Kategorie: Rundbriefe

  • Rundbrief Nr. 37 + Anlagen  E. Horn: Liste Publikationen | M. Pfeifer: Betrachtungen



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, diesem Rundbrief ist das Protokoll unserer Jahresmitgliederversammlung angeheftet, das Sie,

    liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    nicht zu lesen bekommen – aber das können Sie ja zukünftig ändern.

    Bei unserer Jahresversammlung wurde ich gebeten, bei meinen zukünftigen Rundbriefen den redaktionellen Teil, in dem ich über Aktuelles und Organisatorisches unseres Ortsvereins berichte, vom feuilletonistischen Teil zu trennen, in dem ich über alte und neue Erscheinungen von, um und zu Thomas Mann berichte. Dies will ich auch sogleich beherzigen, wenngleich es dem Wesen einer literarischen Gesellschaft entspricht, daß sich diese Bereiche zuweilen überschneiden.

    Die im Protokoll ausführlich geschilderten geplanten Vorträge für dieses Jahr, hatte ich in den vergangenen Rundbriefen bereits angekündigt. Die große Zuversicht auf unserer Versammlung war auch getragen von den sinkenden Corona-Zahlen – inzwischen sieht es wieder komisch aus. Wir werden sehen und kämpfen, um die Vorträge terminieren zu können.

    Über die bedauerliche Abwesenheit des Herrn Professor Valerij Susmann bei unserer Jahresversammlung habe ich im Protokoll berichtet. Über die Wichtigkeit, mit Künstlern und Kulturschaffenden aus östlichen Ländern in Kontakt zu bleiben, sprachen wir noch im Nachgang. Die großen Hoffnungen zum Siegeszug der Demokratie als Staatsform, die wir vor 30 Jahren im Zuge der Perestroika hatten, sind spätestens seit zwei Wochen zerstoben. Die Texte von Thomas Mann zur Demokratie, zum Kampf gegen Autokraten, zum Krieg für die Freiheit sind aktueller denn je. Daher wollen wir Herrn Susmann sowie seine Freunde und Kollegen dazu anregen, in Nishni Nowgorod einen Thomas- Mann-Freundeskreis einzurichten. Sie würden Teil der Thomas-Mann-Gesellschaft, wobei ihre Mitgliedsbeiträge von ‚Paten‘ aus unserem Ortsverein übernommen würden. Diese dadurch gewonnenen Mitgliedsbeiträge sollten dann auf ein Sonderkonto fließen, aus dem wir junge Wissenschaftler aus dem Osten bei Publikationen, Vorträgen oder ähnlichen Dingen unterstützen. Über dieses Vorhaben würde ich gerne mit Ihnen bei unserem ersten Stammtisch beraten – neben vielen anderen Themen. Zu einem ersten Termin des Stammtischs stellt Herr Schlegel sein Wohnzimmer in Bonn Röttgen (An den Eichen 33) zur Verfügung und zwar am Montag, den 28. März um 18:00 Uhr. Da die – coronakonformen – Platzkapazitäten dort beschränkt sind, bitte ich alle daran Interessierten sich kurzfristig bei mir zu melden. Erste Meldungen werden bevorzugt berücksichtigt.

    Im Zusammenhang mit den östlichen Nachbarn unseres Landes darf ich auch auf unser neues Mitglied, auf die Germanistin Frau Ekaterina Horn hinweisen, die selbst aus Georgien stammt. Freundlicherweise stellte sie mir eine Liste von Publikationen zu Thomas Mann zusammen, die von ihren Landsleuten verfaßt wurden. Sie finden diese Liste im Anhang. Die Titel lesen sich sehr spannend – es gibt vieles zu entdecken. Ich frage schon auf diesem Wege bei Frau Horn an, ob sie uns bei einem Stammtisch von der Rezeption Thomas Manns in ihrer Heimat berichten könnte, mit der Perspektive, auch Vorträgen von dieser Seite ins Auge zu fassen.

    Feuilleton

    Den Text von unserem Mitglied Markus Pfeifer habe ich im Protokoll angekündigt. Während der Korrespondenz mit Herrn Pfeifer begann ich mich mit einem der wenigen Menschen zu befassen, die sowohl mit Thomas Mann als auch mit Bert Brecht befreundet waren. Hierzu besorgte ich mir das wohl einzige als Biographie anzusprechende Buch, das über Therese Giehse erschienen ist. Es wurde 1973 bei Bertelsmann von Monika Sperr herausgegeben und trägt den ebenso bayrischen wie unwahren Titel: „Ich hab nichts zum sagen“. Als Jüdin in München aufgewachsen, wurde sie früh mit Erika und Klaus Mann bekannt und wurde dann tragendes Mitglied der Züricher Pfeffermühle. In diesen ersten Jahren des Exils war sie sehr häufig bei der Familie Mann zu Gast, wo man sie als Schauspielerin bewunderte und als Person sehr schätzte. Dies blieb auch nach dem Kriege so, nachdem man sie, wie Erika sich ausdrückte, „an Brecht verloren“ hatte. Schon bei seinem ersten Europabesuch 1947 bewundert sie Thomas Mann als Madame Storch in Nestroys „Das Mädel aus der Vorstadt“ im Züricher Schauspielhaus und freut sich, daß die Theres‘ wieder bei der Familie am Tisch sitzt.

    Aus gegebenem Anlaß zeige ich ihnen hier ein Bild von Therese Giehse bei einem Auftritt in der Pfeffer- mühle beim Vortrag des Liedes von der Dummheit, ihrer finsteren Glanznummer, wie Erika Mann sich erinnert:

    „Im wallenden Ballkleid (rosa) und flachsiger Perücke (schulterlang) stand die Giehse auf rundem Postament (denkmalgleich) und kündete gereimt von sich und ihrer Allmacht: sie prahlte, schäkerte und drohte. Dann wieder erschrak sie jählings vor sich selbst, erstarrte zur Bildsäule und zum Prosa- Refrain: »Ja, um Gottes willen, bin ich dumm!«“

    An so etwas hatte Thomas Mann größtes Vergnügen, Erika weiter:

    „Es war der großartige Eugen Auerbach (im Jahre 1940 in Paris geschnappt und vergast), Freund und Klavierbegleiter von Karl Kraus, der die Giehse- Nummer komponierte und sich so den Märtyrertod verdiente, der freilich dem Juden ohnehin zustand.“

    So weit die harten Worte der lebenstauglichen Erika, so weit auch mein Rundbrief. Fürchte, auch wir werden noch allerhand Härten ertragen müssen in dieser Zeit.

    Seien Sie dennoch herzlich gegrüßt. Auf bald Ihr Peter Baumgärtner

    Anlagen  E. Horn: Liste Publikationen | M. Pfeifer: Betrachtungen

    E. Horn: Liste Publikationen

    Liste der Publikationen

    • Nasaridze: Natia: Goethe und Wagner-Rezeption in Thomas Manns Essaystik. Kutaissi 2005 (Monographie)
    • Nassaridze, Natia: Goethe-Rezeption in Thomas Manns Essay „Goethe und Tolstoi“. In: Beiträge der Fakultät der Europäischen Sprachen und Literatur. Kutaissi 2001, Bd. II, S. 74-80
    • Nassaridze, Natia: Wagner-Rezeption in Thomas Manns Essay „Leiden und Größe Richard Wagners“. In: Beiträge der Fakultät der Europäischen Sprachen und Literatur. Kutaissi 2003, Bd. IV, S. 3-7
    • Nasaridze: Natia: Zum Verständnis von „Artefakt“ in Thomas Manns Essay „Geist und Kunst.“ In: Beiträge der Fakultät der Europäischen Sprachen und Literatur. Kutaissi 2004, Bd. V, S. 25-28
    • Nasaridze: Natia: Goethe und Wagner-Rezeption in Thomas Manns Essaystik. In: Beiträge der historischen und philologischen Reihe. Kutaissi 2004, Bd. IV, S. 145-152
    • Nasaridze: Natia: Goethe-Bild in Thomas Manns Essays „Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters“ und „Goethes Laufbahn als Schriftsteller.“ In: Beiträge der geisteswissenschaftlichen Fakultät, Kutaissi 2005, Bd. VII (II), S. 201-206
    • Nasaridze: Natia: Goethe-Bild in Thomas Manns Essays in den Jahren 1934- 1955. In: Beiträge der geisteswissenschaftlichen Fakultät, Kutaissi 2005, Bd. VII (II), S. 207-215
    • Nasaridze: Natia: Beiträge der geisteswissenschaftlichen Fakultät, Kutaissi 2008, Bd. X, S. 146-150
    • Nasaridze: Natia: Goethe-Bild in Thomas Manns Tagebüchern und Essays in den frühen Jahren. In: Beiträge der geisteswissenschaftlichen Fakultät, Kutaissi 2007, Bd. IX, S.
    • Nasaridze: Natia: Das Wagner-Bild in Thomas Manns Essay „Phantasie über Goethe“. In: Goethe-Tage 2008. Hg. v. N. Kakauridze und D. Schäf. Kutaissi 2008, S. 23-27
    • Nasaridze: Natia: Zu Thomas Manns Demokratiebrief („Betrachtungen eines Unpolitischen“, „Von deutscher Republik“, „Deutschland und Demokratie“). In: Goethe-Tage 2011. Hg. v. N. Kakauridze und R. Ziller. Kutaissi 2011, S. 48-55
    • Tcholadze, Natia: Modulationen der abstrakten Themen-Motive im Zauberberg von Thomas Mann. In: “). In: Goethe-Tage 2021. Hg. v. N. Kakauridze und M. Bornmann. Kutaissi 2021, S. 134-151
    • Tcholadze, Natia: Die sinfonische Architektonik von Thomas Manns Der Zauberberg. In: Goethe-Tage 2021. Hg. v. N. Kakauridze und M. Bornmann. Kutaissi 2021, S. 152-161
    • Anna Khukhua: Die Funktion des „inneren Monologs“ in Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“. In: Goethe 250. Wissenschaftliche Konferenz des Rustaveli-Instituts für georgische Literatur. Merani-Verlag. Tbilissi 2001, S. 78- 83
    • Anna Khukhua: Goethe und Deutschland in Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“. In: Beiträge der Fakultät der Europäischen Sprachen und Literatur. Kutaissi 2004, Bd. V, S.337-343
    • Anna Khukhua: Die Authentizität eines Goethe-Zitats in Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“. In: Beiträge der Fakultät der Europäischen Sprachen und Literatur. Kutaissi 2004, Bd. V, S.333-341
    • Anna Khukhua: Historischer, biographischer und literarischer Kontext in Thomas Manns Essay „Goethe und Tolstoi“. In: In: Goethe-Tage 2008. Hg. v. N. Kakauridze und D. Schäf. Kutaissi 2008, S. 18-23

    M. Pfeifer: Betrachtungen

    Der Prolet und der „Stehkragen“ –
    Vergleichende Betrachtungen zu Bertolt Brecht und Thomas Mann

    Sehr verehrte Mitglieder des Ortsvereins BonnKöln der Deutschen Thomas Mann-Gesellschaft!

    Am 21.10. vergangenen Jahres hielt Herr Prof. Dr. Norbert Oellers einen schon lange zuvor geplanten Vortrag mit dem Titel „Bert Brecht und Thomas Mann“, der Corona-bedingt dann mehrmals verschoben -werden musste. Eine zentrale Tendenz dieses Vortrags von Professor Oellers, wie im Rundbrief Nr. 34 des Ortsvereins hervorgehoben wurde, war es dann, ein „Nicht-Verhältnis“ zwischen beiden zu konstatieren, eine Behauptung, der hier deutlich widersprochen werden soll.

    Herr Prof. Oellers beschränkte sich im Wesentlichen darauf, jeweils zwei Werke der beiden Autoren aus etwa der gleichen Entstehungszeit einander gegenüberzustellen, einmal aus der Zeit um 1930 „Mario und der Zauberer“ und „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“, aus der Zeit gegen Kriegsende dann

    „Doktor Faustus“ und „Das Leben des Galileo Galilei“ – wobei ggf. zu ergänzen wäre, dass Brecht seinen

    „Galilei“ schon zu Kriegsbeginn im dänischen Exil begann, 1943 uraufführen ließ, ihn unter dem Eindruck der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki aber noch einmal aus der Schublade holte und ergänzte.

    Es hatte dabei deutlich den Anschein, dass Herr Professor Oellers die jeweils behandelten Werke ganz für sich sprechen lassen wollte, wie dies auch heutzutage hier und da in der Literaturwissenschaft betrieben und zum Prinzip erhoben wird. Aber daraus dann die These abzuleiten, Thomas Mann und Bertolt Brecht hätten untereinander grundsätzlich keinerlei Verhältnis zueinander gehabt, noch dazu kein persönliches, soll im Folgenden deutlich widersprochen werden. Denn auch ein distanziertes, kritisches Verhältnis zueinander wäre ja eines, das näher zu beschreiben wäre.

    Gerne bekunde ich in diesem Zusammenhang, dass ich als Geschichtslehrer und Nicht-Germanist mindestens ebenso sehr, wenn nicht noch stärker am Auftreten und Wirken von Schriftstellern in der Öffentlichkeit interessiert bin als an deren Werken, und demgemäß möchte ich hier also nun einige Ausführungen folgen lassen, die ganz überwiegend biografischen Darstellungen entstammen, auch was Originalzitate betrifft.1 Es sei hier auch ausdrücklich betont, dass dieser Text kein umfassend wissenschaftlicher zu sein trachtet, mir fehlt der Überblick eines echten Kenners des gesamten Schaffens der beiden und ein Überblick über einschlägige Sekundärliteratur; gleichwohl deute ich an, was bei einem solchen Vortrag für meine Begriffe zumindest hier und da wünschenswerterweise mit zu berücksichtigen gewesen wäre, und ich wurde in dem Eindruck bestärkt, dass einige andere ähnlich gedacht haben. Ausdrücklich also dazu ermuntert, diesen Text zu schreiben, hoffe ich, dass der geneigte Leser ihn zumindest bis zu einem gewissen Grad informativ und vielleicht hier und da auch unterhaltsam finden wird.

    Mann und Brecht – von denen im Übrigen gesagt wird, sie seien die bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts2 – standen über weite Teile ihrer schriftstellerischen Karriere zeit- gleich im Rampenlicht der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Allein aufgrund dieser Tatsache ist anzunehmen, dass die beiden sich zumindest von Ferne stets wahrnahmen und ggf. als Konkurrenten oder als Vertreter gleicher oder unterschiedlicher literaturästhetischer oder weltanschaulicher Positionen kritisch beäugten. Zudem darf man beiden allein deswegen zunächst ziemlich konträre Weltauffassungen unterstellen, wenn man einerseits die großbürgerliche Herkunft Thomas Manns in Betracht zieht, andererseits das dezidiert linke Image des Bertolt Brecht, der sich selbst gelegentlich wörtlich einen

    „Proletarier“3 nannte. Doch trennten die beiden Schriftsteller, die beide nicht zuletzt auch als Meinungsführer in der deutschen und später auch in der internationalen Öffentlichkeit auftraten, denn wirklich etwa in politischer Hinsicht zeitlebens Welten? Ob die beiden tatsächlich keinerlei Wert auf eine gegenseitige persönliche Bekanntschaft legten, ob die beiden sich grundsätzlich geflissentlich aus dem Wege gingen, auch diesen Fragen soll im Folgenden zumindest etwas intensiver nachgegangen werden als in Prof. Oellers‘ Vortrag.

    1 Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Thomas Mann-Biografie von Klaus Harpprecht und die beiden Brecht-Monografi- en von Marianne Kesting (1959) und von Reinhold Jaretzky (2006).

    2 Zu einem solchen Ergebnis kam jedenfalls eine Umfrage des Allensbach-Instituts Ende der 1980er Jahre. Vgl. Harpprecht, S.17.

    3 S. Jaretzky, S.7.

    Thomas Mann, das muss eingangs zunächst hervorgehoben werden, erschien viel früher auf der literarischen Weltbühne als Brecht. Neben seinen klassischen Novellen und insbesondere den „Buddenbrooks“ machte Thomas Mann dabei nicht zuletzt mit großprotzig wilhelminischen und zudem demokratiefeindlichen und antiwestlichen Ausfällen auf sich aufmerksam, insbesondere in den während des Ersten Weltkriegs erschienenen „Betrachtungen eines Unpolitischen“. Doch ging Mann nach Kriegsende bekanntlich mit der Zeit und machte eine markante weltanschauliche Kehrtwende. 1922 legte er mit einer anlässlich des 60. Geburtstags von Gerhart Hauptmann gehaltenen Rede „Von deutscher Republik“ öffentlich ein gründliches Bekenntnis zur neuen republikanischen Verfassung Deutschlands ab, ein literarisch-politisches Ereignis, dessen 100. Jahrestag ja in diesem Jahr begangen werden kann.

