim wurde 1914 in Rudolf Martins ’Jahrbuch der Millionäre‘ mit einem Vermögen von 13 Millionen Goldmark an 22. Stelle in Bayern verzeichnet, sein Jahreseinkommen wurde mit 800000 Goldmark angegeben.“

    Ein Kapitalist also, ein Mann der Upperclass, der sich aber den Künsten und der Wissenschaft verschreibt, vorwiegend der Mathematik. Er studiert das Fach in Berlin und Heidelberg, ehe er sich im Jahr 1877 an der Universität München habilitiert. In München, so erzählt er in einem selbstverfassten Lebenslauf, habe „ich seit dieser Zeit – und zwar seit 1886 als außerordentlicher, seit 1901 als ordentlicher Professor – eine über die verschiedenen Zweige der Analysis, Functionen-Theorie, Algebra und Zahlentheorie sich erstreckenden Lehrtätigkeit ausgeübt“.

    Pringsheim ist ein hervorragender Mathematiker, der mehr als 100 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. Nicht ohne Stolz vermerkt er in seinem Lebensabriss: „Meine in den zuerst ausgegebenen Heften der ,Enzyklopädie‘ enthaltenen grundlegenden Artikel ,Irrationalzahlen und Convergenz unendlicher Processe‘ und ,Grundlagen der allgemeinen Functionslehre‘ haben durch eine geschickte Mischung von historischer und systematischer Darstellungsweise vielfach vorbildlich gewirkt.“ Seine Vorlesungen, erinnert sich einer seiner Studenten, „waren stets bis in die kleinsten Einzelheiten sorgfältig ausgearbeitet und mit vielen witzigen und unterhaltenden Bemerkungen gewürzt“. Diese Talente bleiben nicht verborgen. 1894 wird Pringsheim zum außerordentlichen, vier Jahre später zum ordentlichen Mitglied der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt.

    Fünf Kinder! Pringsheim lässt ein Stadtpalais in München bauen

    Zu dieser Zeit ist Pringsheim in München längst etabliert. Mitte der 1870er-Jahre hatte er Hedwig Dohm kennengelernt, die am renommierten Meininger Hoftheater spielte. Unter anderem gab sie Shakespeares Julia, und dabei saß der junge Mathematiker im Publikum und war bezaubert. Im Oktober 1878 heirateten die beiden. Pringsheim richtete sich mit seiner Gattin in einer Etagenwohnung in der Arcisstraße ein. Hier kamen die ersten drei Kinder zur Welt, Erik, Peter und Heinz. Im Sommer 1883 erwartete Hedwig das vierte Kind, sie war gerade in einer Ferienvilla in Feldafing am Starnberger See. Wieder ein Sohn, Klaus, doch dann rief die Bauersfrau, die bei der Geburt zugegen war. „Jessas! Es kommt noch eins.“ Das war Katharina, die Katia.

    Fünf Kinder! Auf Dauer könnte es ungemütlich werden in der bisherigen Wohnung. Pringsheim beauftragte ein Berliner Architektenbüro, in der Arcisstraße 12 ein Stadtpalais zu errichten. Es entstand eine mit Erkern und Türmchen verzierte Villa, ausgestattet mit elektrischem Licht, Zentralheizung und Telefon. Die großen Empfangs- und Wohnräume prunkten im gediegenen Renaissance-Stil, und um die obere Wandhälfte lief ein Fries des Malers Hans Thoma, der eine paradiesische Ideallandschaft ins Bild gesetzt hatte. In den Wandschränken, Simsen und Nischen glänzten Kunstschätze. Selbstbewusst konstatiert der Hausherr: „In kunstwissenschaftlichen Kreisen gelte ich als Kenner und erfolgreicher Sammler von Kunstgegenständen der Renaissance. Insbesondere ist meine Sammlung italienischer Majoliken die bedeutendste Privatsammlung dieser Art.“

    Das Musikzimmer ist mit 63 Quadratmetern besonders groß ausgefallen – nicht zufällig. Musik hatte schon im Elternhaus eine überragende Rolle gespielt. Der kleine Alfred lernte Klavier spielen und war bereits als Jugendlicher ein vorzüglicher Pianist. Vor allem Wagners Kompositionen hatten es ihm angetan, einige von ihnen hat er fürs Klavier zu vier Händen bearbeitet. Zusammen mit seinem Vater war er einer der Ersten, der „Patronatsscheine“ zur Unterstützung der Bayreuther Festspiele erwarb. Dass sein „leidenschaftliches Wagnerianertum“ (so der Dirigent Bruno Walter) im Zusammenspiel mit seiner Hitz- köpfigkeit zum Bruch mit Bayreuth führte, muss ihn arg getroffen haben.

    Und dennoch: Pringsheim hatte es geschafft. Universitätsprofessor, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Besitzer eines Palais, das zu den angesehensten Adressen Münchens zählt. Selbst Mitglieder der Hofgesellschaft lassen sich gelegentlich blicken, dann das Theatervolk, allen voran die Sängerin Milka Ternina, mit der er eine – von seiner Frau zwangsläufig geduldete – Affäre hat, dazu Koryphäen wie Richard Strauss, Bruno Walter, Hugo von Hofmannsthal oder die Maler Fritz August Kaulbach, Franz Lenbach und Franz Stuck. Sie alle umsorgt Hedwig Pringsheim mit unübertrefficher Grazie. Der Maler Hermann Ebers notiert: „Nie habe ich die ,Dame des Hauses‘ mit solch liebenswürdiger Aisance die kleine Zeremonie des Teeinschenkens und Kuchenanbietens zelebrieren sehen wie Frau Hedwig Pringsheim.“

    Um das Jahr 1904 gelingt auch dem jungen, bislang in Boheme-Kreisen verkehrenden Schriftsteller Thomas Mann der Zutritt in die erlesene Gesellschaft der Pringsheims. Der Autor, dessen Roman „Buddenbrooks“ gerade ins Rampenlicht gerät, hat ein Auge auf Katia geworfen, die nicht nur wegen der zu erwartenden Mitgift als eine der besten Partien Münchens gilt. Die schöne Katia studiert – außergewöhnlich für eine Frau der damaligen Zeit – Physik und Mathematik. Erste Begegnungen der Studentin mit dem Schriftsteller finden wohl im Salon von Max und Elsa Bernstein statt. In einem Brief schwärmt er: „Der Vater Universitätsprofessor mit goldener Cigarettendose, die Mutter eine Lenbach-Schönheit.“ Katia, fährt er fort, ist „etwas unbeschreiblich Seltenes und Kostbares, ein Geschöpf, das durch sein bloßes Dasein die kulturelle Thätigkeit von 15 Schriftstellern oder 30 Malern aufwiegt.“ Thomas Mann, in erotischen Dingen eigentlich eher Männern zugeneigt, legt sich ins Zeug, Katia erwidert seine Gefühle. Hochzeit ist am 11. Februar 1905.

    In den Zwanzigerjahren verdüstert sich der politische und gesellschaftliche Horizont Münchens. Der Bierkellerdemagoge Adolf Hitler gewinnt mit antisemitischen Hetzreden immer mehr Anhänger, seine SA terrorisiert Andersdenkende und mit besonderem Eifer Juden.

    Was München ehedem auszeichnete, die „Atmosphäre von heiterer Sinnlichkeit, von Künstlertum“, so Thomas Mann in einem Vortrag, ist verschwunden, die Stadt zu einem „Hort der Reaktion“ verkommen. Als Hitler im Januar 1933 an die Macht kommt, fackelt der Schriftsteller, der oft genug vor der Nazi-Barbarei gewarnt hatte, nicht lange. Mit seiner Familie geht er ins Exil, zunächst in die Schweiz. Alfred und Hedwig Pringsheim harren hingegen aus. Im Juni 1933 fordert das bayerische Kultusministerium die Pringsheims auf, einen Fragebogen auszufüllen. Wahrheitsgemäß schreibt der mittlerweile emeritierte Mathematikprofessor, er sei „jüdisch geboren, konfessionslos erzogen und verblieben“. Seine Frau, protestantisch getauft, gibt an, dass ihre Großeltern väterlicherseits sowie der Großvater mütterlicherseits aus jüdischen Familien stammen. Damit, so Friedrich Ludwig Bauer, „war die Entrechtung der Pringsheims nicht mehr aufzuhalten“.

    Zunächst weckt das Palais die Begehrlichkeiten der Nazis. Der Führer will an seiner Stelle Parteibauten errichten. Die NSDAP-Schergen probieren es mit Erpressung: Entweder verkauft Pringsheim das Haus unter Wert oder es wird enteignet. Der Professor, inzwischen 83 Jahre alt, verkauft. Enkel Golo Mann schreibt: „Die Arme Hedwig hat ihren greisen Gemahl zusammengebrochen auf seinem Stuhl vorgefunden: er verlasse sein Haus nicht, er könnte es nicht, lieber mache er gleich Schluss.“ Pringsheim rappelt sich noch mal auf, sie ziehen in eine Wohnung am Maximiliansplatz. Später müssen sie mit einer kleineren Unterkunft in der Widenmayerstraße vorliebnehmen. Sie dürfen kein Theater besuchen, kein Konzert, kein Kino, keine Ausstellung. Pringsheim muss mit „Alfred Israel“ unterschreiben. Ihr Pass wird eingezogen, die Rente drastisch gekürzt. Dann die Pogromnacht vom 9. November 1938, überall im Land brennen die Synagogen. Die Gestapo konfisziert Pringsheims Kunstschätze.

    Eine letzte Schikane bei der Flucht: „Alfred ausgezogen, untersucht, misshandelt“, notiert Hedwig

    Längst hätten sie fliehen müssen, doch der Professor überhört die flehentlichen Bitten der Tochter Katia. Als er endlich den Ausreiseantrag stellt, ist es fast schon zu spät. Nochmals praktizieren die Nazis eine Art Erpressung: Im Sommer 1939 wird die Majolika-Sammlung bei Sotheby’s in London versteigert. Achtzig Prozent des Auktionserlöses ziehen die Nazis als „Reichsfluchtsteuer“ ein. Doch die erhofften Reisepässe bleiben aus. Dann, als alles verloren zu sein schien, erscheint ein Retter. Ausgerechnet ein SS-Obersturmführer, wie Hedwig Pringsheim notiert: „Nun war dieser Mann trotz Ober-Nazi, ein liebenswürdiger, sehr gutartiger, verständnisvoller, und dazu noch ein hübscher jüngerer Herr, der sofort bereitwillig sagte: Das will ich schon machen … 2 Tage darauf hatten wir unsere Pässe!“

    Am 31. Oktober 1939 fährt der Zug in München los. An der Schweizer Grenze fällt dem deutschen Zöllner das „J“ in Pringsheims Pass auf. Jude also. Schnell noch eine letzte Schikane. „Alfred ausgezogen, untersucht, misshandelt“, notiert Hedwig. Als sie in Zürich ankommen, stürzt Pringsheim beim Aussteigen. Zwei Arbeiter helfen. Niemand holt die beiden Flüchtlinge ab. Eine Woche später ziehen sie in eine Seniorenresidenz.

    Alfred Pringsheim stirbt am 25. Juni 1941, seine Frau folgt ihm gut ein Jahr später. Zu dieser Zeit sendet Thomas Mann aus dem kalifornischen Exil seine Rundfunkansprachen, in denen er seine Stimme gegen die Nazis erhebt – die Stimme eines anderen Deutschlands, für das auch die Pringsheims standen.

  • Rundbrief Nr. 68 + Brief von Michail Schischkin + Friedhelm Kröll: Die Archivarin des Zauberers

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    eine Fülle von Terminen steht an. Diese möchte ich prominent auf die erste Seite des Rundbriefs in chronologischer Reihenfolge stellen:

    Die erste Aufführung des Films

    Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann

    findet nicht, wie im letzten Rundbrief angekündigt, am Sonntag in Köln statt, sondern in Bonn Endenich,

    im Rex-Theater am 3.November um 14.00 Uhr!

    Aus Sorge, daß die Vorstellung schnell ausverkauft sein könnte, hat unser Mitglied Frau Monzel 9 Eintrittskarten auf Vorrat gekauft. Wer daran Interesse hat, bitte sich unmittelbar an sie zu wenden: (angelika.monzel@gmx.de) Die Vorstellung im Odeon-Kino in Köln wurde daher auf 17.30 Uhr verschoben. Ich bin sehr gespannt auf den Film – sicher ein wichtiges Gesprächsthema für unseren Stammtisch.