    Bertolt Brecht – wirklich ein Marxist?

    In dieser Zeit – also der Anfangsphase der Weimarer Republik – hatte Bertolt Brecht seinerseits auch bereits die Bühne des deutschen Kulturlebens betreten. Thomas Mann äußerte sich über diesen neuen Stern am literarischen Firmament zunächst verhalten respektvoll, indem er Brecht immerhin bescheinigte, er sei ein „starkes, aber einigermaßen nachlässiges Talent“, erst viel später sollte er dessen Kunst als „intellektualistisch“ und „bolschewistisch“ verschmähen4.

    Dabei ist Bertolt Brecht, das sei hier hervorgehoben, alles andere als ein Proletarierkind aus dem Arbeitermilieu – wie so mancher Zeitgenosse es sich vielleicht denken mag. Ganz im Gegenteil! Bertolt Brechts Vater selbst stammte zwar aus einfachen Verhältnissen und konnte nur einen Volksschulabschluss vorweisen, aber er entpuppte sich als Aufsteiger par excellence: Es sollte ihm eine beeindruckende Karriere gelingen, während der er bis zum Direktor einer Druckerei aufstieg, und in seines Vaters Sechs-Zimmer-Dienstwohnung konnte Brecht eine ziemlich privilegierte Jugend verbringen. Die Originalfassung des Brechtschen Dramenerstlings „Baal“, in seiner Zeit durchaus allgemein als anstößig angesehen, wurde auf väterliches Geheiß von einer Sekretärin der Augsburger Druckerei Haindl ins Reine getippt.5 Es mag ergänzt werden, dass Brecht auch der deutschen Novemberrevolution 1918 kritisch gegenüberstand. Den daran beteiligten roten Revolutionären warf er vor, „mit blutbefleckten, leeren Händen“ dazustehen.6

    Seinen eigenen Namen begehrte Brecht quasi kapitalismuskonform wie ein Firmenlogo zu vermarkten, und nach dem ersten literarischen Ruhm und der Publikation eines Gedichts namens „Singende Steyrwagen“ gelang es ihm doch tatsächlich, von jenem Autohersteller zu PR-Zwecken einen fabrikneuen Wagen gestellt zu bekommen. Geboren als Berthold Brecht, wandelte er seinen Vornamen in Bertolt um, um ihn in formale Übereinstimmung mit dem Vornamen Arnolt Bronnens zu bringen, seinem in jener Zeit engsten Freund und Famulus,7 einen Schritt, den Brecht vielleicht später angesichts der zweifelhaften Karriere des Herrn Bronnen bereut haben mag. Die einfache Nickelbrille, ein weiteres seiner Markenzeichen, ließ Brecht aus Titan anfertigen, seine für ihn typischen schlichten, mausgrauen Arbeiterhosen waren aus Seide gefertigt.8

    4 S. Jaretzky, S.44. 5 S. Jaretzky, S.11f. 6 S. Jaretzky, S.20. 7 S. Jaretzky, S.32. 8 S. Jaretzky, S.7.

    Insgesamt mag sich da also der Eindruck einstellen, dass Brecht jemand war, der aus der literarischen Darstellung von kapitalistischer Ausbeutung selbst Profit schlagen und nicht unbedingt an deren Beseitigung mitarbeiten wollte. Das wäre aber sicher auch ein unfaires Urteil. Zwar trat er in seinem Leben niemals der Kommunistischen Partei bei, aber wenn so viele Texte Brechts eben doch eindeutig marxistischen Geist verströmen, so liegt das nicht zuletzt daran, dass er sich spätestens etwa seit 1926 intensiv mit der marxistischen Lehre auseinandersetzte und zu diesem Zweck auch eine entsprechende Bibliothek einrichtete. Ein Besuch im stalinistischen Russland 1935 ließ ihn tief beeindruckt in die Heimat zurückkehren. 1941, auf der Durchreise durch die UdSSR, charakterisierte er die Elite der Sowjetunion indessen als „verbrecherische Clique, die eine Diktatur ‚über‘ das Proletariat “ errichtet habe.9

    Rezeption in der Sowjetunion – anders als man denken mag

    Eine Ironie der Literaturgeschichte besteht nun darin, dass die 1934 von sowjetischer Seite verordnete sogenannte Realismus-Doktrin die Romane Thomas Manns in ihren verbindlichen Kanon ausdrücklich mit aufnahm, wohingegen Bertolt Brecht darin gänzlich unerwähnt blieb, was den schmählich Vernachlässigten durchaus sehr gekränkt hat. Ohne öffentlich in dieser Sache aufzutreten, entwickelte Brecht im Privaten eine Gegenposition zu dieser sowjetischen Doktrin.10 Als Mastermind hinter dieser marxistischen Literaturtheorie kann übrigens der ungarische Literaturwissenschaftler Georg Lukacs verortet werden,11 von dessen Physiognomie kolportiert wird, sie sei Vorbild für den Leo Naphta im „Zauberberg“. War hier also der „Zauberberg“ der entscheidende Grund – bzw. war gar mehr oder weniger bewusst auch persönlicher Dank im Spiel?12

    Von der unterschiedlichen Art, Texte unterschiedlicher Art zu produzieren

    Wenn man sich nun einmal vergleichend einen allgemeinen Eindruck von der Art der jeweiligen schriftstellerischen Produktion der beiden verschafft, kann einerseits festgestellt werden, dass Thomas Manns Hauptwerke ganz überwiegend dem Genre des Romans und der Erzählung angehören, während Brechts Schwerpunkte bekanntermaßen auf dem Drama und der Lyrik liegen, so dass beide sich eigentlich gar nicht als direkte Konkurrenten auffassen mussten.

    Auch die Art des jeweiligen Schaffensprozesses unterscheidet sich deutlich: Thomas Mann zog sich stets in sein außerordentlich luxuriös ausgestattetes Arbeitszimmer zurück, um an seinen Texten zu arbeiten, bis er ihnen schließlich den idealen finalen Schliff zu geben vermochte – seinen Familienangehörigen und Bediensteten war eine Störung dieses Arbeitsprozesses strengstens verboten. Demgegenüber war der Schreibprozess Brechts sehr regelmäßig ein kollaborativer, ja er entwickelte viele seiner Texte im Freundeskreis auch mithilfe von spontanen Ideen seiner Freunde und Gäste – und so manches seiner Werke steht bekanntlich sogar im Ruf, von der einen oder anderen Lebensgefährtin zu nicht unbedeutenden Anteilen fertiggestellt worden zu sein. Als ein besonders extremes Beispiel mag das Stück

    „Happy End“ dienen: Eine Art Nachfolgewerk im Stil der weltweit erfolgreichen „Dreigroschenoper“, schrieb Brechts Lebensgefährtin Elisabeth Hauptmann dies quasi in dessen Auftrag, Brecht steuerte lediglich einige Songtexte dazu bei, die allerdings immerhin ihrerseits einen legendären Ruf genießen, etwa das vom Surabaya-Johnny. Gleichviel, das gesamte Werk wird bis heute insgesamt als das seinige betrachtet.13

    Wie Brecht trug übrigens auch Thomas Mann – das sei kurz ergänzt – von seinen im Entstehen begriffenen Texten bereits vor der Veröffentlichung weitgehend fertige Passagen im privaten Kreis vor, allerdings war der kreative Prozess dann in der Regel schon weitgehend abgeschlossen, und Thomas Manns Publikum bestand dabei – ganz im Gegensatz zu dem Brechts – nur aus seinem engsten Familienkreis, dessen spontane Reaktionen Thomas Mann – ein talentierter Vorleser – dabei gerne austestete.

    9 S. Jaretzky, S.66, S.83f., 102.

    10 S. Jaretzky, S.94.

    11 Ebd.

    12 S. A. Grenville: “Linke Leute von rechts“; in: Hans Rudolf Vaget (Hg.): „Thomas Mann’s Magic Mountain“ , London 2008, S.145.

    13 S. Jaretzky, S.59.

    Persönliche Bekanntschaft, Erfolg und Misserfolg im Exil

    Was persönliche Kontakte zwischen Bertolt Brecht und Thomas Mann betrifft, so vermerkt Klaus Harpprecht, Verfasser einer der ausführlichsten Biografien über Thomas Mann, keinerlei Anekdote von einer etwaigen persönlichen Begegnung beider während der Zeit der Weimarer Republik – etwa in München, obwohl beide doch dort ja zeitgleich eine gewisse Zeitlang lebten bzw. arbeiteten. Zweifellos ergaben sich dort aber bedeutende persönliche Bekanntschaften im persönlichen Umfeld beider, das prominenteste Beispiel wohl die persönliche Freundschaft zwischen Therese Giehse und Erika Mann. Die Giehse wirkte seit Ende der Zwanziger Jahre unter Brechts Regie in der Dreigroschenoper mit und war ihm ihr Leben lang verbunden, und andererseits betrieben die Giehse, Erika und Klaus Mann einige Jahre lang das Münchener Kabarett der Pfeffermühle, mit dem man aber schon kurz nach dessen Gründung 1933 gemeinsam ins Schweizer Exil umziehen musste. Auch Erika Mann und Therese Giehse blieben sich ihr Leben lang eng verbunden. Nachgewiesenermaßen kam es aber auch zwischen Thomas Mann und Bertolt Brecht selbst zu privaten Kontakten bis hin zur persönlichen Bekanntschaft, die sich im amerikanischen Exil ergaben. Förderlich dafür war, dass beide in unmittelbarer Nachbarschaft in Los Angeles lebten.

    Beide hatten sich zuvor dezidiert gegen Hitler positioniert, Brecht floh am 28.2.1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, ins Ausland, zunächst nach Dänemark, und er gelangte nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges über die UdSSR 1942 nach Amerika. Thomas Mann warb seinerseits gegen Ende der Weimarer Republik noch lautstark für die Demokratie, etwa 1930 in seiner vielbeachteten Rede

    „Appell an die Vernunft“. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten überraschte ihn dann während einer Vortragsreise durch die Schweiz, wo er sich dann einige Jahre in Küsnacht bei Zürich niederließ, bis die Manns 1938 endgültig in die USA auswanderten.

    Während Thomas Mann sich dabei schließlich im vornehmen Stadtteil Pacific Palisades niederließ, wo er sich scheinbar relativ unbefangen seiner Schriftstellerexistenz widmen konnte, suchte Bertolt Brecht stets die Nähe der Filmstudios von Hollywood, um dort etwa Aufträge für Drehbücher zu erhaschen. Ihm sollte dabei nur bescränkter Erfolg beschieden sein. „Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen, gehe ich auf den Markt, wo Lügen gekauft werden. Hoffnungsvoll reihe ich mich ein zwischen die Verkäufer.“ Immerhin gelang Brecht ein Publikumserfolg mit der Drehbuchvorlage zum Film „Hangmen also die“, der auf die Ermordung von Reinhard Heydrich in Prag anspielt, Stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren und Leiter der Wannsee-Konferenz. Weiterer finanzieller Erfolg war Brecht durch die gelegentliche Mitarbeit mit Lion Feuchtwanger beschieden. Brecht durfte sich so schließlich auch Besitzer eines kleinen Hauses nennen und konnte sich einige Reisen nach New York leisten.14 Marianne Kesting berichtet in ihrer bereits gegen Ende der 50er Jahre erschienenen Biografie nun von einem Lese-Club, zu dessen regelmäßigen Teilnehmern neben Thomas und Heinrich Mann und etwa Franz Werfel auch Bertolt Brecht gehört habe.15 Unter diesen deutschen Exilanten in Kalifornien soll aber nicht immer unbedingt eine Atmosphäre einträchtiger Harmonie und Solidarität geherrscht haben. Der Brecht-Biograf Reinhard Jaretzky spricht jedenfalls von erheblichen Spannungen und einem

    „Markt bösartiger Anfeindungen“, auf dem die Kreativen sich gegeneinander zu behaupten und ihr jeweils eigenes Profil zu schärfen suchten: Nicht zuletzt nahm auch Brecht aktiv seinen Anteil daran. So war er sich nicht zu fein, gegen die dem Marxismus durchaus nahestehende, aber äußerst wohlbetuchte Mannschaft des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ zu sticheln. Und auch über Thomas Mann mokiert sich Brecht, der seinen eigenen Bruder Heinrich hungern lasse, während der jüngere Bruder Thomas sich einen aus mehreren Wagen bestehenden Fuhrpark leiste.16

    14 S. Jaretzky, S.118f.

    15 S. Kesting, S.109.

    16 S. Harpprecht, S.1360.

    Dass Thomas Mann im Exil in der Tat in finanzieller Hinsicht deutlich besser dastand als sein Bruder Heinrich und auch als Brecht, lag zum einen sicher am Ruhm, der sich aus seinem Nobelpreis ergab, und der eher bürgerlichen Ausrichtung seiner Schriften. Und dass der von Brecht bemitleidete Heinrich Mann quasi am finanziellen Tropf seines jüngeren Bruders hing, lag zum Beispiel daran, dass Heinrich Mann, dessen Bücher sich insbesondere in der Sowjetunion durchaus gut verkauften, von dort nicht angemessen entlohnt wurde, denn die zuständigen Stellen in der UdSSR zeigten sich sehr zögerlich, Devisen zu überweisen, auch nachdem Thomas Mann bei sowjetischen Stellen für seinen Bruder vorstellig wurde. 17

    Thomas Mann hingegen bezog sogar zumindest zu Beginn der NS-Zeit weiterhin Tantiemen aus Deutschland, wenn auch in eher bescheidenem Umfang, vor allem aber gelang es ihm, in den USA schnell zu einer von der Öffentlichkeit stark wahrgenommenen Figur aufzusteigen und sich selbst quasi in der Nachfolge Goethes als eigentlicher Repräsentant deutscher Kultur zu inszenieren, frei nach dem bekanntermaßen effektvoll vermarkteten Motto „Wo ich bin, ist Deutschland!“18 Doch gelang ihm der Aufbau eines solchen öffentlichen Images freilich nicht ganz von allein. Protegiert und bei weitem nicht nur in finanzieller Hinsicht massiv unterstützt wurde Mann in den USA von einer gewissen Agnes Meyer, einer begeisterten Leserin der „Buddenbrooks“, die selbst Tochter von Einwandern aus Deutschland war, aber zudem und vor allem auch Gattin des Besitzers der Washington Post, einer der renommiertesten Tageszeitungen der USA. Agnes Meyer war maßgeblich daran beteiligt, Thomas Mann lukrative Angebote für öffentliche Gastvorträge etwa an namhaften Universitäten zuzuschanzen. Nicht zuletzt durch die auf diese Weise gewonnenen Kontakte wurde Mann auch zweimal ins Weiße Haus geladen, er begegnete dabei jeweils Präsident Roosevelt persönlich. Außerdem vermittelte man ihm einen lukrativen Posten an der Library of Congress in Washington, wo er dann in der Öffentlichkeit vielbeachtete jährliche Vorträge zu halten hatte. Dieser Aufgabe widmete er sich bis 1952. 19 In diesem Rahmen konnte er zum Beispiel sein eigenes, im Exil entstandenes Werk „Joseph und seine Brüder“ der Öffentlichkeit vorstellen (1942), unmittelbar nach der deutschen Kapitulation hielt er seinen wegweisenden Vortrag „Deutschland und die Deutschen“ und 1949 sprach er zum Thema „Goethe und die Demokratie“.20 – Ja, Mann galt schließlich in den USA als so objektive Autorität in Sachen Deutschtum, dass Auszüge aus der ebenfalls im Exil entstandenen „Lotte in Weimar“, insbesondere Goethe in den Mund gelegte, abfällige Äußerungen über die Mentalität der Deutschen, irrtümlicherweise als Goethes Originalzitate aufgefasst, als Beweismaterial bei den Nürnberger Prozessen eingesetzt wurden.21

    Im Angesicht der nahenden Kapitulation Deutschlands und angesichts der Gewissheit über die bestialischen Gewaltakte der Deutschen in Kriegsgebieten und Konzentrationslagern hatte Mann indessen an – dere Landsleute aufwühlende, vor den Kopf stoßende Phantasmagorien über notwendige Strafgerichte an den Deutschen formuliert. Brecht notierte dazu: „Als Thomas Mann vorigen Sonntag, die Hände im Schoß, zurückgelehnt sagte: ‚Ja, eine halbe Million muss getötet werden in Deutschland‘, klang das ganz und gar bestialisch. Der Stehkragen sprach.“22 Harpprecht macht in Thomas Manns Tagebüchern und seinem öffentlichen Gebaren dieser Zeit immer wieder widersprüchliche Tendenzen und makabre Gewaltphantasien aus.