    Die Schauspielerin Barbara Teuber wird im Haus der Theatergemeinde Bonn, Bon- ner Talweg 10, am 6.November um 19.30 Uhr

    Thomas Manns Erzählung TRISTAN lesen

    Um eine Anmeldung wird gebeten. Die Lesungen dort haben stets einen intimen und privaten Charakter. Bei einem Glas Wein im Anschluß, besteht die Gelegenheit, sich auszutauschen.

    STAMMTISCH

    Unser nächster Stammtisch wird im Gasthaus Nolden in Bonn-Endenich stattfinden, und zwar am Donnerstag, den 14.November um 18.00 Uhr. Wir müssen dem Lokal vorab mitteilen, wie viele Mitglieder wir erwarten. Daher bitte ich um Anmeldung an meine Adresse oder unmittelbar an Herrn Koehler (wokoe@t-online.de), der uns dort bereits angekündigt hat.

    Noch vor unserem Stammtisch findet eine weitere Veranstaltung statt, die, wie ich finde, unsere Aufmerksamkeit verdient:

    Am Sonntag, den 10. November um 11.00 Uhr hält Michael Schischkin im Literaturarchiv in Marbach seine Schillerrede. Ich hatte Ihnen Herrn Schischkin bereits im Rundbrief Nr. 45 vorgestellt und seinen Text „Die russische Deutschstunde – Thomas Mann und die Ukraine“ angefügt. In gleichem Sinne wird er in Marbach wieder auf Thomas Mann und dessen „Versuch über Schiller“ Bezug nehmen. Seine Rede wird gleichzeitig ins Netz gestellt. Über die Seite des Literatur-Archivs dla.marbach.de finden Sie leicht die Verknüpfung auf youtube.

    Diesem Rundbrief beigefügt ist auch ein Brief von Herrn Schischkin: Er hat einen Literaturpreis für im Exil lebende russische Autoren ins Leben gerufen. Sein Engagement für die russische Kultur erinnert an Thomas Mann, der in seinem Exil weniger bekannte deutsche Autoren nach Kräften unterstützte, um der Welt deutlich zu machen, daß die deutsche Kultur weiterbesteht, auch wenn in Berlin die Barbaren herrschen. Die Preisträger werden kein Geld bekommen, sondern eine Übersetzung ihrer Texte. Auch diese kosten Geld. Das entsprechende Spendenkonto habe ich am Ende des Briefes von Herrn Schischkin eingestellt.

    Im letzten Rundbrief habe ich von der Thomas-Mann-Tagung in Lübeck berichtet. Hierzu erhielt ich vielfach ein positives Echo. Dankenswerterweise schickte mir Patricia Fehrle ergänzende Eindrücke. Dies ist sehr gut, zumal ich den letzten Programmpunkt zu den Gegenwartsbezügen des Zauberbergs versäumte, da ich schon hatte abreisen müssen.

    Die Rede von Navid Kermani wurde unter dem Titel „Es kann noch schrecklich viel passieren“ auf ZEIT-ONLINE veröffentlicht. Aus rechtlichen Gründen kann ich den Text auf diesem Wege nicht verbreiten, lesenswert ist er allemal.

    Georgien

    Von den Wahlen dort haben Sie alle gelesen. Selbst die Staatspräsidentin ist davon überzeugt, daß sie nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Ich schrieb Natia Tscholadze einen sorgenvollen Brief: „…seid euch bewusst, daß euer „traumhafter“ Präsident in Sachen Gewalt der Stärkere ist. Ihr habt nur den Geist, das Wort und das Wissen auf eurer Seite…………………………… Versucht euer Leben in geistiger Freiheit zu gestalten. Wir sind an eurer Seite.“

    Das klingt beinahe so hilflos, wie ich mich fühle. Wollen wir hoffen, daß die Gemüter nicht überschäumen, daß Friedfertigkeit und Beharrlichkeit am Ende obsiegen. Brechts Verse kommen mir in den Sinn: Am Grunde der Moldau wandern die Steine / Es liegen drei Kaiser begraben in Prag. / Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. / Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

    Feuilleton

    Einen Gegenwartsbezug der ganz anderen Art empfand ich bei der Lektüre des folgenden Buchs: Martin Flinker: Thomas Manns politische Betrachtungen im Lichte der heutigen Zeit. Es stammt vom Initiator der Hommage à Thomas Mann und erschien 1959. Flinker pflegte ab 1950 einen regen Briefwechsel mit Thomas Mann. Das Buch ist ein fulminantes Plädoyer eines französischen Staatsbürgers österreichisch-jüdischer Provenienz zur Verteidigung der Betrachtungen eines Unpolitischen. Er spiegelt den Text von 1918 immer wieder mit seiner Gegenwart am Ende der 50er Jahre: Die „zivilisierte“ Republik Frankreich führt einen schlimmen Krieg in Algerien und ist mit der Demokratie USA in Vietnam an einem fürchterlichen Gemetzel beteiligt. Hätten aus einem gebildeten Bürgertum entstandene Staatsführungen solche Strategien auch eingeschlagen? Kann eine Demokratie gegen den Gossenjargon einer „freien“ Boulevardpresse ankommen? Geraten wir auf diesem Wege nicht in Gefahr, von einem ungebildeten Pöbel regiert zu werden? Schon beim Formulieren solcher Fragen wird mir ganz blümerant. Ich gestehe, die Bekenntnisse noch nicht gelesen zu haben, habe sie stets als Abweg und Mißgriff Thomas Manns angesehen. Im Lichte des Buchs von Martin Flinker werde ich bald einen Versuch wagen.

    Vor geraumer Zeit empfahl mir Agnes Volhard das Buch „Die Archivarin des Zauberers“ von Friedhelm Kröll zu lesen. Diese Empfehlung gebe ich weiter, auch wenn das Buch vor über 20 Jahren erschien und nur noch antiquarisch erhältlich ist. Ich habe dazu Frau Volhard ausführlich geschrieben – meinen Brief an sie finden Sie im Anhang. Darin erwähne ich auch, daß ich das Exemplar von Inge Jens erwischt habe.

    Ich bekam mein Exemplar vom Antiquariat in Lenninger Tal, das einen großen Teil der Bibliothek von Inge und Walter Jens im Sortiment hat. Wer Lust hat, darin zu stöbern, kann dies gerne tun: www.antiquariat- loeffler.de

    Sie sehen, es gibt reichlich Gesprächsstoff für unseren Stammtisch. Ich freue mich darauf, Sie im Gasthaus Nolden zu treffen.

    Es grüßt herzlich Ihr Peter Baumgärtner


    Brief von Michail Schischkin

    Liebe Freunde

    Ich möchte Euch gerne Informationen über mein neues grosses Projekt mitteilen: Ich habe einen Preis für die vom putinschen Regime unabhängige Literatur auf Russisch gegründet.

    Infolge des verbrecherischen Krieges der Russischen Föderation gegen die Ukraine geriet auch die ganze russischsprachige Kultur weltweit unter Beschuss. Das gilt vor allem für diejenigen, die mit der russischen Sprache arbeiten: Schriftsteller*innen, Philolog*innen, Literaturwissenschaftler*innen. Auch für westliche Slawist*innen und Übersetzer*innen aus dem Russischen ist die Situation prekär geworden. Die Schriftsteller*innen mit Namen, die bereits viel übersetzt wurden, haben noch Chancen bei den westlichen Verlagen, aber für weniger bekannte oder für junge Autor*innen ist der Weg zu Lesern hier so gut wie verschlossen.

    Zusammen mit Schweizer Slawistik-Professor*innen (George Nivat, Ilma Rakusa, Ulrich Schmid und andere) gründete ich einen Verein mit dem Ziel, russischsprachige Schriftsteller, die gegen den Krieg auftreten, zu unterstützen und ihre Werke im Westen bekannt zu machen. Der Verein bezweckt, einen unabhängigen Literaturpreis für die Werke in der russischen Sprache zu gründen. Es gibt kein Preis-Geld, das preisgekrönte Buch wird einen Übersetzer-Beitrag für die Übersetzung ins Englische, Deutsche und Französische bekommen.

    Die russische Sprache gehört nicht Diktatoren, sondern der Weltkultur. Was sehr wichtig ist, es geht nicht um „russische Schriftsteller“ und nicht um „die russische Literatur“, es geht um alle Autoren*innen aus allen Ländern – auch aus Belarus, Litauen, Kasachstan, Israel, der Ukraine etc., die auf Russisch schreiben. Zum Beispiel, die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexiewitsch und Sascha Filipenko aus Belarus, Armen Zacharyan (ursprünglich aus Armenien), Tomas Venclova (aus Litauen), Mikhail Gigolashvili (ursprünglich aus Georgien) sind unter Mitstifter*innenn und Jury-Mitgliedern. Zu Mitstifter*innen des Preises gehören Ljudmila Ulitzkaya, Boris Akunin, Dmitri Glukhovski, Dmitri Bykov und andere bekannte Autoren und Autorinnen. Alle Namen der Mitstifter*innen und Jury-Mitgliedern kann man in der beigelegten Presse-Mitteilung sehen. Es ist sehr wichtig, dass auch einige ukrainische Autor*innen bereit sind, am Preis-Wettbewerb teilzunehmen (z.B. Sergei Solovyev mit seinem grossartigen Roman „Schaktis Lächeln“). Es geht um die Entwicklung der Kultur nach dem Imperium, um die Dekolonisierung des Bewusstseins, um die Entstehung einer freien russischsprachigen Zivilgesellschaft.

    Die politische Position des Preises wird ausdrücklich erklärt. Wir verurteilen die verabscheuungswürdige Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine, wir sind gegen die repressiven Diktaturen in Russland und anderen Ländern (z.B. Belarus), wir unterstützen die Ukraine in ihrem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit.

    Hier kurz das Wesentliche, wie der Preis funktioniert:

    Der Wettbewerb um den Preis ist offen für Prosawerke, die weltweit in russischer Sprache erscheinen. Die Auswahl der Bücher erfolgt durch einen Expertenrat. Über den/die Preisträger/in entscheidet eine Jury, der bekannte Kritiker*innen, Philolog*innen, Literaturwissenschaftler*innen, Slawist*innen, bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens usw. angehören. Die Jury wird aus 20-30 Teilnehmer*innen bestehen, je mehr, desto besser, um Gruppendenken und Lobbyismus zu vermeiden. Die Abstimmung erfolgt schriftlich, aber offen, alle Informationen werden im Internet auf der Webseite des Preises veröffentlicht.

    Der Preis besteht aus einem Übersetzungsstipendium. Die Übersetzung in die meistverbreiteten Sprachen – Englisch, Französisch, Deutsch – bietet Verlagen in verschiedenen Ländern der Welt die Möglichkeit, sich mit den Büchern vertraut zu machen.

    Dieses Projekt findet ein sehr positives Echo bei allen, die ich anspreche. Auch von der Europäischen Kommission habe ich die Zusage bekommen, das Projekt zu unterstützen.

    Ich habe den Literaturpreis DAR am Forum SlovoNovo (https://www.slovonovo.me/) in Montenegro Ende September präsentiert.

    Beiliegend die Pressemitteilung und die Begrüßung des PEN International. Hier einige Links: Webseite rus/eng – https://darprize.com/

    Mein Interview (Deepl translate kann helfen!) https://novayagazeta.eu/articles/2024/09/27/nuzhno-dat-literature-na-russkom- iazyke-novuiu-zhizn

    Im Januar erfahren wir die Shortliste und Ende April den Gewinner. Dann geht es darum, das preisgekrönte Buch (oder Bücher) ins Deutsche (auch ins Englische und Französische) zu übersetzen und nach der Übersetzung nicht fallen zu lassen. Wir werden im deutschen Sprachraum Buchpräsentationen, Gespräche mit Autor*innen und Übersetzer*innen, Diskussionen etc. veranstalten. Dazu brauchen wir Unterstützung und werden uns auf jede Form der Unterstützung sehr freuen.