    17 S. Harpprecht, S.1240-42.

    18 S. https://www.deutschlandfunk.de/wo-ich-bin-ist-deutschland-100.html

    19 S. Harpprecht, S.2239f. (Namensverzeichnis)

    20 S. https://blogs.loc.gov/international-collections/2020/12/thomas-mann-and-the-library-of-congress/

    21 S. Harpprecht, S.1577.

    22 S. Harpprecht, 1360.

    Herr Baumgärtner wies in seinem Rundbrief Nr. 34 seinerseits ja bereits auf unsensible Äußerungen Thomas Manns über die innerdeutsche Opposition gegen Hitler hin, etwa was den Münsteraner Bischof und Kardinal Clemens August von Galen betrifft. – In einem sicherlich gleicher – maßen fragwürdigen rhetorischen Ausfall seinerseits beklagte Bertolt Brecht nun, dass das deutsche Volk „nicht nur die Untaten des Hitler-Regimes, sondern auch die Romane des Herrn Mann geduldet“ habe,23 Manns Roman „Joseph und seine Brüder“ bezeichnet Brecht als eine „enzyklopädie des bildungsspießers“.24

    Derlei überspannt zynische Rhetorik darf sicher als unfair eingestuft werden, bemühte sich doch Thomas Mann beispielsweise Ende der dreißiger Jahre mit anderen darum, Bertolt Brechts ehemalige Geliebte, die Schauspielerin Carola Neher, aus einem sowjetischen Gulag zu befreien, wenn auch letztlich erfolglos. Andere Versuche Thomas Manns, sich schriftlich oder mit Geldbeträgen um Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland zu bemühen, waren indessen Legion. Katia Mann half engagiert dabei mit.

    Überhaupt ist die ideologische Distanz zwischen Mann und Brecht zumindest in dieser Zeit als deutlich geringer anzusehen als viele mutmaßen mögen. Denn trotz seines auch in den USA großbürgerlichen Lebensstils und Auftretens ist Thomas Mann eben doch auch unbedingt wirklich als ein ernsthafter Verehrer des ziemlich fortschrittlich eingestellten US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt anzusehen, insbesondere lobte er dessen wegweisende Sozialgesetzgebung im Rahmen dessen Regierungsprogramms des New Deal. Im Jahre 1943 warb Thomas Mann in seiner ebenfalls in der Library of Congress gehaltenen Rede „The War and the Future“ zudem sogar explizit für einen Ausgleich zwischen den Ideologien und des Westens und der Sowjetunion.25

    Da mag man sich dann eigentlich wundern, warum sich Thomas Mann kurz zuvor im Sommer 1943 denn geweigert hatte, eine Erklärung über eine nach dem Kriege zu erhoffende Demokratisierung Deutschlands zu unterzeichnen, die vom Moskauer Nationalkonvent „Freies Deutschland“ entworfen worden war, worauf Herr Baumgärtner in seinem Rundbrief auch hinwies. Diese Weigerung stieß insbesondere Brecht vor den Kopf, zumal er sich darüber im Klaren war, dass Thomas Mann sich bei anderer Gelegenheit durchaus auch von den Sowjets gerne hofieren ließ, so dass die von Thomas Mann kolportierte Meinung, man dürfe die westlichen Alliierten mit so einer Moskauer Erklärung nicht vor den Kopf stoßen, Brecht als wenig glaubwürdig erscheinen musste.26 Hier muss wohl Thomas Manns persönliche Eitelkeit als Großschriftsteller eine zentrale Rolle gespielt haben, eine Art Singularitäts- bzw. Alleinvertretungsanspruch, was deutsche Belange anbetrifft, so dass er sich einfach nicht einreihen wollte in eine Gruppe von seiner Einschätzung nach weniger namhaften Kollegen seiner Zunft.

    Hadern mit Amerika

    Nach des Präsidenten Tod im April 1945 jedenfalls, insbesondere seit Beginn der systematischen Kommunistenhatz unter Führung des republikanischen Senators Joseph McCarthy, kühlt Thomas Manns Begeisterung für die USA in sehr ähnlicher Weise ab wie die Bertolt Brechts. Im Familienkreis, in dem Erika Mann in dieser Zeit praktisch die Funktion der Privatsekretärin ihres Vaters eingenommen hat, wird beraten, ob man allzu aggressive Spitzen aus den Manuskripten zu öffentlichen Verlautbarungen streicht oder eine Veröffentlichung sogar ganz unterlässt, um diensteifrig Wogen zu glätten bzw. um etwaige Aufregungen zum eigenen Schaden zu vermeiden.27

    23 S. Jaretzky, S.123.

    24 S. Harpprecht, S.1360.

    25 S. https://blogs.loc.gov/international-collections/2020/12/thomas-mann-and-the-library-of-congress/

    26 S. Harpprecht, S. 1359.

    27 S. z.B. Harpprecht, S.1774-78.

    Bertolt Brecht bekommt den sich im Zeichen des bald angebrochenen Kalten Krieges schnell breitmachenden extrem antikommunistischen Zeitgeist eher und deutlich stärker zu spüren als Mann selbst: Brecht musste sich nämlich bereits 1947 einem gefürchteten öffentlichen Hearing des Ausschusses für unamerikanische Umtriebe stellen – wobei er sich übrigens recht schlagfertig und rhetorisch geschickt aus der Affäre ziehen konnte. Doch wenn ihm selbst so etwas zwar auch erspart bleibt, so musste sich Thomas Mann doch letztlich ganz ähnlich angegriffen fühlen, als er 1951 im US-Repräsentantenhaus öffentlich als „einer der weltweit bedeutendsten Verteidiger von Stalin und Genossen“ denunziert wur- de, indem man z.B. auf seine Äußerungen von 1943 in seiner Rede „The War and the Future“ verwies.28

    So kehren Bertolt Brecht und Thomas Mann letztlich gleichermaßen desillusioniert aus den USA nach Europa zurück, Bertolt Brecht früher als Mann, der schon Ende der 40er Jahre ausreist. Nicht zuletzt aufgrund mangelnder Alternativen lässt er sich in Ost-Berlin nieder, übrigens als österreichischer Staatsbürger, einen Status, den er aufgrund Helene Weigels Wiener Herkunft ergattern konnte und mit dem er anscheinend ein Gefühl zusätzlicher persönlicher Sicherheit verband. Er schließt seinen Frieden mit der DDR-Führung und wird 1954 schließlich Chef des Berliner Ensembles, wo man ihm vergleichsweise viele Freiheiten lässt. Mit diesem Team heimste er auch in den letzten zwei Jahren seines Lebens noch internationale Erfolge ein, etwa mit einer Inszenierung der „Mutter Courage“, für die man ihm beim Festival de Paris den ersten Preis verlieh. 1955 nahm er noch – wohl oder übel – den von Stalin gestifteten Internationalen Friedenspreis an, nachdem sich Thomas Mann dann doch geziert hatte, eine solche Auszeichnung anzunehmen. Loyal gegenüber der DDR-Führung verhält sich Brecht auch nach dem 17. Juni 1953. Er hatte sein Berliner Ensemble zwar auf solidarische Gesten mit den Aufständischen eingestimmt, die aber weitgehend ungehört verhallten. Seine Hoffnung auf ein ideologisches Um – denken der Staatsführung sollte sich zu seinen Lebzeiten nicht mehr erfüllen.29

    Thomas Mann seinerseits war endgültig erst 1952 wieder in die Schweiz zurückgekehrt. Doch zuvor hatte er bereits 1949 eine öffentliches Aufsehen erregende Reise in sein ursprüngliches Heimatland unternommen, die vor allem im Zeichen des 200. Goethe-Geburtstags stand. Bei vielen Westdeutschen setzte er sich indessen nun damit in die Nesseln, dass er nicht nur in Frankfurt, sondern eben auch im ostdeutschen Weimar an den Goethe-Feierlichkeiten teilnahm und damit auch hier implizit für eine Wiederannäherung der beiden Machtblöcke vor dem Hintergrund des sich ausbreitenden Kalten Krieges warb. Doch sollten auch Thomas Manns diesbezügliche Wünsche zu Lebzeiten nicht in Erfüllung gehen. Ziemlich genau ein Jahr vor Brecht schied er 1955 in Kilchberg bei Zürich aus dem Leben.

    So musste beider Leben in tiefer Enttäuschung und Desillusionierung enden, was die Entwicklung der weltpolitischen Lage betrifft. Brechts Zwangslage, sich einerseits mit seiner Staatsführung, die ihm immerhin einiges an Privilegien eingeräumt hatte, arrangieren zu müssen, andererseits damit aber seine intellektuelle und moralische Unabhängigkeit insbesondere nach 1953 zu kompromittieren, muss gegen Ende seines Lebens stark an ihm genagt haben. Thomas Mann mit seinem so manches Mal anmaßend penetranten Autoritätsdünkel muss seinerseits darunter gelitten haben, dass, wenn auch seine Anhängerschaft in beiden Teilen Deutschlands weiterhin bedeutend gewesen sein mag – wie bei seinem Deutschland-Besuch 1949 überdeutlich wurde, seine moralische Autorität in politischen Fragen in einem Deutschland der Kalten Krieger eben doch ein politischer Mainstream in Frage stellte – wobei nicht wenige noch nicht einmal bereit waren, ihm sein Renegatentum in der NS-Zeit zu vergeben.

    In weltanschaulicher Hinsicht eigentlich gar nicht so weit auseinander, hätte aber sicherlich auch ein stärkeres Aufeinanderzugehen oder gar gemeinsames Auftreten beider in der Öffentlichkeit wenig bewirkt – angesichts des weltpolitischen Szenarios, in dem diese beiden Deutschen keine durchschlagende Rolle mehr zu spielen hatten.                                                                       

    Marcus Pfeifer

    28 S. https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1085322; Vgl.. auch https://blogs.loc.gov/international-collections/2020/12/tho- mas-mann-and-the-library-of-congress/

    29 S. Jaretzky, S.135-141, KestingS.160.

  • Rundbrief Nr. 36



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    ich sehne den Tag herbei, an dem ich meine Rundbriefe nicht mehr mit dem Thema Corona beginnen muß. Vielfältige Vortragsprojekte haben sich angesammelt, aber ich wage es noch nicht, konkrete Raum- und Terminfestlegungen zu treffen. Auf die Projekte gehe ich später im Einzelnen ein, zunächst müssen wir Administratives ins Auge fassen: Eine Jahresmitgliederversammlung steht an. Die Kassenprüfung haben dankenswerterweise wieder Dr. Agnes und Axel Volhard übernommen und mir eine ordnungsgemäße Abrechnung bescheinigt. Die Versammlung werden wir hybrid abwickeln müssen. Ein kleiner Kreis (Vorstand, Protokollführer, einige Mitglieder) wird sich in meinem Büro oder im Haus der Schlaraffia treffen und von dort die Online-Konferenz leiten. Frau Kirsten Huppertz wird die entsprechende Einladung vorbereiten, vorab machen wir einen Probelauf, damit die Sache dann auch glatt läuft. Aus privaten Gründen meinerseits wird die Veranstaltung erst Mitte / Ende Februar stattfinden können. Es sind eine ganze Reihe von Dingen zu besprechen, daher wäre eine große Teilnehmerzahl erfreulich. Meine Fragen im Vorfeld mit der Bitte um Rückmeldungen: Haben Sie bereits Erfahrungen mit dieser Form von Online-Sitzungen? Würden Sie an der Jahresversammlung in dieser Form teilnehmen? Ich kann Ihnen versichern: Es ist ungewohnt aber es funktioniert recht gut. Die Vorstandssitzungen unserer Gesellschaft finden seit fast zwei Jahren in dieser Form statt und haben ihr schon viele Reisespesen erspart. (Daß ich die Reisekosten liebend gerne selbst übernähme und mit den Kollegen im Anschluß an die Sitzung noch gerne ein Bier trinken würde, steht auf einem anderen Blatt.)

    Nun zu erfreulicheren Dingen: Ich hatte im letzten Brief meine Teilnahme an der Tagung in der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg angekündigt, die unter dem Titel

    MannsBilder – Mediale Darstellung und Wahrnehmung der Familie Mann

    dort stattfand. Von unseren Mitgliedern war auch Frau Dr. Reinhard zugegen. Sie ist eine erfahrene Kursteilnehmerin der Thomas-Morus-Akademie, einem perfekt ausgestatteten Tagungshaus mit modernen Hotelzimmern, einer prächtigen Sicht auf Köln und einem ordentlichen Restaurant, in dem ein strenges Corona-Lüftungs-Regiment gepflegt wurde, weshalb wir zum Frühstück dann im Mantel erschienen. Wie dem auch sei: Erkundigen Sie sich nach deren Kursprogramm – es lohnt sich.

    Zwei Vorträge möchte ich hervorheben:

    Zum einen jenen des noch recht jungen Professors Dr. Thomas Wortmann. Er berichtete über die Statussymbole von Thomas Mann und machte dies fest an der frühen Erzählung ‚Eisenbahnunglück‘, die einen weit weniger dramatischen Verlauf nimmt, als der Titel vermuten läßt, schildert sie doch eine Begebenheit, die TM 1906 selbst erlebt hatte. Herr Wortmann, in Mannheim lehrend aber aus dem Rheinland stammend, ist bei aller Wissenschaftlichkeit mit einem humorvollen Redefluß gesegnet. Es war erstaunlich, wie er mit seinem germanistischen Analysebesteck diesen kurzen Text zergliederte und erstaunliche Erkenntnisse zutage förderte. Im Nachhinein fragte ich ihn, ob er bereit sei, diesen Vortrag auch in Bonn zu halten und er stimmte sofort zu.

    Zum anderen war uns aus Berlin Dr. Tim Lörke überlebensgroß auf der Leinwand zugeschaltet. Er ist dem einen oder der anderen sicher von den Thomas-Mann-Tagungen bekannt. Sein Vortrag beleuchtete das Tagungsthema am umfassendsten: Wie Thomas Mann mit den Medien umging, sich ihrer bediente zum eigenen Zwecke, zur Darstellung seiner selbst. Es gelang ihm vorzüglich, Thomas Manns Spagat zwischen Bürger- und Künstlertum zu schildern, seinen Anspruch ‚Avantgarde‘ sein zu wollen und zugleich vom breiten Volk gelesen zu werden; er wollte ökonomisch erfolgreich sein und zugleich anerkannt in literarischen Kreisen. Hierbei legte er immer Wert darauf, in den Journalen korrekt abgebildet zu werden. Der Saal war begeistert (ca. 40 Teilnehmer) und auch hier mußte ich beim Referenten natürlich die Frage loswerden, ob er im Sommer denn mal aus Berlin in die alte Hauptstadt kommen wolle – und auch Tim Lörke stimmte sofort zu. Er will auch meiner Bitte entsprechen, für seinen Vortrag einen anderen Titel zu finden: „Hitze und Kälte, Melancholie und Betulichkeit – Thomas Manns produktive Rezeptionssteuerung“ ist nicht dafür angetan, die Massen aus den Lesesesseln zu locken.

    Aufgrund der großen Bekanntheit von Dr. Tim Lörke möchte ich gerne einen größeren Saal für seinen Vortrag suchen – alles natürlich unter dem Corona-Vorbehalt. Der Uni-Club oder der Saal des evangelischen Verwaltungsverbands kämen dafür infrage. In Bensberg lernte ich auch Vertreter der LESE kennen, der Bonner Lese- und Erholungsgesellschaft, gegründet 1787. Auch sie beklagen einen Mangel an Jugend in ihren Reihen, möchten aber nichts unversucht lassen, ihre Idee einer bürgerlichen Bildungsgesellschaft in die Zukunft zu tragen. Da die Interessengebiete unserer Mitglieder fraglos große Schnittmengen aufweisen, vereinbarten wir, uns zukünftig wechselseitig zu unterstützen und gemeinsame Veranstaltungen ins Auge zu fassen. Mit Tim Lörkes Vortrag zu Thomas Manns Umgang mit den Medien, werden wird den Anfang machen.

    In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen diese Postkarte zeigen, die unser Mitglied Frau Jutta Hartmann mir aus Lübeck schickte. Schon dieses wundersam aus der Mode gekommene Wort „Ansporn“ elektrisierte mich; und dann: „Zeitschrift für Vorwärtsstrebende“. Für beides gibt es heute sicher prima Anglizismen. Aber was steckte dahinter? Was war Inhalt dieser Hefte? Hatte Thomas Mann darin einen Text verfaßt? Oder – um sogleich einen Anglizismus zu verwenden – hatte man ihn nur als Cover-Boy gebraucht: eindringlich, entschlossen und, tatkräftig blickend?

    Für kleines Geld erhielt ich von einem Antiquariat zwei schwere, in Leinen gebundene Sammelbände des Jahrgangs 1930 dieser damals monatlich er- scheinenden Unternehmer-Zeitschrift. Ein Text von Thomas Mann findet sich nicht darin, aber eine gewisse Frau Dr. phil. Elisabeth Sommer singt ein hohes Lied auf den Sproß einer erfolgreichen Kaufmannsfamilie, der deren Stammbaum mit dem Nobelpreis bekrönte, eine durchaus lesenswerte Kurzbiographie. Was findet sich noch in diesem Heft? „Tüchtige Werbedamen gesucht“ ist ein Text überschrieben, oder „Praktische Winke für die Zwangsvollstreckung“ Eine zeitgemäße Büroausstattung wird vorgestellt, auch ein modernes Unternehmen der Glasproduktion. Und am Ende jeden Heftes gibt es als Fortsetzung „Sprachübungen“ – in Englisch, Französisch und Spanisch! Aber, und das sei hervorgehoben: Der Leitartikel eines jeden Hefts stellt einen herausragenden Künstler, Ingenieur oder Politiker vor. So wird die ‚Puppenmutter‘ Käthe Kruse präsentiert, aber auch George Washington, Wilhelm Röntgen und Hans Christian Andersen. Das Unternehmertum sah sich untrennbar mit der internationalen Kultur verbunden und hob dies auch hervor. Buchenswert!

    Im letzten Rundbrief habe ich ausführlich das freundschaftliche Verhältnis Thomas Manns zu Hans Reisiger alias Rüdiger Schildknapp geschildert. Auf Hans Reisiger neugierig geworden, besorgte ich mir noch seine 1952 erschienene Erzählung ‚Aeschylos bei Salamis‘, von der er schon im Herbst 1949 Thomas Mann erste Kapitel zu lesen gab, der diese als „ernst, nobel, klug, menschlich warm und dichterisch gehoben“ bezeichnete, bevor er das Buch im Herbst 1952 zur Gänze zu lesen bekam und er eine Eloge darauf anstimmte. Die Bezeichnung ‚Erzählung‘ sei zu bescheiden, es handle sich vielmehr um ein „Gedicht, einen Gesang, ein hochgestimmtes, mitreißendes, farbenreiches, von sinnigen, tiefgeführten Apercu über das Menschliche durchwobenes Lied…“

    Der Ton der Erzählung ist wahrlich ein sehr hoher und heutigen Lesern kaum noch zumutbar. Man kann das Ganze verstehen als einen Lobgesang auf eine zivile, wehrhafte und demokratische Gemeinschaft, eine Mahnung an die Bürger der noch ganz jungen Republik. Nicht umsonst steht Aischylos im Mittelpunkt und nicht die Kriegsherren; Xerxes wird vom Welteroberer zur Witzfigur auf dem Pfauenthron und nicht zufällig ist auch der junge Perikles mit von der Partie, der Aischylos gegenüber bedeutsam sagen darf: „…so bekenne ich, daß mir der Friede die erstrebenswertere und auch die schwerere Aufgabe scheint, die dem Menschen gestellt ist.“ Und Aischylos resümiert gegen Ende: „Aber es hat sich soeben wieder gezeigt, wohin es führt, wenn die Macht nicht Maß zu halten weiß und nicht mit Einsicht gepaart ist.“ (Sehr vornehme gehaltene Hinweise an die deutschen Leser von 1952) Man kann mit dem Buch seine Kenntnisse der altgriechischen Geschichte wieder auffrischen, aber für junge Leser müßte es tüchtig durchgepustet werden.

    Ein weiterer Nachtrag zum letzten Rundbrief: Ich hatte von Werner Oellers‘ Roman ‚Die neuen Augen‘ berichtet. Nun habe ich auch den 1939 erschienen Roman ‚Die Gewalt der Waffen‘ gelesen – und bin wieder begeistert. Dessen Titel ist unglücklich gewählt, wurde aber von Oellers nochmals überarbeitet und erschien 1942 mit noch deutlicheren autobiographischen Bezügen unter dem Titel ‚Das beharrliche Leben‘. Dieser zweite Titel paßt jedenfalls besser zur Geschichte: Dem Erwachsenwerden von zwei Jungen während des Ersten Weltkriegs. Gewalt, Krieg und Waffen finden nur in weiter Ferne statt. Die Jungs erleben die Auswirkungen des Kriegs auf ihre Familie, ihr Dorf: Der Vater wird eingezogen, viele Lehrer auch, Lebensmittel werden knapp, die ersten Frauen gehen schwarz gekleidet durch die Straßen, es gibt kein Gummi mehr für die Fahrradreifen, die Felgen werden mit Holz beschlagen, erste Kriegsversehrte kehren heim, ein russischer Zwangsarbeiter ist ein netter Kerl… Kein Wort gegen den Krieg, aber ein Buch darüber, daß in einem Kriege alle Seiten nur verlieren.

    Zum Abschluß kommt mir in dieser gedrückten Stimmung des Nicht-agieren-Könnens ein Satz Thomas Manns aus einem Brief an Agnes Meyer in den Sinn: „Immer habe ich eine Vorliebe gehabt für Andersens Märchen vom ‚Standhaften Zinnsoldaten‘. Es ist im Grunde das Symbol meines Lebens.“ (9.2.55) Womit ich bei dem hoffnungsvollen Blick in unseren Kühlschrank der Veranstaltungen angekommen bin. Frauke May ist in Vorbereitung ihres LIEDeraturabends zu Hans Christian Andersen, Tobias Schwartz brütet in Berlin über seinem Vortrag ‚Mein Thomas Mann‘ und der Vorstellung von Morpho Peleides umrahmt von Schmetterlingen im Museum Koenig, über Wortmann und Lörks habe ich oben ausgiebig berichtet, Herr Prof. Susmann aus Rußland will uns etwas zu Thomas Mann und die russische Literatur erzählen und auch der Vortrag von Prof. Wißkirchen zu Thomas Mann und Hermann Hesse ist nicht vergessen, wie auch der Abend mit Prof. Di Fabio und der Deutschen Ansprache. Gerade den letzten beiden wollen wir volle Säle bieten. Um all dies zu schultern werde ich im Sommer Unterstützung brauchen.

    Daher wird unsere Jahresversammlung von großer Wichtigkeit sein.

    Seine Sie herzlich gegrüßt. Auf bald Ihr Peter Baumgärtner

  • Rundbrief Nr. 35 + Anlagen W. Oellers: Rettung der Seelen  | Quasner: Glosse Folge 1



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    in meinem letzten Rundbrief blickte ich noch mit einem besorgten Auge auf die Entwicklung der Corona-Pandemie und nun sitzen wir wieder mitten drin und allein mit unseren Büchern zu Hause. Zum Glück sind noch nicht alle kulturellen Veranstaltungen abgesagt und wer hinreichend geimpft und getestet ist, möge diese auch aufsuchen: Die Künstler und Veranstalter werden es Ihnen danken. Ich habe mich für das kommende Wochenende bei der Thomas-Morus-Akademie Bensberg angemeldet zur Veranstaltung:

    MannsBilder – Mediale Darstellung und Wahrnehmung der Familie Mann

    Ich will hoffen, daß alles nach Plan stattfindet und werde im nächsten Rundbrief berichten.

    Nachlese zum Vortrag von Prof. Norbert Oellers zu Bert Brecht und Thomas Mann:

    Es wurde vielfach bemängelt, daß das persönliche Verhältnis der beiden Herren zueinander zu kurz kam. Unser Ortsvereinsmitglied Marcus Pfeifer hat sich daher dazu entschlossen, einen kleinen ergänzenden feuilletonistischen Aufsatz zum Thema Brecht- Mann zu schreiben, mit dem bewusst etwas provokativen (Arbeits-) Titel „Der Prolet und der ‚Stehkragen’“. Wir sind gespannt. Wer dem Vortrag nochmals lauschen möchte, kann dies an seinem Rechner tun unter dem Link: https://youtu.be/HS96iJVBlvE Frau Huppertz wird diesen auch auf unserer Homepage einrichten.

    Ich habe auch von dem erbosten Text geschrieben, den der Vater von Norbert Oellers im Sommer 1945 wider Thomas Mann verfaßt hatte. Ich bin mittlerweile zu der Ansicht gelangt, daß eine Gegenüberstellung der beiden Texte ‚Die Lager‘ von Thomas Mann und ‚Rettet die Seelen‘ von Werner Oellers keinen Abend trägt. Darüber ist nicht viel zu reden, da kann man nur betroffen schweigen. Den Text von Werner Oellers finden Sie im Anhang. Sein Zorn machte seine Sprache holprig. Neugierig geworden bestellte ich mir antiquarisch seinen 1940 erschienenen Roman ‚Die neuen Augen‘. Ich habe ihn mit einer wohligen Begeisterung gelesen. Gefiel er mir trotz der altertümlichen Sprache?

    Nein, gerade weil Werner Oellers‘ Ton noch so ganz im 19ten Jahrhundert wurzelt. Er war ein wunderbarer Erzähler: Er findet einen wundervoll lyrischen Ton bei seinen Landschaftsbeschreibungen und einen sachlich-schönen bei der Schilderung von Arbeitswelten, sei es im Hüttenwerk oder im Garten. Er nutzt die Geschichte um einen tragischen Verkehrsunfall zu Zeiten des besetzten Rheinlands und der Hyperinflation als Folie zur Darlegung seines Menschenbildes, das so gar nichts Heldenhaftes besitzt. In einer ganz keuschen Liebesgeschichte bekommt ein kurzes Streicheln des Haares ein erotisches Knistern. Man mag eine solche Geschichte als sentimental abtun, muß sich aber immer vergegenwärtigen, in welcher Zeit sie erschien: 1940! Solche Geschichten gaben allen zurückgezogen lebenden Zeitbloms die Hoffnung, daß inmitten der Gewaltherrschaft noch Menschlichkeit existiert. Ich frage mich ernsthaft, ob ein solches Buch nicht heute wieder ein interessiertes Publikum finden könnte. Bei ZVAB oder im Book- Locker sind noch viele Exemplare gelistet. Es würde mich freuen, wenn ich noch andere Stimmen zum Roman bekommen könnte.

    Nun sind wir bei der Frage angelangt, ob, und wenn ja welche hohe Kunst im sogenannten Dritten Reich entstand. Hierzu besorgte ich mir das Werk eines anderen ‚Daheimgebliebenen‘, des Freundes von Thomas Mann Hans Reisiger: Er veröffentlichte 1942 das Lebensbild von Johann Gottfried Herder in einer aufwendig gestalteten Ausgabe mit Photos und Graphiken. Die Kulturpolitik der Nazis hatte begonnen, Herder als Vorkämpfer ihrer Nationalidee zu vereinnahmen. Wie konnte dieser Ungehörigkeit entgegen getreten werden? Reisiger nimmt sich mit eigenen Äußerungen völlig zurück, reiht fast ausschließlich ‚Selbstzeugnisse, Briefe und Berichte‘ von Zeitgenossen aneinander. Nur einzelne kurze Texte sind eingeschoben mit biographischen Fakten. Wer Augen und Verstand besaß konnte erkennen, daß das Gegenteil der Fall war, daß Herder die Welt im Blick hatte, den Geist und das Miteinander der Kulturen. Sich der eigenen Kultur bewußt zu werden bedeutet nicht, andere gering zu schätzen.

    Wer war dieser Hans Reisiger, mit dem wir zuallererst Rüdiger Schildknapp aus dem Faustus assoziieren? Einer der wenigen lebenslangen Freunden von Thomas Mann. In seiner Rede zum 70sten Geburtstag von Hans Reisiger sagt er, 1906 dem schönen Jüngling von damals im Hause von S. Fischer erstmals begegnet zu sein. In den Anmerkungen zu den Tagebüchern 1937-1939 ist vermerkt, daß die beiden sich seit 1913 kannten. Wie dem auch sei: Hans Reisiger (1884-1968) verdingte sich als Übersetzer und lebte zeitlebens in eher bescheidenen Verhältnissen, die Gemeinde Seefeld in Tirol kann man als seinen Lebensmittelpunkt bezeichnen. Entscheidenden Einfluß auf Thomas Mann übte er 1922 aus: Seine Übersetzung von Walt Withmans ‚Leaves of Gras‘ erschien und Thomas Mann nahm sie wohl nur in die Hand, weil sein Freund Reisiger sie übertragen hatte. Das Hohelied auf die Demokratie und auf hübsche junge Männer begeisterte ihn gleichermaßen. In seiner Rede ‚Von Deutscher Republik‘ zum 60sten Geburtstag von Gerhard Hauptmann 1923 lobt er Reisigers Übertragung der ‚Grashalme‘ explizit. Spätestens seit dieser Zeit ist Reisiger ein Freund der Familie: Man verreist gemeinsam, vor der Machtübernahme ein letztes Mal 1932 in die ‚afrikanische Arktis‘, wie Thomas Mann in einem Brief zum 70. Geburtstag von Gerhard Hauptmann schreibt und damit die Ostsee bei Nidden meint. In den Schweizer (dreißiger) Jahren ist Reisiger sehr oft zu Gast in Küsnacht, in den Tagebüchern scheint er zuweilen ein Mitglied der Familie geworden zu sein. Es erfolgt die Übersiedelung in die USA. Reisiger ist unentschlossen, bleibt dies auch, nachdem er nach dem ‚Anschluß‘ Österreichs 1938 in Innsbruck verhaftet und einige Tage festgesetzt wurde. Thomas Mann setzt sich in den Staaten sehr für ihn ein, verschafft ihm eine Doktorandenstelle in Berkeley, aber ‚Reisiger Unentschlossenheit habe sich »nun geradezu ins Klinische gesteigert« wie Klaus Mann von einem Mittelsmann erfuhr. Man läßt ihm berichten, er möge doch alle Briefe Thomas Manns vernichten, sie könnten ihn in größte Schwierigkeiten bringen.

    Bei Thomas Mann bleibt jedenfalls eine gewisse Säuernis zurück. Während der Kriegsjahre gibt es aus schlechten Gründen keine Korrespondenz. Im Herbst 1943 dringt eine Botschaft nach den USA durch: »Glauben Sie nicht, daß alle Deutschen Nazis sind.« Unmittelbar nach dem Kriege versucht Reisiger mit Thomas Mann brieflich in Kontakt zu treten, zwei Briefe sind falsch adressiert und es dauert bis in den Sommer 1946 bis der erste Kontakt wiederhergestellt ist. Und Thomas Mann ist noch verärgert wegen des Zurückbleibens seines Freundes, glaubt, daß dieser aus Bequemlichkeit geblieben ist.

    An Erich von Kahler schreibt er: »…weil er an die Dauer des Regimes glaubte, besser unter ihm zu leben gedachte und wohl auch gelebt hat und … uns für verlorene und schiefgewickelte Leute hielt.« Diesen Vorbehalt spricht er gegen seinen alten Freund nicht aus, vielmehr keimt in ihm das schlechte Gewissen auf, wie er diesen als Schildknapp ins Bild gesetzt und übel überformt hat. In einem Brief vom 4. September 1947 bereitet er Reisiger auf den Roman vor, bittet um Verständnis und beinahe schon um Verzeihung ob der Darstellung im Roman. Und Reisiger ist verletzt und gekränkt, spricht dies aber seinerseits nicht offen gegenüber Thomas Mann aus, sondern klagt auch nur einem Dritten gegenüber (in einem Brief an Hermann Broch, im Juni 1948), findet vieles »allzu unwürdig und herabziehend.«

    In der Folge finden die beiden zu ihrem vertrauensvollen Verhältnis wieder zurück, wechseln viele Briefe, sehen sich erstmals am 4. August 1949 in Amsterdam wieder. Bei den schwierigsten Fragen Thomas Manns zu Deutschland und den Deutschen steht ihm Reisiger bei, entsprechend herzlich, dankbar und anerkennend seine eingangs erwähnte Rede zu Hans Reisigers 70sten Geburtstag 1954, eine öffentliche Bitte um Entschuldigung mit eingeschlossen: »Wahrhaftig, er hatte mehr zu verzeihen, als ich, und wie er’s tat, ist und bleibt schlechthin bewundernswert.« Hier ist wahre Freundschaft und tiefe Zuneigung im Spiel, Anerkenntnis auf Augenhöhe. Auf Anhieb fällt mir niemand außerhalb der Familie ein, auf den solche Attribute zuträfen, und auch nur wenige innerhalb. Aber nicht nur deshalb verdient diese Beziehung eine eingehendere Betrachtung als mein Überblick auf diesen Seiten: Sie steht auch exemplarisch für das Verhältnis zwischen den Geflüchteten und den Daheimgebliebenen.