    Ich bin bereit, alle Fragen zu beantworten. Mit herzlichen Grüßen

    Michail Schischkin / Mikhail Shishkin

    President of the Association Literary Prize „Dar“ Chairman of the Jury dar.literaturpreis@gmail.com

    IBAN: CH67 0076 9441 0931 9200 1

    Kunde: Verein „Literaturpreis Dar“ Laufenstrasse 154, 4245 Kleinlützel

    Bank Name: Basellandschaftliche Kantonalbank Swift: BLKBCH22, Clearing Nr: 769


    Friedhelm Kröll: Die Archivarin des Zauberers

    Liebe Agnes,

    diese Woche ist es mir endlich gelungen, neben allen beruflichen und Thomas-Mann-Verpflichtungen die Ida-Herz-Biografie zu lesen. Ich mußte an die Tagung in Lübeck denken: Zum Abschluß der Mitgliederversammlung fragte Hans Wißkirchen nach Anregungen für das Tagungsthema 2027 – denn die nächsten beiden Jahre sind gesetzt: 2025: 150. Geburtstag, 2026: 125 Jahre Buddenbrooks.

    Jedenfalls stand eine Frau auf und regte an, Thomas Mann und die Frauen oder Thomas Mann und das Judentum in den Blick zu nehmen. Für beide Themen böte dieses Buch vielfältige Quellen. Kröll hat den Briefwechsel mit Ida Herz intensiv studiert. Ihr Schicksal als Jüdin aus der Nazi-Stadt Nürnberg und ihre Bewunderung für Thomas Mann, die oft von der geistigen Ebene in die körperliche überspringen wollte – von ihrer Seite – verzahnen sich unauflöslich. Den privaten und sehr freien Ton von Thomas Manns Briefen an die Herz genoß ich sehr, wie stark er sich doch unterscheidet vom Tenor der Briefe an wichtige Persönlichkeiten. Wie du richtig sagtest, entdeckt man ganz neue Seiten an „unserem“ Thomas Mann.

    Als störend habe ich empfunden, daß Kröll im Ton einer Kampfschrift versucht, den berühmten Biographen Thomas Manns Oberflächlichkeit und mangelnden Tiefgang vorwirft, auch wenn er hie und da recht damit hat. Von Thomas Mann hätte er lernen können, solcherlei in ironischen Spitzen zu formulieren und auf Schulmeisterei zu verzichten. Seine psychologischen Studien der abschließenden Kapitel wage ich nicht zu beurteilen. Vorlesungen von Sigmund Freud verstehe ich sehr gut, diese Auslassungen von Kröll weniger.

    Wie ich dir schon schrieb, habe ich das Exemplar von Inge Jens erwischt. Ich wagte nicht, eigene Anstreichungen zu machen. Jene von Inge Jens sind dezent, aber präzise: Hinweise zum vorgenannten Biographenstreit markiert sie mit kurzen Strichen, aber wenn Katia ins Spiel kommt, ihren Mann unterstützend und beschützend vor der zuweilen etwas zudringlichen Ida Herz, wird die Markierung verdoppelt und zuweilen eine Unterstreichung hinzugefügt. Das Buch erschien 2001, Frau Thomas Mann2003, fraglos hat Frau Jens daraus geschöpft. Ich erinnere mich noch gut an diese angenehme, selbstbewußte und dennoch bescheiden auftretende Frau bei ihrem Vortrag damals im Uni-Club – Seid ihr auch dort gewesen?

    Zur Aktualität von Thomas Mann habe ich mir zwei Zitate herausgeschrieben: »Die Juden heißen ›das Volk des Buches‹ – man muß verstehen, was alles in dem Wort ›Buche‹ an Empfindlichkeit, Empfänglichkeit, seelischer Reife, Leidenskenntnis,

    Liebe zum Geistigen symbolisch sich andeutet, um die Dankbarkeit zu begreifen, die der literarische Geist gerade in Deutschland den Juden schuldet.« (Als Quelle nennt Kröll hier: Mann, Manifeste. Ich mußte eine Weile in meinen Regalen stöbern, bis ich fand, was er meint: Katia Mann gab 1966 „Thomas Mann: Sieben Manifeste zur jüdischen Frage“ heraus. Das Zitat entstammt dem Text „Zum Problem des Antisemitismus“ von 1937)

    Dann zur Verteidigung der Demokratie: »Jede Sorge um die ›bürgerliche Kultur‹ ist läppisch, wenn es wie jetzt zum Äußersten kommen soll. Kommunisten und Sozialdemokraten müssen sich jetzt finden, und ihnen muß das katholisch-universalistische Deutschland, die protestantische Bildung, das Judentum, die Künstlerschaft, – müssen alle, alle, die noch einen Funken geistiger Ehre im Leibe haben, eine entschlossene Front bilden, damit diesen Kriegslümmeln, diesen Henkern deutscher Freiheit und Geistigkeit das Handwerk gelegt werde.« So schrieb er Ida Herz am 28. Februar 1933 – man hat nicht auf ihn gehört.

  • Rundbrief Nr. 67

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann- Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    aufgrund der vielfältigen Ereignisse ist dieser Rundbrief lang geraten. Also: Machen Sie es sich bequem, stellen Sie sich ein Gläschen Wein parat und dann kann es losgehen mit meinen Notizen zu den diesjährigen

    Thomas Mann – Tagen

    in Lübeck, und hier mit der Verleihung des

    Thomas Mann – Preises an Navid Kermani.

    Sie fand statt im Kammerspielsaal des Theaters und wurde moderiert von der neuen Leiterin des Buddenbrook-Hauses Frau Dr. Caren Heuer. Sie beklagte zurecht, daß die Bühne von der Stadt wie zu einer Trauerfeier dekoriert war, wonach der Lübecker Bürgermeister für Heiterkeit sorgte, als er den Preisträger mit „Herrn Kerami“ ansprach.

    Dies wurde ihm aber verziehen, da er zudem verkündete, daß am Vorabend die Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck die notwendigen Mittel zum Umbau des Buddenbrook- Hauses freigegeben hatte. Nach dreijähriger Stagnation kann es nun endlich mit dem Projekt weitergehen. Man rechnet mit einer Fertigstellung im Jahr 2031.

    Es folgte die Laudatio von Wolfgang Matz, dem Lektor von Kermani im Hanser-Verlag. Dessen literaturhistorische Einordnung war witzig, wenig verständlich und zu lang, aber er hatte mit seinen langen Gliedern eine eindrucksvolle Gestik, und da die ersten Gehversuche Kermanis Neil Young im Titel trugen, zog er plötzlich eine Mundharmonika aus dem Jackett und stimmte „Hard of Gold“ an.