    Nun will ich wieder einen hoffnungsvollen Ausblick auf den nächsten Frühling, auf hoffentlich postpandemische Zeiten wagen. Ich möchte Ihnen hierzu einen in diesem Jahr erschienenen Roman gedanklich auf den weihnachtlichen Gabentisch legen, und zwar „Morpho Peleides von Tobias Schwartz. Titel und Titelbild ließen mich zugreifen, erinnerten sie mich doch an meinen sommerlichen Besuch im Museum Alexander Koenig und meinem Staunen über die wunderschönen Falter in dessen Schatzkammern, eben jene, die Thomas Manns ‚Spekulierer‘ im Faustus seiner Familie vorstellte. Im Roman wird die Lebensgeschichte eines Schmetterlingsforschers beschrieben, der Sohn eines KZ-Kommandanten war und, parallel geführt, die Geschichte eines kleinen jüdischen Jungen, der eben in diesem Lager aufwuchs und die ein tragisches Ereignis miteinander verbindet. Beide haben Enkelkinder, die einander als Studenten in Berlin begegnen und sich ineinander verlieben. Schwartz arbeitet mit einer fesselnden Schnitttechnik, mit Sprüngen durch Raum und Zeit, von Göttingen nach Berlin, nach Moskau, Tel Aviv, Brasilien, von 1945 nach 2019 und wieder zurück in die fünfziger Jahre – und dann erfährt man noch, daß der Kern der Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht. Ich weiß nicht, was große Kritiker oder Germanisten zu diesem Roman sagen, ob diesen die Sprache zu schlicht ist – mir scheint sie angemessen, brutal, wo es Brutales zu erzählen gibt, sentimental, gar rührend, wo Gefühle geschildert werden, und spannend in der Engführung hin zur Wiederbegegnung der beiden ganz alten Herren bei der Hochzeit der Enkel. Tobias Schwartz (geb. 1976) lebt als Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer in Berlin und ist – dies nicht nur nebenbei – ein großer Bewunderer von Thomas Mann, der im Roman auch mehrfach erwähnt wird. Wenn die Regelungen zur Pandemie dies zulassen, werde ich ihn am letzten Adventswochenende zusammen mit seinem Verleger Ingo Držečnik (Elfenbeinverlag) in Berlin treffen. Er ist bereit, einen Vortrag unter der Überschrift ‚Mein Thomas Mann‘ vorzubereiten, den er dann hoffentlich eines entspannten Tages im Museum Koenig halten wird. Ich habe dort schon angefragt und bin auf ein positives Echo gestoßen. Ich denke an eine Sonntagsmatinee, nach der wir in kleinen Gruppen durch das Haus geführt werden könnten, auch in Räume hinein, die sonst für Besucher nicht zugänglich sind.

    Abschließend möchte ich Ihnen noch ein Buch für Ihre Kinder und Enkelkinder ans Herz legen – sofern diese es noch nicht besitzen: Erika Manns ‚Stoffel fliegt übers Meer‘. Es ist erstaunlich, wie Erika Mann 1932, in dieser Zeit der Not, ein Buch der Hoffnung herausgebracht hat, mit diesem Lob der Technik und deren tollen zukünftigen Möglichkeiten (Fernschreiben aus der Luft, telefonieren mit Amerika); dann dem Fliegen an sich und nicht zuletzt der Beschreibung von Neuyork, die auf deutsche Leser wie eine Utopie der Moderne gewirkt haben muß. Und die ganze Geschichte ist gesäumt von positiven, hilfsbereiten Menschen. Nun, ein positiver Blick auf die USA ist in deutschen Köpfen erst in den 50er Jahren angekommen- und dennoch: Das Buch ist ein phantastisches Zeitzeugnis und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Es wurde herausgegeben von unserem Münchner Kollegen Dirk Heißerer. Auf Rückfrage erhielt ich folgende Antwort:

    Sie (Stoffel-Neuausgabe) hält sich erfreulich noch immer sogar in zwei Verlagen, bei P. Kirchheim und bei Rowohlt. In diesen Zusammenhang gehört auch Erika Manns Weihnachts-„Kinderstück“ „Jan’s Wunderhündchen“ (1932), das wir 2005 als Bd. 1 der „Fundstücke“ in unserer Schriftenreihe wieder neu aufgelegt haben: https://tmfm.de/fundstuecke/ … sollten Ihre Mitglieder sich dafür interessieren, können Sie in einer einmaligen Weihnachtsaktion Exemplare für € 10 (inkl. Porto) auch direkt über unser Forums-Büro beziehen (info@tmfm.de).

    Also bitte: Greifen Sie zu und seien Sie herzlich gegrüßt Ihr Peter Baumgärtner

    PS: Dem Rundbrief beigefügt ist auch eine Glosse unseres Mitglieds Jürgen Quasner. Mit großer Phantasie begabt und einem breiten literarischen Wissen unterhält mich Herr Quasner seit Wochen mit einem fiktiven himmlischen Dichtertreffen. Ich habe nun einzelnen Szenen zu einem ersten Akt der Komödie zusammengefaßt und ihr den Titel gegeben: „Thomas Mann lädt ein zum himmlischen Stelldichein“ – Ich wünsche viel Vergnügen damit.

    PPS: Auf meinen letzten Rundbrief erhielt ich dankenswerterweise anerkennende Zeilen unseres Präsidenten Prof. Wißkirchen und vor allem den Hinweis, mit meinen Ausführungen zu Wassermann in allen Punkten recht zu haben und vor allem daß er im Thomas Mann Jahrbuch 2018 (Seite 33ff) einen ersten vergleichenden Blick auf das Verhältnis der beiden Dichter zueinander getan hat. Ist vielleicht für Sie interessant.

    Anlagen W. Oellers: Rettung der Seelen  | Quasner: Glosse Folge 1

    W. Oellers: Rettung der Seelen

    Quasner: Glosse Folge 1

    Thomas Mann lädt ein zum himmlischen Stelldichein

    Folge 1

    „Autorenfest mit Dame“

    von Jürgen Quasner

    Thomas Mann: Meine Herren, ich begrüße Sie zu unserem festlichen Abend. Sie sind allesamt so prominent, daß einige der Herren gekränkt wären, wenn ich sie einzeln vorstellen würde. Von Ihren Literaturpreisen will ich auch nicht reden. Katja wollte nicht mitkommen, Frau Fontane schreibt zur Zeit ein Manuskript ab. Aber ich habe Frau Seghers überreden können. Entschuldigen Sie, meine Gnädigste, daß ich Sie jetzt erst nenne: Vergeßlichkeit des Alters. Jeder hier weiß ja, daß Ihre politische Orientierung besser zu meinem Bruder als dem Gastgeber gepaßt hätte. Sie werden es mir bitte anrechnen, daß ich ab 1930 vor Arbeitern, vor Sozialdemokraten gesprochen und sie als die neuen Hüter des Geistigen angesehen habe.

    Anna Seghers: Danke für Ihre Einladung und die Begrüßung. Ich sehe in Ihrem Fall ein, daß Sie nicht zu den Kommunisten weitergegangen sind. Aber jetzt lassen Sie mich den Sekt probieren!

    Mann: Besonders hervorheben will ich noch Herrn Fontane, der uns den Champagner mitgebracht hat, den ihm die Redaktion damals für sein Treppengedicht verweigert hat.

    Fontane: Kommt Günter Grass denn nicht?

    Mann: Er ist verschnupft, weil ich ihm Vorhaltungen wegen seiner Weigerung gemacht habe, uns sein „Weites Feld“ vorzustellen. Ich habe sogar begonnen, den Roman zu lesen. Na ja, am Anfang erfährt man umständlich, daß er ihre Figuren kennt. Er nennt Sie Fonty, verehrter Kollege, etwas geschmacklos.

    Weiss: Und wo bleibt Brecht? Da gab es doch kürzlich unten einen Vortrag von Herrn Oellers über ihn und unseren Gastgeber!

    Mann: Herr Brecht läßt sich entschuldigen. Ich habe ihn diese Woche getroffen und ihm angedeutet, wir Prosaiker hätten genug für die Episierung der Welt getan. Da hätte es sein episches Theater mit dem blätternden Zuschauer nicht auch noch gebraucht. Kurz und gut, der Herr ist unpäßlich.

    Oskar Maria Graf kommt schnaufend an: Entschuldigen‘S scho. Sorry, ja, so viel englisch hab‘ ich in Neu York g‘lernt. I hab ja den Kasten Bier da hergschleppt. Bedienen Sie sich doch!

    Fontane: Oskar Maria, damit wären sozusagen zwei Damen bei uns!

    Graf: Saupreiß, dammischer, geh‘ schaukeln mit deiner Effi! Der Grass und der Reich-Ranicki sind sich da hinten am Zanken.

    Günter Grass und Siegfried Lenz treten auf, beide mit Pfeife, Grass verstrubbelt.

    „Die Blechtrommel. Ja“, sagt Thomas Mann, „recht kühn, wild, aber anders als mein

    „Faustus“, statt Schönberg nur eine Trommel mit Zwerg, das als Verkörperung deutschen Wesens? Ach so, sprachschöpferisch auch? Noch ein Nobelpreis, spät allerdings.

    Grass: Immerhin besser als „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“. Siegfried Lenz: Wo ist eigentlich der Böll?

    Graf: Der sitzt auf Wolke sieben in seinem Nobelpreiskissen und liest Theologisches. Mann: Aha! Sein „Gruppenbild“ wurde mit dem Zauberberg verglichen?“

    Auftritt Reich-Ranicki, grimmig sieht er drein.

    RR: Wegen derrr Buddenbrrooks wurrden Sie nach Stockholm geladen, grroßer Meister!

    Mann – leise zu Fontane: Meine Güte, wir haben ihn nicht eingeladen! Er wird unseren cercle sprengen wollen. Wenn er wieder damit anfängt, daß wir von Erotik nichts wüßten, nehme ich mich aber aus! Er beruhigt sich, wenn wir ihm Goethe vorlesen, hat jemand den „Tasso“ dabei?

    Mann: Reich-Ranicki, Sie Großkritiker, Sie sehen schlecht gelaunt aus!

    Reich-Ranicki: Jaa, bin ich, ich habe vorhin Frau Löfflä getrrroffän. Die will hier, hierr das Literarische Quarrtett wieder aufziehen! Lieber schreibe ich eine neue Rezension zu Ihrem

    „Weiten Feld.“ – Lacht.

    Grass: Nur zu, nur zu, aber auch das bringt mich nicht in die Hölle! Lenz, Sie könnten das Quartett leiten.

    Lenz: Da frage ich vorher Helmut Schmidt. Oh, kann ich dort meine „Deutschstunde“ bewerben?

    Mann: Sie, Herr Lenz mit Masuren, Sie waren mit Helmut Schmidt befreundet, na gut, ich fast mit den Roosevelts. Bei Ihnen wirkt alles so brav, wie aus der Puppenstube, und mit der

    „Deutschstunde“ haben Sie eine Pflichtarbeit abgeliefert… Reich-Ranicki: Ich werrrde sie rezensieren, Herr Mann!

    Alle: Nein! Um Himmels Willen!

    Graf: Aber do sammer doch, ihr dammischen Deppen

    Juli Zeh tritt auf, Helmut Schmidt im Gefolge. Menthol liegt in der Luft. Ein großes Durcheinander entsteht. Anna Seghers rümpft die Nase, tritt ab.

    Reich-Ranicki: Juli Zeh, wo kommen Sie denn her? Wollten Sie nicht lieber das Inferno unten besuchen, den Sauladen der SPD? So haben Sie das doch genannt!

    Zeh: Ach, nein, ich erhoffe mir Verbesserungen durch Olaf Scholz als Nikolaus…

    Mann: Ich kenne Sie zwar noch nicht, aber Sie gefallen mir. Haben Sie etwa auch Belletristik geschrieben? Wie kommen Sie überhaupt hierher? Sind Sie noch am Leben?

    Reich-Ranicki: Jetzt lassen Sie sie mal, lieber Thomas Mann. Ihre Romane erkläre ich Ihnen später. Das kann ich besser!

    Zeh: Meinetwegen. Also ich hospitiere hier mit allerhöchster Erlaubnis und darf Ausgewähltes nach da hinten unten berichten. Man erhofft sich bei der EKD und bei den Katholiken, daß die Austritte zurückgehen. Spesen werden bezahlt.

    Grass: Da hätte der Böll auch machen können. Und der Lenz sowieso.

    Schmidt: Wie ich sehe, Frau Zeh, beruhigen und stimulieren Sie zur selben Zeit. Ich setze darauf, daß der Scholz länger regiert als ich. Leider raucht er zu wenig.

    Lenz: Helmut, wir treffen uns aber noch zu einem Absacker an der Lazy Days‘ Bar! Und Sie, Grass?

    Grass: Ich nicht, habe schon getankt.

    Weiss: Habe keine Zeit, verfasse gerade ‚Die Ästhetik des Engelsstandes‘

    Mann: Gehen Sie nur, meine Dame, meine Herren Kollegen. Die Unterhaltung hat meinen Pessimismus etwas gemildert. Ich warte noch auf einen Herrn von den Unitariern, den ich wegen der Beschwernis durch Mc Carthy in den USA nicht mehr treffen konnte.

    Reich-Ranicki: Verehrter Thomas Mann, was soll das jetzt noch bringen? Ich interrrpretierre Ihnen jetzt besserrr die Romane von Frrau Zeh!…

  • Rundbrief Nr. 34



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    Am 21.10. konnte der bereits mehrfach verschobene Vortrag von Prof. Dr. Norbert Oellers stattfinden. Unter der Überschrift ‚Bert Brecht und Thomas Mann‘ stellte er ausführlich dar, wie der Dramatiker auf der einen Seite und der Epiker auf der anderen mit den jeweiligen Mitteln ihrer hohen Kunst auf die tragischen Zeitläufte reagierten. Er wählte hierzu zwei jeweils ungefähr gleichzeitig entstandene Werkpaare aus: Zunächst stellte er „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ neben die Novelle „Mario und der Zauberer“, dann „Leben des Galilei“ neben den „Dr. Faustus“. Bei aller Unterschiedlichkeit hob Herr Oellers die einzigartigen Qualitäten dieser beiden bedeutenden Dichter deutscher Zunge in der ersten Hälfte des 20.sten Jahrhunderts hervor. Bei der anschließenden Diskussion wurden Fragen zu den persönlichen Beziehungen der beiden zueinander besprochen. Herr Prof. Oellers umriß deren Nicht-Verhältnis und hielt als ausgewiesener Fachmann für den Dramatiker Friedrich Schiller seine Ansicht nicht zurück, daß seine größeren Sympathien beim Dramatiker Bert Brecht liegen.