    Am Ende sprach Kermani zur Geschichte des Landes seiner Vorväter, zur Beziehung, ja Verflechtung seiner Familie mit eben jener Geschichte. Er führte aus, daß nicht 1989 der große Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte gewesen sei, sondern 1979 mit der Iranischen Revolution – wir können uns auf die Publikation seiner Rede im Jahrbuch freuen.

    Zwischen den Beiträgen betrat alt und gebeugt Majid Derakhshani die Bühne, ein Weltstar der Langhalslaute, der auf Wunsch von Kermani geladen worden war. Virtuos entlockte er seiner ‚Tar‘ jazzig-meditative Klänge. Eine wunderbare neue Hörerfahrung.

    Zur Veranstaltung am Samstagmorgen:

    Thomas Mann kontrovers – Hans Castorp: Ein simpler Held?

    möchte ich nicht viel Worte verlieren: Die FAZ berichtete darüber – den Artikel finden Sie im Anhang. Zwei für mich neue und herausragende Köpfe unserer Gesellschaft lernte ich dabei kennen: Frau Dr. Katrin Max – sie unterrichtet an der Hochschule in Leipzig – und Herrn Dr. Michael Navratil, Dozent an der Studienstiftung des Deutschen Volkes in Bonn – die anwesenden Mitglieder unseres Ortsvereins waren sich einig, daß wir ihn zum Vortrag einladen müssen – was ich am Abend auch tat. Eine Termin- und Themenabstimmung erfolgt in Kürze.

    Dr. Michael Navratil                                       Oliver Fischer                                       PD Dr. Katrin Max

    Mitgliederversammlung:

    In diesem Jahr standen Vorstandswahlen an. Aus dem Vorstand traten zurück Frau Prof. Dr. Elisabeth Galvan und Herr Prof. Dr. Andreas Blödorn, für diese beiden wurden Frau Prof. Dr. Barbara Beßlich und Herr Oliver Fischer gewählt, der Vorsitzende des Ortsvereins Hamburg (sein Buch: «Man kann die Liebe nicht stärker erleben» erscheint im November bei Rowohlt – Er wird es in Bonn vorstellen). Außerdem bat unser Schatzmeister Herr Michael Haukohl um Entlastung, an seiner Stelle wurde Herr Henning Biermann gewählt.

    Beim Beirat stellte die frühere Leiterin des Buddenbrook-Hauses ihr Amt zur Verfügung, an ihre Stelle trat Frau Dr. Caren Heuer, ihre Nachfolgerin im Amt. Als Vertreter des Jungen Forums wurde Jan Hurta in den Beirat gewählt, durch den „Aufstieg“ von Oliver Fischer in den Vorstand wurde im Beirat eine Position frei. Hier wurde nun Frau Dr. Katrin Max aus Leipzig und Herr Prof. Dr. Kai Sina aus Münster gewählt. Meine Wenigkeit wurde als Beirat im Amt bestätigt.

    Meinen am Ende dann frei gehaltenen Vortrag bei der Mitgliederversammlung zu den Aktivitäten unseres Ortsvereins finden Sie im Konzept im Anhang. Hierbei bat ich auch Frau Dr. Natia Tscholadze auf die Bühne. Sie bedankte sich für die starke Unterstützung aus unserem Ortsverein bei der Gründung eines georgischen Thomas-Mann-Freundeskreises in Kuatissi, Georgien, berichtete vom dem großen Interesse an Thomas Mann in ihrem Land und von den stark steigenden Mitgliederzahlen. Neben ihr waren drei weitere Damen aus Georgien nach Lübeck gekommen, die beinahe akzentfrei Deutsch sprechen und sehr kenntnisreich zu Thomas Mann. Ich bedankte mich in diesem Zusammenhang bei Frau Ekaterina Horn, einer in Deutschland lebenden Landsfrau von Natia, die vor gut zwei Jahren die ersten Kontakte nach Georgien geknüpft hatte, und ich erinnerte daran, daß am 26. Oktober in diesem Lande richtungsweisende Wahlen stattfinden werden: Wohin wird sich das Land in den nächsten Jahren orientieren? Nach Westen oder nach Osten?

    Am Abend gab es dann die Feierstunde zum dreißigjährigen Bestehen des Jungen Forums im Logenhaus – ich wollte es kaum glauben: Aber es gibt sie noch, die Freimaurer in Lübeck, und sie besitzen ein klassizistisches Gebäude mit einem herrlichen Saal…

    In der Feierstunde wurde daran erinnert, wie skeptisch die jungen Leute damals beäugt wurden, und wie viele tüchtige und tätige Mitglieder unserer Gesellschaft inzwischen daraus erwachsen sind. Im übrigen schienen mir all die jungen Leute in ihrer Lebendigkeit und sprachlichen Brillanz als großes Hoffnungszeichnen wider den Unkenrufen zum sprachlichen Niedergang in Zeiten der sogenannten Sozialen Medien.

    Am Sonntagmorgen stellte Heinz Strunk seinen in Kürze erscheinenden Roman Zauberberg 2 in der Gemeinnützigen vor. Er hatte schon verloren, bevor er überhaupt begonnen hatte: Der Romantitel wurde in unseren Kreisen als Zumutung empfunden, auch wenn Strunk sich dann redlich bemühte, seine Chuzpe zu begründen. Ich finde sein Anliegen völlig legitim, Thomas Mann hat kein Heiligtum geschaffen. Doch seine schnoddrig überschnelle Art zu lesen gab dem ganzen Text die Anmutung eines Roadmovies, der sprachlich nicht weiter entfernt von Thomas Mann sein könnte. Die Hauptfigur Heitbrink reist nicht ins Hochgebirge, sondern in eine Mecklenburgische Seenlandschaft, nicht in ein Lungensanatorium, sondern in eine Kurklinik für psychosomatische Erkrankungen. Edo Reents von der FAZ versicherte mehrfach, daß Strunk aus dieser Ausgangslage erzählerische Funken schlagen würde. Man war davon ausgegangen, daß Strunk bekannt ist, dieser seit 20 Jahren erfolgreiche Schriftsteller. Da hatte man sich getäuscht. Irgendwann stand auch Herr Wißkirchen auf und legte sich für den Autor ins Zeug, verwies auf das vorletzte Kapitel, das zu 80% aus Thomas Mann bestünde – aber da war es schon zu spät.

    Dies nur als Schilderung des Ablaufs. Ich bin kein Literaturkritiker. Als Person war mir Heinz Strunk in seiner klugen und frech-witzigen Art sehr sympathisch.

    Ich wollte ihnen mit diesen Schilderungen einen Eindruck davon geben, wie vielfältig und bereichernd eine solche Tagung ist. Die nächste Thomas-Mann-Tagung findet nicht im September statt, sondern vom 5. bis 9. Juni 2025: Zunächst wird in den 150. Geburtstag Thomas Manns hineingefeiert und dann viel darüber gesprochen.

    In unserem Hotel war ich zufällig im Willy-Brandt-Zimmer gelandet, keiner üppigen Kammer, aber nett eingerichtet mit vielen Willy-Bildern an den Wänden, auch mit einer Tafel mit Auszügen aus dessen Erinnerungen: „Fünfeinhalb Jahre waren vergangen, als ich im Oktober 1938 in Paris, …, Heinrich Mann vorgestellt wurde. Die sieben Türme, so sagte er mit Tränen in den Augen und Trauer in der Stimme, …, werden wir wohl nie mehr wiedersehen.“

    Womit die Überleitung zum nächsten Thema gelungen wäre: zu den

    Tagen des Exils in Bonn,

    zu unserer Veranstaltung am 10. September im Haus an der Redoute, zum Vortrag von

    Prof. Friedhelm Marx „Thomas Mann im amerikanischen Exil“.

    Wir hatten rund 35 Gäste, gut die Hälfte davon ganz neue Gesichter in unserem Kreis, was wir der Initiative der Tage des Exils der Körber-Stiftung zu verdanken haben.

    Sein frei gehaltener Vortrag zu Thomas Manns Exil war sehr beeindruckend, beginnend der Schilderung des Vertriebenwerdens, von dem psychologischen Schock, auf einer Vortragsreise zu sein und zu erfahren, nie mehr nach Hause kommen zu dürfen. Diesen stelle ich mir grausamer vor als den materiellen. Ohnmächtig im Ausland sitzen zu müssen, während irgendwelche Barbaren sich seiner Habe bemächtigen und seine Bibliothek durchwühlen, muß für Thomas Mann schrecklich gewesen sein!

    Marx blendete eine ganze Reihe von Zitaten aus den dreißiger Jahren ein, die in der Rückschau prophetisch anmuten, hinsichtlich der Gefügigmachung des Volkes zum Krieg, des Ausmerzens aller Gegenstimmen, die aber, in die Aktualität übertragen, allzu gut auf Putin und Konsorten zugeschnitten scheinen. Auch wenn sich Thomas Mann mit öffentlichen Äußerungen drei Jahre lang sehr zurückhielt, so erkannte er doch früh, wohin die Naziherrschaft strebte, und brachte dies in seiner unvergleichlichen Sprache zum Ausdruck.

    Thomas Mann wurde das Bürgerrecht entzogen und die Ehrendoktorwürde von Bonn obendrein – hierzu mehr in einem der nächsten Rundbriefe. Nach Annahme der tschechischen Staatsbürgerschaft war er noch einige Zeit in der Schweiz, bevor er 1939 nach den USA übersiedelte, wo ihm Asyl gewährt wird, bevor er später die amerikanische Staatsbürgerschaft erhält.

    Foto: Magdalena Bahr, Gemälde im Hintergrund: Günther Herzing

    Zurück ins Jahr 1939: Der Krieg liegt in der Luft, und Hitler sitzt fester als je zuvor im Sattel. Wird es je eine Chance geben, diesen Diktator zu stürzen? Thomas Mann engagiert sich stark in der Flüchtlingshilfe, sammelt viel Geld, um Einreisebewilligungen möglich zu machen und ist sich sicher, den Rest seines Lebens in seinem Gastland verbringen zu dürfen, mit dessen Präsidenten er sich freundschaftlich verbunden fühlt und dessen Grundwerte er teilt. In diesem Lande baut er sich ein letztes Mal ein Haus.

    Doch nochmals hat sich Thomas Mann getäuscht, nochmals wurde er enttäuscht, auf eine rote Liste gefährlicher Kommunisten gesetzt. Wieder erhebt er seine Stimme, spricht von der Gefährdung der Demokratie in Amerika, Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind nicht zufällig.

    Als Friedhelm Marx das Publikum dazu aufrief, Fragen zu stellen, hob ich sofort die Hand: Wann machen Sie ein Buch draus? Er machte uns Hoffnung auf eine Broschüre seiner Hochschule.

    Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann…

    … unter diesem provokanten Titel kommt im November ein „hybrider Dokumentarfilm“ in die Kinos. Ich wurde von der Produktionsfirma mindjazz-pictures aus Köln angeschrieben und um Kooperation gebeten. Bislang habe ich nur zurückhaltend auf diese Anfrage reagiert, zumal dessen Trailer einen ambivalenten Eindruck hinterläßt, den Eindruck einer Gleichsetzung der homosexuellen Aspekte der Krull-Figur mit Thomas Mann. Der Film nennt sich „hybrid“, da Spielfilmszenen im Wechsel mit Original-Filmaufnahmen von Thomas Mann gezeigt werden. Der Regisseur André Schäfer, so wurde mir mitgeteilt, „verzichtet vollständig auf neu gedrehte Interviews mit Expert*innen“ – und nun sucht man die Kooperation mit ebensolchen. Und dennoch werde ich gemeinsam mit Thomas Schmalzgrüber am 3.November der Einladung zur Premiere folgen – spätestens zum Stammtisch werden wir berichten.