    Weitere Gründe liegen auch im politischen und persönlichen Bereich. Im Sommer 1943 hatte sich Thomas Mann geweigert, eine Erklärung über die zu erhoffende Demokratisierung Deutschlands nach dem Ende des Krieges zu unterzeichnen, die vom Moskauer Nationalkonvent „Freies Deutschland“ veröffentlicht werden sollte. Seine Vorbehalte gegenüber Rußland mögen hier eine Rolle gespielt haben, aber auch sein grundsätzlicher Zweifel daran, daß man mit den Deutschen nach einem Kriege allzu gnädig umgehen sollte. In dem Text ‚Die Lager‘, der Mitte 1945 in verschiedenen, neu erscheinenden freien Zeitungen in Deutschland erschien, beschuldigt er keineswegs alle Deutsche, Täter gewesen zu sein, aber alle Deutsche seien eben bloßgestellt vor der Welt. Aber er läßt es auch nicht zu, die gesamte Schuld auf eine Führungsriege der Nazis zu laden:

    „Es war nicht eine kleine Zahl von Verbrechern, es waren hunderttausende einer sogenannten deutschen Elite, Männer, Jungen und entmenschte Weiber, die unter dem Einfluß verrückter Lehren in kranker Lust diese Untaten begangen haben.“

    In diesem Text erwähnt Thomas Mann auch den Münsteraner Bischof Graf von Galen und nennt ihn einen ‚unbelehrbaren Geistlichen‘, denn dieser hatte in seinem ersten Interview gegenüber der anglo-amerikanischen Presse gesagt, daß – obwohl er und andere gebildete Deutsche Antinazis wären – sie trotzdem „treu gesinnt sein müssten gegenüber dem Vaterland“ und sie daher die „Alliierten als Feinde betrachten müssten“. Ob Thomas Mann über das Wirken von Galens in den Nazijahren unterrichtet war, kann ich nicht feststellen, ich weiß nicht, ob Thomas Mann von dessen Predigten Kenntnis hatte, die die Machthaber bis aufs Äußerste reizten. Jedenfalls wurde dieser Text auch von Norbert Oellers‘ Vater Werner gelesen, und er schrieb einen, neben aller Respektbekundung leidenschaftlich erbosten Text wider Thomas Mann, der dann auch in der Ruhr-Zeitung veröffentlicht wurde. Er nennt Thomas Manns Sätze über von Galen einen „unqualifizierten Angriff“ eines Außenstehenden. Werner Oellers (1904-1947) war gläubiger Katholik und die Reden von Galens gaben ihm immer wieder die Kraft durchzuhalten, durchzuhalten in seinem Kampf gegen die Einziehung in die Wehrmacht, zu deren Musterungsterminen er seinen Körper mehrfach in einen so jämmerlichen Zustand versetzte, daß man ihn eben nicht einzog. Für diesen Einsatz bezahlte er mit seinem frühen Tod.

    Prof. Oellers übergab mir den sehr eindrucksvollen Text seines Vaters nach der Veranstaltung, er hatte ihn bei sich auf dem Rednerpult. Der Text, überschrieben mit ‚Rettet die Seelen‘ ist nicht weniger eindrucksvoll als jener mit ‚Die Lager‘ überschriebene Text von Thomas Mann. Der vollständige Satz zu von Galen lautet wie folgt: „Fühlt euch selbst nicht, wie dieser unbelehrbare Geistliche, »in erster Linie als Deutsche«, sondern als Menschen, der Menschheit zurückgegeben…“ Kein Satz, gegen den es heute irgendwelche Einwände gäbe, und die Affäre zeigt, wie in jener unmittelbaren Nachkriegszeit in den zerstörten Städten die Nerven der Menschen zum Zerreißen gespannt waren.

    Diese beiden Texte, nebeneinandergestellt, nacheinander verlesen, würde uns eine kleine Ahnung von der Situation verschaffen. Ich werde bei Herrn Oellers anfragen, ob er den Text seines Vaters für eine solche Veranstaltung frei gibt und ob er sich dabei beteiligen würde.

    Es ist noch nachzutragen, daß die Veranstaltung aufgezeichnet wurde und demnächst online gestellt und mit unserer Homepage verlinkt wird.

    Am Rande der Veranstaltung wurde über künftige Projekte gesprochen, leider schon wieder mit einem besorgten Auge auf die Entwicklung der Corona-Pandemie. Für das kommende Frühjahr bereitet die Co-Vorsitzende des Ortsvereins ein Programm über Thomas Mann, H. C. Andersen und die Vertonungen seiner Gedichte vor. Der Arbeitstitel lautet:

    HANS CHRISTIAN ANDERSEN: Märchen und Gedicht-Vertonungen und ihre Spiegelung und Literarisierung bei Thomas Mann – Ein LIEDeraturabend für Gesang, Klavier und Sprecher. Lieder u. a. von Schumann, Grieg, Gade und Prokofieff

    An einer Diskussion über Tóibíns ‚Der Zauberer‘ scheint kein Interesse zu bestehen. Ich habe den Roman nach hundert Seiten beiseitegelegt.

    Abschließend möchte ich Ihnen noch zwei Bücher vorstellen, die in den zwanziger und dreißiger Jahre von Autoren aus dem persönlichen Umfeld von Thomas Mann verfaßt wurden:

    Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude

    Auf dies Buch wurde ich aufmerksam durch das Nachwort von Walter A. Berendsohn zu den ‚Sieben Manifesten zur jüdischen Frage‘. Es erschien 1921 bei S. Fischer in Berlin und hatte bei meiner Ausgabe von 1922 schon die 16. Auflage erlebt. Wassermann (1873-1934) war nach wilder und entbehrungsreicher Jugend seit Anfang des Jahrhunderts ein erfolgreicher Schriftsteller. Mit dem Erscheinen des ‚Caspar Hauser‘ setzte in der deutschnationalen Presse eine Empörungswelle gegen ihn ein, daß er „als Jude nicht fähig sei, ihr geheimes, ihr höheres Leben mitzuleben, ihre Seele aufzurühren, ihrer Seele sich anzuschmiegen“ und nun, als Mann von fast 50 Jahren gibt er einen Lebensabriß und eine Darstellung der fortwährenden Kränkungen und des Sich-zurückgesetzt-Fühlens in Deutschland aber auch in Österreich. Diese über Jahrhunderte gewachsene und auch von den Kirchen geschürte Aversion gegen die Juden hat auch die gebildeten Stände erfaßt. Die Texte lassen einen schaudern. Thomas Mann versucht ihn nach Erscheinen des Buchs zu besänftigen, spricht vom ‚Pflänzchen Antisemitismus‘, das in Deutschland keine Wurzeln schlagen könnte.

    Nach Wassermanns Tod 1934 gibt seine Frau Martha Karlweis im Querido-Verlag 1935 eine Biographie ihres Mannes heraus, zu der Thomas Mann ein Vorwort schreibt. Darin heißt es:

    „Wie maßlos er am Ende recht bekommen sollte, das ahnte er damals so wenig wie ich.“

    Die beiden hatten sich schon als „ganz junge Leute“ kennengelernt im Gründungsjahr des ‚Simplicissimus‘ 1896, so Thomas Mann bei seiner Tischrede auf seinen „Freund“ Jakob Wassermann zu dessen 56sten Geburtstag. Kurz zuvor waren beide auf einer Liste „eines völkischen Kulturkampfbundes … als Kulturschädlinge und Seelenverderber“ bezeichnet worden. Dagegen führt Thomas Mann Wassermanns konservatives Rebellentum an: Er habe die besondere Art des Künstlertums bewahrt, die des genialen Unterhalters und Trostspenders. Diese gemeinsame Idee eines humanen Lebensdienstes bindet sie zusammen in dem „Kampf gegen die tödliche Trägheit des Herzens.“

    Das Verhältnis der beiden zueinander ist eine eingehende Untersuchung Wert – wenn es eine solche noch nicht geben sollte, ich kenne sie nicht. Der Briefwechsel ist sehr umfangreich, die Textstellen, in denen sie aufeinander Bezug nehmen, ebenso. Aber vor allem möchte ich auf dieses Buch aufmerksam machen: ‚ Mein Weg als Deutscher und Jude‘! So altmodisch Wassermanns Sprache sich ausnehmen mag, so beschämend aktuell scheint mir der Inhalt dieses hundert Jahre alten Buches. Es hätte eine Neuauflage verdient.

    Gleichfalls beklemmend aktuell ist der gerade im Bonner Weidle-Verlag neu erschienene Roman von Theodor Wolff ‚Die Schwimmerin‘. Theodor Wolff war von 1906 bis 1933 Chefredakteur des Berliner Tageblatts – und somit einer der einflußreichsten Journalisten Deutschlands – bevor er sich nach Südfrankreich ins Exil begab. Dort traf er mehrfach mit Thomas Mann zusammen, Briefe wurden gewechselt. 1937 erschien ‚Die Schwimmerin‘ bei Oprecht in Zürich. Ein Ausschnitt seiner Beschreibung der mondänen Gesellschaft an der Côte d’Azur, des ebenso neuen wie befremdlichen Umfeld der beiden Dichter, soll die Sprachmacht Wolffs verdeutlichen:

    Draußen auf dem Fahrdamm bewegte sich ununterbrochen, lückenlos und oft stoppend, der Korso der Autos, der pompösesten Autos aus allen Weltgegenden und Fabriken, ein riesiger Lindwurm, der sich mit blanken Schuppen langsam vorwärtsschob. In den Wagen saßen die gesicherten Existenzen, das Polster einpressend wie schwere Geldsäcke, und flittrige Grazien, indische Maharadschas ohne den verzaubernden Glanz ihrer Palastkostüme, populäre männliche und weibliche Filmstars, mächtige Zeitungsbesitzer, […] Fast alle taten, als wäre ihnen die Bewunderung der Zuschauer so gleichgültig wie in einer Rindviehausstellung den preisgekrönten Kühen.

    Es soll keineswegs abwertend klingen, wenn ich sage, dies sei eine zur Literatur geronnene Reportage. Wolff benutzt die Folie einer Liebesgeschichte zwischen einem erfolgreichen Manager mittleren Alters und einer allzu jungen und dennoch auf Selbstbestimmung pochenden Dame für seinen Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands seit dem ersten großen Krieg – der zweite ist schon als Ahnung zugegen. Besagte Dame trägt die Züge von Ilse Stöbe, von Wolffs früherer Sekretärin. Sie arbeitete 1939- 1941 für das Auswärtige Amt, und wurde, nachdem Sie Informationen zum geplanten Überfall auf die Sowjetunion nach Moskau übermittelt hatte, 1942 in Berlin als Landesverräterin hingerichtet. Gegen den Rat von Freunden bleibt Theodor Wolff nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich. Im Mai 1943 wird er verhaftet und stirbt noch im September des gleichen Jahres.

    Seit 1962 werden mit dem Theodor-Wolff-Preis herausragende Journalisten geehrt. Seit 2014 wird auf einer Gedenktafel am Auswärtigen Amt auf Veranlassung von Frank- Walter Steinmeier Ilse Ströbel gedacht.

    Lassen Sie sich diesen Lesegenuß nicht entgehen und seien Sie herzlich gegrüßt Ihr Peter Baumgärtner

  • Rundbrief Nr. 33a



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    in wenigen Tagen ist es soweit: Am Donnerstag, den 21.Oktober spricht Herr Prof. Dr. Norbert Oellers zu uns im „Rittersaal“ der „Gesellschaft Schlaraffia Bonn“ zum Thema Bert Brecht und Thomas Mann, den beiden sicher bedeutendsten Schriftstellern Deutschlands der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Er spricht dabei über ein Nicht-Verhältnis der beiden zueinander: die beiden hatten sich stets wechselseitig im Auge, wußten, was der andere tat, hatten sich aber nichts zu sagen, sprachen eher mit dritten übereinander, der eine, der ewige Großbürger mit der Neigung zu sozialdemokratischen Thesen am Ende seines Lebens, und der andere, der im Arbeiteranzug im schicken Wagen ins tolle Wochenendhaus am See in Bukow fuhr.

    Wir erwarten einen spannenden Abend, der sicher den einen oder die andere zum Widerspruch reizen wird. Herr Oellers freut sich auf eine lebendige Diskussion im Anschluss Bei Herrn Büning-Pfaue sind bis dato ca. 20 Anmeldungen eingegangen, 25 weitere können noch folgen, bitte um nur schriftliche Anmeldung nur bei Herrn Büning- Pfaue: buening@uni-bonn.de

    Nochmals zu den Regularien: Als Hygieneplan gilt: die 3 G-Regel, „G“eimpft, „G“enesen und „G“eprüft (nicht länger her als 24 h), Maske: bei Betreten des Hauses … bis zum angewiesenen Sitzplatz (Schedestraße 17 /Ecke Kaiserstraße; Bushalte „Schedestraße“, Buslinien 610 und 611); .. Abstandhalten, Desinfektionsmittel-Option nutzen, Stühle stehen im 1,5 m-Abstand, Getränke/Gläser gegebenenfalls mitbringen; maximal insgesamt nur 45 Personen; Veranstaltungs-Beginn: 19.30 Uhr

    Ich hoffe, wir sehen uns am Donnerstag. Seien Sie herzlich gegrüßt Ihr Peter Baumgärtner

  • Rundbrief Nr. 33 + Anlage Platthaus



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    zunächst möchte ich von der letztes Wochenende zu Ende gegangenen Jahrestagung berichten, die erst- und hoffentlich auch letztmals ausschließlich online stattfand. Sie muß dennoch als Erfolg gewertet werden, konnten sich die einzelnen Vorträge doch einer großen Zahl von Zuschaltungen erfreuen. Da ich in dieser Woche verreist war, konnte ich mich auch nur selten ‚live‘ zuschalten, kann mir aber nun – wie Sie auch – die Vorträge auf Youtube zeitversetzt anhören: Auf der Seite unsere Muttergesellschaft finden Sie leicht den Link. Nutzen Sie die Gelegenheit, warten Sie nicht ab, bis sie Ihnen nächstes Jahr im Jahrbuch in gedruckter Form vorliegen. Frau von der Lühe, die wir im vorvergangenen Jahr auch in Bonn begrüßen konnten, auch im Bild und in ihrer Art zu sprechen zu erleben, bedeutet einen zusätzlichen Gewinn. Sie hielt den einleitenden Vortrag und stellte zunächst den ganzen Titel der Herbsttagung infrage: Ein Exil kann keine geistige Lebensform sein, dem Grunde nach nicht und bei Thomas Mann schon gar nicht – es ist eine Freude, ihr zuzuhören!

    Alle Mitglieder, die ‚live‘ oder zeitversetzt an der Jahrestagung teilnahmen, bitte ich, mir ihr ‚feedback‘ zu geben, Kritik oder Anregungen zu äußern, ich trage diese gerne in den Vorstand weiter, die nächste Jahrestagung kommt bestimmt.

    Selbst miterleben konnte ich die Vorträge von Prof. Heinrich Detering und von Prof. Elisabeth Galvan. Beide hatten insbesondere den späten Roman ‚Der Erwählte‘ in ihren Fokus genommen, in dem die mittelalterliche Legende von Sybilla und Gregorius in einem märchenhaften Ton gegeben wird. Worin sich Thomas Mann darin zur Westbindung bekennt, wie Detering im Titel seines Vortrags insinuiert, kann ich nicht sagen, erstaunt hat mich in seinen Darlegungen, auf welch vernichtende (rechte) Presse Thomas Mann damit stieß, insbesondere bei FAZ und WELT. Frühere Nazikulturgrößen schmähten ihn der Schlüpfrigkeit, der Amoral, der Zerstörung der deutschen Sprache und noch weiteren Unflats – und siehe da: Thomas Mann hatte nichts anderes erwartet, hatte diese Legende, die schon Leverkühn zu vertonen gedachte, als eine paneuropäisch-grenzenlose Geschichte mit Bedacht angelegt, hatte darin sprachliche Mischformen zwischen Deutsch, italienisch und Latein erfunden und der arme kleine Gregorius wird auch noch von englischen Mönchen aufgezogen. Was uns heute als harmlos-heitere Entspannungslektüre nach dem Faustus erscheint, brachte in der sich konstituierenden Bundesrepublik das braune Wasser zum Überkochen, jenes Wasser, das man, um es mit Adenauer zu sagen, nicht wegschütten konnte, bevor man sauberes habe. (Leider wurde dieser Vortrag von Herrn Detering bislang noch nicht für Youtube freigegeben.) Ähnliche Subtexte entschlüsselte Frau Galvan in der Mosesgeschichte ‚Das Gesetz‘ und in Sachen ‚Der Erwählte‘ wies sie auf die ständige Wiederkehr der Zahl 17 hin: 17 Jahre war Sybilla jung, als sie sich verfehlte, 17 Tage, war das Fäßchen auf dem Wasser, 17 Jahre wuchs wiederum der junge Gregorius auf der Insel heran, 17 Jahre verschrumpelte er auf dem einsamen Felsen zu einem kümmerlichen Wesen und so weiter – und auch 17 Jahre war Thomas Mann im Exil gewesen, als er diese Erzählung schrieb. Da zuckten viele Augenbrauen nach oben auf dem vielfach geteilten Bildschirm, ja klar, daß uns das noch nicht aufgefallen war!

    Bleibt noch zu erwähnen, daß ich auf der anschließenden Mitgliederversammlung ‚in absentia‘ wieder zum Beirat des Vorstands gewählt wurde. In einer Jahresmitgliederversammlung unseres Ortsvereins, die hoffentlich als Präsenzveranstaltung wird durchgeführt werden können, will ich die Mitglieder darum bitten, die Aufgaben unseres Vorstands auf mehrere Schultern zu verteilen.

    Ein solches Treffen sollte nicht nur administrativen Charakter haben, auch möchte ich mich gerne mit Ihnen über eine in den Feuilletons hochgelobte Neuerscheinung unterhalten: Colm Tóibíns ‚Der Zauberer‘, einer erzählerischen Biographie Thomas Manns.

    Ich bin bei der Lektüre nun im Jahre 1914 angekommen, die Jugendjahre sind vorüber und damit auch diverse ‚blinde Flecken‘ seiner Biographie, über die sich Thomas Mann stets ausgeschwiegen hat, die er bestenfalls in vielfältiger Form in seine Werke hat einfließen lassen. Tóibín wagt fiktive Schlüssellochblicke und setzt diese Annahmen in dezenter Sprache in dennoch grelles Licht. Ist dies zulässig? Wer außer mir Bedarf hat, darüber zu sprechen, möge sich bitte melden. Ich würde mich bemühen, einen Termin zu koordinieren und in Bonner Bahnhofsnähe einen Stammtisch zu reservieren.

    Auf meiner Suche nach zeitgenössischer Rezeption von Thomas Manns Werk stieß ich auch dieses broschierte Bändchen: Sieben Manifeste zur jüdischen Frage 1936-1948. Herausgegeben wurde das Buch 1966 von Walter A. Berendsohn, einem mir bislang unbekannten Germanisten, der, 1884 geboren, 1926 zum Professor in Hamburg berufen wurde, um 1933 als Jude und Sozialdemokrat wieder entlassen zu werden. Er konnte nach Stockholm fliehen, fand dort ein bescheidenes Auskommen an der Uni, wurde aber nach dem Kriege trotz Intervention von höchster Stelle in Hamburg nicht mehr in Dienst genommen. Er mußte 99 Jahre alt werden, bevor man ihm in Hamburg quasi gnadenhalber eine Ehrendoktorwürde verlieh, um dann hundertjährig zu sterben.

    Er war jedenfalls ein großer Verehrer Thomas Manns, beschreibt im Vorwort dieses Bandes dessen Entwicklung vom unpolitischen zum höchst engagierten Schriftsteller. Im Buch versammelt sind bekannte Texte wie eine seiner Rundfunkansprachen von 1942, aber auch unbekannte Texte, Briefe und ein Vorwort zu einem Buch über Chaim Weizmann, die Berendsohn aus englischen Manuskripten rückübersetzen mußte. In diesen Texten verdichtet sich alle Erschütterung und Verzweiflung ob Thomas Manns eigener Hilflosigkeit, die umso schlimmer wurde, je länger der Krieg andauerte und je brutaler die Ermordung der Juden vorangetrieben wurde. Insgesamt sehr wichtige Dokumente (auch zur Staatsgründung von Israel), die 1966 zum Teil erstmals der deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und die zum Teil bedauerlicherweise noch aktuell sind.

    Ich erinnere an dieser Stelle nochmals an den Vortrag von Prof. Oellers am 21.10. zu Brecht und Mann Zeit, werde mich aber vorab auch nochmals melden, und weise abschließend auf eine Veranstaltung der Buchhandlung Böttger hin: Am 12.10. wird Andreas Platthaus bei ihm zu Gast sein – in einem Saal gegenüber der Buchhandlung, Thomas Mann Straße 36, – der einer der ersten Stipendiaten in Pacific Palisades war, dort das Buch ‚Auf den Palisaden‘ verfaßte (ich berichtete darüber im vergangenen Jahr) aber dort auch erste Notizen für seine Feininger-Biographie machte. Beide Bücher werden bei der Veranstaltung vorgestellt. Das Plakat hierzu finden Sie im Anhang. Es sind nur noch wenige Plätze verfügbar. Mitglieder der Thomas Mann-Gesellschaft bekommen den reduzierten Eintrittspreis zu 10 €, allerdings nur im Vorverkauf wegen der Planung der Sitzplätze. (da wir keine Mitgliedsausweise haben, kann ich die Mitgliedschaft bei Herrn Böttger bestätigen) Eine Abendkasse gibt es nicht. Bei Herrn Böttger gilt die 2-G-Regel (was ich sehr begrüße), ‚nur‘ getestete Personen sind als Gäste nicht erwünscht, er herrscht Maskenpflicht während der Veranstaltung.

    Mit besten Wünschen seien Sie herzlich gegrüßt Ihr Peter Baumgärtner

    Anlage Platthaus

    Dienstag, 12. Oktober 2021, 20 Uhr

    Andreas Platthaus: Lyonel Feininger – Portrait eines Lebens (Vortrag mit Lichtbildern)

    Andreas Platthaus: Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens. Rowohlt 2015. 448 S. mit zahlreichen Abb. Geb. 28,00 €

    Er prägte das von Walter Gropius gegründete Bauhaus, dem er als einziger Meister vom ersten bis zum letzten Tag angehörte – von 1919 bis zur Auflösung durch die Nationalsozialisten 1933 –, wie kaum ein Zweiter. Mit seinen Freunden Paul Klee und Wassily Kandinsky revolutionierte er die Kunst. Später wurde er so populär und von der Alltagskultur eingemeindet, dass man Bilder von ihm als Plakate bei einem großen schwedischen Möbelhaus kaufen konnte: Lyonel Feininger. 1871 in New York geboren, hielt er sich von seinem siebzehnten Lebensjahr an fast ein halbes Jahrhundert lang in Deutschland auf. Den Großteil dieser Zeit verbrachte er in Berlin, wo sich auch die rätselhaftesten Episoden seines Lebens abspielten. Warum blieb er, obwohl als «feindlicher Ausländer» registriert, während des Ersten Weltkriegs? Und warum verließ er, obwohl mit einer Jüdin verheiratet und Vater dreier Söhne, Nazi-Deutschland erst 1937? In der Persönlichkeit des Malers spiegelt sich das Dilemma einer doppelten Exil-Existenz im 20. Jahrhundert.

    Andreas Platthaus, der für dieses Buch zahlreiche Archivbestände auswerten konnte, erzählt das Leben eines Mannes, der sich im steten Zwiespalt zwischen amerikanischem und deutschem Selbstverständnis befand.

    Andreas Platthaus: Auf den Palisaden. Amerikanisches Tagebuch. Rowohlt 2020. Geb. 24 €

    Vier Monate im Haus von Thomas Mann in Pacific Palisades – das verändert den Blick auf Amerika und Deutschland gleichermaßen. Von hier aus begibt sich Andreas Platthaus ins weite Land, auf die Spuren des deutschen Exils, während er gleichzeitig den aktuellen

    Entwicklungen in den Vereinigten Staaten auf den Grund geht: An der West- wie der Ostküste, von der mexikanischen Grenze tief in der

    Wüste bis zu den Millionärsvillen hoch über dem Pazifik, in Disneyland genauso wie auf den Straßen zwischen Obdachlosen sucht ein Alteuropäer nach dem Code der Neuen Welt. In seinem Amerikanischen Tagebuch begegnet uns ein tief gespaltenes Land – mit dem wir, mehr als sieben Jahrzehnte nach der Zeit des deutschen Exils, noch immer untrennbar verbunden sind.

    Andreas Platthaus leitet das Ressort «Literatur und literarisches Leben» der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», für die er seit 1992 schreibt, und ist Autor zahlreicher Bücher.

    Eintritt: 15 € / 10 € – Karten nur im Vorverkauf in der Buchhandlung Böttger Thomas Mann St. 41 in Bonn Dienstag – Freitag: 13 – 18 Uhr  Samstag: 11 – 16 Uhr + täglich nach Vereinbarung

    (Buchempfehlungen und Informationen zu den Veranstaltungen unter www.buchhandlung-boettger.de)

  • Rundbrief Nr. 32



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    ich möchte zunächst kurz berichten vom Treffen mit Herrn Dr. Lange: nach der alttestamentarischen Drohung im letzten Rundbrief, gingen bei mir sofort eine Reihe weiterer Anmeldungen ein, was mich veranlasste, den Clubraum im Verwaltungsverband der evangelischen Kirchen anzumieten (in dem Haus, in dem früher die LESE untergebracht war), was wiederum eine Lawine von Problemen einer mit dort notwendigen Veranstalterhaftplichtversicherung auslöste. Mit Hilfe von Lübeck bekam ich auch diese gelöst, wir hatten einen wunderbaren, gut gelüfteten Raum mit Blick auf den Rhein – mit leider nur sehr wenigen Gästen: Zwei Personen, die sich angemeldet hatten, gaben die Anreise im Stau stehend frustriert auf, eine weitere hatte sich eine üble Verletzung zugezogen und mußte absagen, weitere zwei waren schon am Donnerstag gekommen und zuletzt hat ich es vergessen, einer Interessentin die Adressänderung durchzugeben.

    Und dennoch: Wir hatten einen sehr angenehmen und informativen Abend in Räumlichkeiten, die wir in Zukunft häufiger zu Veranstaltungen nutzen werden. Herr Dr. Lange hielt ein kompaktes Referat zum Inhalt seines Buches; man staunte wieder über die Fülle an Daten, Quellen und Originaldokumenten, die er in Jahrelanger Recherchearbeit zusammengetragen hatte. Und in der Dichte wurde auch uns auch nochmals gewahr, in welch prekären Notlagen die verschiedenen Mitglieder der Familie Mann in den Jahren vor dem Kriege waren und wie entscheidend die Hilfe der Tschechoslowakei im allgemeinen und der Gemeinde Proseç samt Herrn Fleischmann im besonderen waren. Es die Hilfe einer ganz jungen wirtschaftlich prosperierenden Demokrate, die dann unter Mithilfe deutsch-faschistischer Bevölkerungsanteile zu Fall gebracht worden war, was später, nach dem Kriege, zu fürchterlichen Racheakten und Vertreibungen führte – auch an unbescholtenen Bürgern.

    Das Gespräch über diese Zeitläufte füllte die Zeit nach Herrn Langes Vortrag, aber auch dessen Dank an unser Mitglied Frau Ellen Klose, die ihn auf das Fehlen einer Tschechei- Reise Thomas Manns aufmerksam gemacht hatte. Auch bei mir bedankte er sich für die Kontaktherstellung zu Jens-Peter Otto, der Ende der 60er Jahre Golo Mann als Chauffeur auf dessen Reisen auf den Spuren von Wallenstein diente. Auch von Herrn Ottos Seite erhielt er viele neue Informationen, die in einer zweiten Auflage Eingang fänden, so sie denn kommt. (Herr Otto sei auf diesem Wege nochmals höflich angefragt, ob er bereit wäre, uns in seinem herrlichen Erzählton von seinen Begegnungen mit der Famiie Mann zu berichten.) Es sei an dieser Stelle die kulturelle Leistung des Vitalis-Verlags hervorgehoben, der, in Prag ansässig, deutschsprachige Literatur verlegt, als Erinnerung und Ausblick auf ein gedeihliches Miteinander der Völker in der Mitte Europas.

    Und noch ein Dennoch: Im Angesicht der sehr wenigen Gäste wurde mir nochmals bewußt, daß wir bei unseren künftigen Veranstaltungen nicht allein auf Publikumspräsenz setzen dürfen. Wir müssen den Schritt in eine Hybrid- oder Aufzeichnungstechnik wagen. Das Woelfl-Haus betreibt die Hybrid-Technik sehr routiniert und erfolgreich, unsere nächste Veranstaltung mit Herrn Prof. Oellers zu Brecht und Thomas Mann wird von Schülern aufgezeichnet. Für weitere Veranstaltungen brauche ich technische Unterstützung, ich kann das nicht auch noch leisten. (Zur Veranstaltung mit Oellers bei den Schlaraffen sind schon einige Anmeldungen bei Herrn Büning-Pfaue eingegangen, es gibt aber noch allerhand Luft bis zu den zulässigen 45 Personen)

    Zum gleichen Thema: Vom 19. bis zum 25.September findet die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Thomas Mann-Gesellschaft im digitalen Raume statt. Lange Vorstandssitzungen gingen dieser Entscheidung voraus, die schon im April getroffen werden mußte. Sie hat sich als richtig erwiesen. Bei der derzeit wankenden Corona-Lage hätten sich nur die wenigsten von uns zu einer Präsenz-Veranstaltung nach Lübeck aufgemacht. Es ist keineswegs das Ziel, diese allein digitale Form in der Zukunft ausschließlich beibehalten zu wollen. Alle freuen sich wieder auf das Beisammensein, auf die 1000 Gespräche am Rande. Aber in diesem Jahr ist es nochmals ein Gebot der Vernunft, auf Großveranstaltungen zu verzichten. Wir sind kein Fußballclub. Die hybride Form aber wird bleiben. Schon jetzt haben sich Germanisten aus aller Welt zu den Vorträgen angemeldet. Das sollen sie auch in Zukunft tun, ohne um die halbe Welt fliegen zu müssen. Tun Sie es auch! Schauen Sie sich um auf der Tagungswebsite und melden sich an.

    https://www.thomas-mann-gesellschaft.de/herbsttagung/herbsttagung-2021/index.html

    Nach all diesen technischen Dingen noch einige literarische Hinweise:

    Nachdem mir in verschiedenen biographischen Texten immer wieder der Name Ida Herz begegnet war, besorgte ich mir das 2001 erschienene Buch von Friedhelm Kröll:

    ‚Die Archivarin des Zauberers – Ida Herz und Thomas Mann‘. Friedhelm Kröll ist von Hause aus Soziologe und Kunstgeschichtler, der sich als Biographieforscher einen Namen gemacht hat, weshalb er immer wieder gerne Giftpfeile gegen germanistische Kollegen abschießt, einzig Hermann Kurzke kommt glimpflich davon. Nachdem Thomas Mann mehrfach in seinen Tagebüchern den Satz notierte: „Zu Tische leider die Herz“ wurde diese häufig als nervendes Frauenzimmer kurz abgefertigt. Kurzke hingegen scheibt hierzu lakonisch: „Wem Besuch noch nie auf die Nerven ging, der werfe den ersten Stein.“ Denn die Beziehung zwischen Thomas Mann und Ida Herz war viel mehr. Sie erstreckte sich über mehr als 30 Jahre und die Früchte ihrer Arbeit bildeten den Grundstock für das Thomas-Mann-Archiv in Zürich. Ihre erste zufällige Begegnung erfolgte 1924 in einer Straßenbahn von Fürth nach Nürnberg, weshalb sie zwanzig Jahre später als Kunigunde Rosenstiel in den Faustus Eingang fand „mit schwer zu bändigendem Vollhaar und Augen, in deren Bräune uralte Trauer geschrieben stand.“ Auch von der zweiten, selbstlosen Unterstützerin Leverkühns Meta Nackedey finden sich Wesens- züge von Ida Herz wieder. Kröll beschreibt diese Bezüge in psychoanalytischer Tiefenschärfe. Dies ist der eine, sehr interessante Aspekt des Buches. Der andere sind die unendlich vielen Briefe, die die beiden untereinander wechselten und aus denen Kröll zitiert. Gerade in dieser privaten Korrespondenz äußert sich Thomas Mann mit größter Prägnanz und Witz, daß es eine Freude ist, diese zu lesen. Man mag bei dem Buch über Längen und Wiederholungen jammern, aber es eröffnet einen klaren Blick auf den halbprivaten Thomas Mann, der schon früh erkennt und hofft, daß die Nachwelt Interesse am Schaffensprozeß seiner Werke haben könnte.