    Feuilleton

    Auch hier wird es um Flucht und Vertreibung gehen:

    Die Schauspielerin und Schriftstellerin Hertha Pauli spielte bis 1933 unter Max Reinhard in Berlin, war mit Walter Mehring und Ödön von Horváth befreundet, lebte dann bis 1938 in Wien, um nach dem sogenannten „Anschluß“ weiter nach Paris zu fliehen. 1970 veröffentlichte sie ihre Erinnerungen an die Jahre Ihrer Flucht unter dem Titel Der Riss der Zeit geht durch mein Herz. Ein ungemein fesselndes Buch, die „Innenansicht“ auf das Leben auf der Flucht ohne dickes Portemonnaie. Nach dem Fall von Paris geht es über weite Strecken zu Fuß nach Südfrankreich, neben Mehring sind Jozef Wittlin und Hans Natonek mit von der Partie. Letzterer kommt auf den Gedanken, Thomas Mann einen Brief zu schreiben und um Unterstützung zu bitten – und diese Hilfe kommt an, auch dank des unermüdlichen Einsatzes von Varian Fry, an den erst in neuester Zeit angemessen erinnert wird. (Uwe Wittstock hat in seinem jüngst erschienenen Bestseller Marseille 1940 auch aus diesem Werk geschöpft)

    Allen vorgenannten – jüdischen – Schriftstellern gelang die Flucht in die USA, Walter Mehring konnte dort von seinen Tantiemen leben, Hertha Pauli wurde Kinderbuchautorin, Jozef Wittlin und Hans Natonek sind heute fast vergessen. Von ihrem Talent als Schriftsteller konnten beiden in den USA nicht mehr leben, Talente, die beide kurz vor Kriegsausbruch mit bei Allert de Lange in Amsterdam erschienen Romanen unter Beweis stellen konten. Diese will ich hier kurz vorstellen.

    Hans Natonek wurde 1892 in Prag geboren und konnte als junger Mann seine erste Prosaskizze „Ghetto“ 1917 in der Textsammlung „Das jüdische Prag“ veröffentlichen, in der auch Franz Kafka seine Erzählung „Ein Traum“ unterbrachte. Das Leben in dem kulturellen Nebeneinander war der Nährboden seines Geistes. So ist es kein Zufall, daß sein Hauptwerk „Der Schlemihl“ das Leben des französisch-deutschen Schriftstellers und Naturwissenschaftlers Albert de Chamisso beleuchtet. Für Natonek ist er Symbol für die kulturelle Nähe von Frankreich und Deutschland, für einen Flüchtling vor den Fängen eines rücksichtslosen Welteroberers, für einen Freund der Juden, von Geist und Poesie ohnehin, von der Schönheit des Lebens. Kein modernes Buch, aber ein schönes.

    Ich genoss seine pathetisch-poetische Sprache. 1938 erschienen, quasi als Mahnung und Gegenbild zur Gegenwart.

    1941 kam Natonek mit dem Flüchtlingsschiff „Manhattan“ in New York an, er zählte 48 Jahre, hatte vier Dollar in der Tasche stellte er sich die Frage: „Wie oft kann man ein neues Leben beginnen?“ „Exil ist keine Lösung, die Sprache wandert nicht aus“, schrieb er 1961 an seinen Sohn nach Deutschland. In den USA schlug er sich zunächst als Leichenwäscher durch, bevor er Deutsch, Französisch und Geschichte unterrichten konnte.

    Józef Wittlin wurde 1896 in Galizien auf dem Gebiet der heutigen Ukraine nahe Lemberg in eine jüdische Familie hineingeboren. Vielsprachigkeit war in den Weiten von Österreich-Ungarn selbstverständlich, seine Mutter war Deutsche, 1915 machte Wittlin in Wien Abitur und war dort mit Joseph Roth befreundet. In Paris fanden sich die beiden auf ihrer Flucht wieder, Roth ertrank vor Kummer im Alkohol, Wittlin machte sich nach Kriegsbeginn mit Hertha Pauli, Hans Natonek und vielen anderen auf den Weg in den Süden Frankreichs. Nach der gemeinsamen Flucht in die USA konnte er nicht mehr als Schriftsteller Fuß fassen. Von 1952 an war er Mitarbeiter des vom US-Kongress finanzierten Senders Radio Free Europe, der in mehreren Sprachen Programme in den Sowjetblock ausstrahlte. Später wurde er Lehrer.

    Kurz vor der Flucht aus Paris gelang es ihm, seinen großartigen Roman Das Salz der Erde fertigzustellen. Er erschien 1937 bei Allert de Lange und wurde seither mehrfach neu aufgelegt, zuletzt 2014 bei S. Fischer.

    Der ganze Roman ist ein großer prophetischer Klagegesang. Berückend im Ton, ein elegisches Andante, das so ganz im Gegensatz steht zu den tragischen Ereignissen ringsum, dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Im Mittelpunkt steht der Bahnwärter Piotr Niewiadomski – zu Deutsch etwa: Peter Unbekannt – ein Analphabet, der die Welt mit vorurteilsfrei klaren Augen sieht, woraus der Roman seinen traurigen Witz erzielt. Der naive Piotr wird mit dem Hereinbrechen der großen Welt in sein kleines Leben konfrontiert, wird eingezogen, eingekleidet, gemustert und am Ende eingegliedert in das große Heer des gleichgeschalteten Kanonenfutters. Sie sind das Salz der Erde, das zertreten wird im Schmutz. Wittlin weiß, wovon er schreibt, war selbst zwei Jahre als Soldat an der Front, und er wußte auch, wie sehr man gläubige Juden im Heer verhöhnte.

    Wittlin schrieb diesen Roman, als der nächste Krieg schon in der Luft lag, ihm ist ein großes Menetekel gelungen auf das, was Europa noch bevorstehen sollte. Und mit der biblischen Wucht des Titels endet der Roman auch: Der Stabsfeldwebel Bachmatiuk läßt über die neu eingekleideten und aller Seele beraubten Soldaten seine Blicke schweifen und stellt fest: Und er sah, daß es gut war.

    Erschienen bei Allert de Lange, Amsterdam 1937, Hier Ausgabe Suhrkamp 1990
    Ausgabe Allert de Lange, Amsterdam 1938
    Erschienen bei Zsolany 1970, Neuausgabe 2022

    Stammtisch

    Unser nächster Stammtisch wird im Gasthaus Nolden in Bonn-Endenich stattfinden, und zwar am Donnerstag, den 14.November um 18.00 Uhr. Bitte vormerken, weitere Details folgen.

    Es grüßt herzlich Ihr Peter Baumgärtner

    Alle Fotos, sofern nicht anders bezeichnet, stammen von Peter Baumgärtner