    Nun verabschiede ich mich für einige Tage in Urlaub. Schauen Sie nochmals in Ihren Kalender, ob Sie am 21.10. zum Vortrag von Prof. Oellers zu Brecht und Mann Zeit haben. Seien Sie herzlich gegrüßt

    Ihr Peter Baumgärtner

    PS: Unser Mitglied Frau Reinhard ließ mir den beigeschlossenen FAZ-Artikel zur Begegnung zwischen Thomas Mann und Max Beckmann auf der Überfahrt nach New York zukommen, welchen Sie bei Ihrer FAZ-Lektüre ggf. überschlagen haben…

    PPS: Noch ein literarischer Hinweis ganz seitab von Thomas Mann: Im Verwaltungsverband der evangelischen Kirchen sah ich zu meiner Überraschung eine Ausstellung zu Leben und Werk von John Millington Synge, jenem allzu jung verstobenen irischen Dramatiker, den Heinrich Böll in den frühen 60er Jahren für das Deutsche Publikum entdeckt und übersetzt hat. Mich verbinden mit Synge Erinnerungen an eine Schulaufführung vor über 40 Jahren, bei der ich eine Nebenrolle in ‚The Playboy of the Western World‘ innehatte: Ich gab den Schankwirt James Flaherty, der seine hübsche Tochter Pegeen mit dem dahergelaufenen Aufschneider Christoper Mahon verheiratete, welcher damit prahlte und Eindruck schund, seinen Vater höchst heldenhaft erschlagen zu haben, bevor eben jener höchst lebendig auftauchte. Ein großes Theatervergnügen, an das hier von der Deutsch-Irischen Gesellschaft erinnert wird. Hier die entsprechenden Links: https://www.ekir.de/evib/ueber-uns/hinweis-auf-ausstellungen-111.php

  • Rundbrief Nr. 31



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    das nahende Treffen mit Herrn Dr. Lange bringt es mit sich, daß Sie schon wieder einen Rundbrief bekommen. Leider haben sich bis dato nur wenige Interessenten bei mir gemeldet: Gemeinsam mit dem Referenten sind wir sieben Personen. Mit einer an Thomas Mann erinnernden traurigen Ironie fühlte sich Herr Lange bemüßigt, die Bibel leicht abgewandelt zu zitieren: „Ich will sie nicht verderben um der sieben willen.“ (1.Mose 18, 32) Da im Original-Text von zehn die Rede ist, habe ich im Rheinhotel Dreesen einen Tisch für 10 Personen reserviert. Sollte es wieder Erwarten in diesem Jahr noch einen warmen Tag in diesem Landstrich geben, werden wir im teilweise überdachten Kastaniengarten sitzen, wenn nicht, finden wir im Restaurant einen entsprechenden Tisch. Wir treffen uns dort am 10. September um 18.00 Uhr. Wie angekündigt wird Herr Lange uns ca. eine halbe Stunde sein Buch ‚Prag empfing uns als Verwandte‘ vorstellen bevor sich sicher ein lebendiges Gespräch entwickeln wird.

    Kurzum: es sind noch drei Plätze am Tisch frei. Ich werde Sie in der Reihung der Anmeldung vergeben. Ich werde auf Ihre Anfragen ggf. nicht unmittelbar reagieren können, da ich mich Ende der Woche für einige Tage einer Behandlung unterziehen muß.

    Zur Veranstaltung mit Prof. Norbert Oellers zu Bert Brecht und Thomas Mann. Hierzu teilte mir Herr Prof. Büning-Pfaue folgendes mit:

    Ich habe die Zusage für den „Rittersaal“ der „Gesellschaft Schlaraffia Bonn“ erhalten: Als Hygieneplan gilt: die 3 G-Regel, „G“eimpft, „G“enesen und „G“eprüft (nicht länger her als 24 h), Maske: bei Betreten des Hauses … bis zum angewiesenen Sitzplatz (Schedestraße 17 /Ecke Kaiserstraße; Bushalte „Schedestraße“, Buslinien 610 und 611); .. Abstandhalten, Desinfektionsmittel-Option nutzen, Stühle stehen im 1,5 m-Abstand, Getränke/Gläser gegebenenfalls mitbringen; maximal insgesamt nur 45 Personen; nur schriftliche Anmeldung nur bei mir (buening@uni-bonn.de);

    Veranstaltungs-Beginn: 19.30 Uhr;

    Vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg erreichte mich folgende Mail, die ich gerne an Sie weiter leite:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    die Lackdose von Thomas Manns Schreibtisch bietet die wunderbare Gelegenheit, die Vielschichtigkeit des großen Autors und seines „Zauberberges“ zu thematisieren.

    Frau Dr. Susanna Brogi, nimmt sie in ihrem 60 Sek.-Video (https://www.youtube.com/watch?v=jikLkEu9_Hs&list=PLmY_U_O2x3kFrBy-TmuHqeggGZjpW2z0F&index=3)

    in den Blick. Viel Freude beim Anschauen! Das Original ist noch bis 3. Oktober in unserer Ausstellung Europa auf Kur

    (https://www.gnm.de/ausstellungen/sonderausstellung/europa-auf-kur/) zu sehen Mit herzlichen Grüßen

    Andrea Langer

    Dr. Andrea Langer

    Leiterin Referat Wissenschaftsmanagement und Marketing Germanisches Nationalmuseum

    Tel. 0911 1331 104

    a.langer@gnm.de

    Nun kann ich nicht umhin, Ihnen noch eine Lektüreempfehlung weiterzureichen, die unser Mitglied Herr Jürgen Quasner mir gegeben hat: Thomas Mann Selbstkommentare: ‚Doktor Faustus‘, ‚Die Entstehung des Dr. Faustus‘. Dieser Band wurde 1992 von Hans Wysling herausgegeben und ist leider nur noch antiquarisch zu bekommen. Eine Neuauflage tut Not, da uns auf fast 400 Seiten Briefe von Thomas Mann vorgeführt werden, die die Entstehung und die ersten Jahre der Rezeption ganz unmittelbar beleuchten.

    Es beginnt mit Eintragungen vom Juni 1943: Ich schreibe wieder… Die Sache ist schwer, düster, unheimlich, traurig wie das Leben, … Und zwei Monate später: Abends sind wir bei Werfel mit Stravinsky, den ich auch weidlich auszuhorchen gedenke. Der Roman beginnt in Thomas Mann zu reifen. Im April 1944 ist er überrascht von Hesses Glasperlenspiel: eine unheimliche, geisterhaft brüderliche Verwandtschaft mit meiner eigenen gegenwärtigen Schreiberei. Doch … etwas zu blaß, weltabgewandt, undra- matisch ist es mir, aber ein bedeutendes, edles und oft höchst schnurriges Alterswerk… und sehr konservativ allerdings und für meinen Sinn nicht erschüttert genug von der Krise der Zeit. Diese Erschütterung ist bei Thomas Mann immer präsent. Im letzten Kriegsjahr werden die berühmten BBC Ansprachen an die Deutschen aufgezeichnet.

    Aber was soll man diesen unglückseligen, verdummten und verbiesterten Menschen sagen? Im März ’45 hält er in Chicago seine noch heute lesenswerte Rede ‚Deutschland und die Deutschen‘ und erkennt schon jetzt: Man hat zu tun mit dem deutschen Schicksal und deutscher Schuld, wenn man als Deutscher geboren ist. Doch dazwischen immer wieder das Hadern mit dem Werk: Es ist aber von all meinen Unternehmungen die am leichtesten zu Verpatzende, und die Schwierigkeiten türmen sich. Mußte ich mir das noch aufhalsen? Andererseits gilt es, die Zeit hinzubringen. War das Schreiben auch eine Flucht vor den täglichen, schlimmen Nachrichten? Ich weiß nicht, warum ich mir so traurige Geschichten ausdenke. Die Kunst soll uns doch erheben und erheitern. … Entsetzlich! Es ist wieder »une mer à boire«. Ein Becken, in das allzuviel hineingeht. Im Dezember ’45 beschreibt er seine Technik der Montage: Ein bekanntes Motiv wird aufgegriffen und dann klebe ich es auf und lasse die Ränder sich verwischen, lasse es sich in die Komposition senken als ein mythisch-vogelfreies Thema, das jedem gehört. Im Frühjahr ’46 die Erkrankung, im April die Lungenoperation, die langsame Genesung bevor er im August wieder notieren kann: Der geflickte Wunderkreis druckst und skribbelt wieder ganz fleißig an dem Faustus-Roman… Und schon wieder gibt es Reisepläne. Das wird mein Leben verkürzen, meint meine besorgte Tochter Erika. Aber was weiter, wenn der Roman fertig ist, der vierte Hochbau, soll mir’s farcimentum sein. (Eine vornehme Art, ‚Wurscht‘ zu sagen) Er beginnt Auszüge aus dem Roman vorzulesen. Der kleine, ein elfenhaft idealisierte Frido, ist gewiß das Schönste im ganzen Buch, und dann holt ihn der Teufel. Wir waren alle gar nicht weit von den Tränen. Bevor er am 29.1.1947 an Erika schreibt: keen glorious child must know that Adrians sad story was definitely brought to a happy end today.

    Es folgen die ersten Jahre der Rezeption, der Begeisterung, der Anfeindungen und der Rechtfertigungen. Es ist von Anfang bis Ende in einem Zustand tiefer Erregung, tiefer Aufgewühltheit und Preisgabe geschrieben, und die 4 Bände des Joseph, die ich doch so gerne ein Menschheitslied nenne, waren das reine Opernvergnügen damit. … soviel Autobiographisches. Oder in einem anderen Brief: …es ist ein Sonderfall, daß Einer mit 70 sein »wildestes« Buch schreibt. Die Auseinandersetzung mit Schönberg hat er vorhergesehen, allerdings unter anderen Vorzeichen: … ist die Reihentechnik als Erfindung der Teufelskälte dargestellt. Er muß wohl einschnappen – wie mancher andere. Ich kann’s nicht ändern. Nein, Schönberg sieht sich nicht verunglimpft, er will gewürdigt werden als Erfinder der von Thomas Mann, dem unverbesserlichen Spätromantiker, beschriebenen Musik. Ich wüßte nicht, daß er je in ein Schönberg-Konzert gegangen wäre. Ich selbst bin im Vergleich mit Joyce oder Picasso ein flauer Traditionalist.

    Im Jahr 1948 bekommt Peter de Mendelssohn ein Exemplar des Faustus aus der Schweiz nach Berlin zugeschickt. Er verschlingt den Roman in zwei Tagen und zwei Nächten, und verfaßt im Anschluß Drei Briefe an einen anonymen Empfänger. Diese werden unter dem Titel Der Zauberer bei Ullstein und Kindler mit der Lizenz der amerikanischen Militärregierung verlegt. Thomas Mann erhält ein Exemplar in den USA und staunt über diese enthusiastischen Briefe Mendelssohns. Unterliegt diesen kaum 50 Seiten doch ein so unverbrauchter, staunender Blick, wie er später auf den Dr. Faustus nie mehr genommen werden konnte. Mendelssohn gesteht freimütig, daß er während der Kriegsjahre die letzten Bände des Joseph oder die Lotte nicht ertragen konnte. Sie waren ihm zu fern von den Grausamkeiten dieser Welt, schienen ihm offenbar eine unzulässige Flucht zu sein. Der Dr. Faustus ist ihm eine Offenbarung, voller Pathos stimmt er seine Elogen an, der Roman trifft ins gespaltene Herz der Nation. Thomas Mann wird in weiten Teilen der Bevölkerung als Vaterlandsverräter angesehen und nun dieses vielschichtige Buch über den Untergang eines vom Teufel verführten vor dem Hintergrund des Bombardements auf München. ‚Die Entstehung des Dr. Faustus‘ ist noch nicht geschrieben, die erzwungenen Anmerkungen Schönbergs zur Zwölftonmusik noch nicht dem Romantext nachgestellt. Es ist eben nicht so, wie Thomas Mann in einem Brief an Schönberg unterstellte, daß jedes Mohrenkind wisse, wer der Schöpfer dieser Musik ist. In den Trümmern des zwölfjährigen Reiches weiß man dies nicht, auch ein Bildungsbürger nicht wie Peter de Mendelssohn. Tausend Dinge wären anzumerken zu diesem Text. Auch er ist nur noch antiquarische zu bekommen und sollte neu verlegt werden: Jenseits aller professoralen Sekundärliteratur ist er als Zeugnis der Rezeptionsgeschichte in seiner Unmittelbarkeit einzigartig.

    Soweit mein Exkurs zu meinen literarischen Entdeckungen. Von unserem Treffen mit Herrn Dr. Lange werde ich wohl erst Ende September berichten können.

    Es grüßt herzlich

    Ihr Peter Baumgärtner

  • Rundbrief Nr. 30



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    ich hatte im März, im Rundbrief Nr. 24, auf die Neuerscheinung des Buchs von Dr. Peter Lange hingewiesen ‚Prag empfing uns als Verwandte‘ und darin meinen sehr positiven und gewinnbringenden Eindruck geschildert. Um Ihnen das Nachlesen zu vereinfachen, habe ich diesen Rundbrief in Gänze nochmals angehängt. Nun ist es mir gelungen, Herrn Lange für den 10. September nach Bonn einzuladen. Er verlangt keine Gage, aber ich ersetze ihm die Spesen. Ich lud ihn ein ins Rheinhotel Dreesen mit Blick auf den Petersberg, beides Orte, an denen im Jahr 1939 der fatale Verrat an der damals letzten Demokratie im Osten Europas begangen wurde, was die neu gewonnen Pässe der Familie Mann wieder wertlos machte. Herr Dr. Lange wird uns – bei hoffentlich schönem Wetter am frühen Abend, 18.00 Uhr, sein Buch in einem circa halbstündigen Vortrag vorstellen. Dieser sollte hinreichend viele Anknüpfungspunkte bieten für ein lebendiges Gespräch im Anschluß, sicher auch über das aktuelle literarische Leben in der Tschechei, über die Rezeption deutscher Literatur im Allgemeinen und jene der Familie Mann im Besonderen. Nun ergab es sich, daß just in der vergangenen Woche das WDR-3-Zeitzeichen „Thomas Mann wird Tschechoslowake“ zum Thema hatte. Herr Dr. Lange ist mit wichtigen Wortbeiträgen mit von der Partie. Sie können die Sendung in der WDR-Mediathek anklicken – ein sehr hörenswerter Beitrag:

    https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/zeitzeichen-einbuergerung-thomas-mann-100.html

    Noch nicht abschließend geklärt ist der Veranstaltungsort. Herr Dr. Lange wird uns auch Bilder mitbringen. Bei einer sehr überschaubaren Anzahl von Teilnehmern, könnte man diese auf einem Laptop im teilweise überdachten Kastanienhof des Hotel Dreesen präsentieren. Sollten sich mehr als zehn Interessierte melden, müssen wir in einen Saal ausweichen und uns mit den Covid-Regeln auseinandersetzen. Ob dies im Dreesen möglich sein wird, muß ich noch klären. Von großer Wichtigkeit dabei ist, daß ich sehr kurzfristig, und zwar bis spätestens zum 28.8., verbindliche Anmeldungen bekomme.

    Später eingehende Bekundungen kann ich ggf. nicht mehr zusagen. Diese Pandemie zwingt zu unhöflichen Gesten.

    Die Veranstaltung mit Prof. Norbert Oellers zu Bert Brecht und Thomas Mann wird am Donnerstag, den 21. Oktober im Saal der Schlaraffia in der Schedestraße stattfinden. Ein Hygiene-Konzept ist in Arbeit.

    Ich hatte im letzten Rundbrief von der Kontaktaufnahme zu Prof. Dr. Valerij Susmann, dem Vorsitzenden des russischen Germanisten-Verbandes, berichtet. Frau Prof. Haider- Dechant gelang es, eine Zoom-Konferenz mit Prof. Susmann zustande zu bringen, an der auch Frauke May-Jones teilnehmen konnte. Über eine Stunde lang entwickelte sich ein äußerst interessantes Gespräch. Herr Prof. Susmann ist ein witziger bescheidener Mann, der aber auch gleichermaßen hartnäckig sein kann. Er wollte das Thema nicht auf Thomas Mann und Anton Tschechow eingrenzen lassen. Manns positive Haltung zur russischen Literatur und zu Tschechow im Besonderen – darüber wisse in Rußland jeder Bescheid, das sei langweilig. Im Gespräch entwickelte er die Idee einer Schnittmenge der beiden Dichter, wie diese in ihrer Kunst – der eine als Epiker und der andere als Kurzgeschichten-Erzähler – die Sprache, das Wort bis an die Schwelle des Sagbaren ausloteten, den Grenzbereich zwischen Sprache und Musik erkunden. So soll auch der Abend mit ihm ein musikalisch-literarischer sein. Herr Prof. Susmann wird seine Frau, eine Pianistin, mitbringen. Sie wird spielen, Frauke May-Jones wird russische Lieder singen. Ein sehr spannender Abend steht uns bevor, leider erst im nächsten Jahr. Am Ende zeigte ich ihm eine Weinflasche aus Badenweiler mit dem Konterfei von Tschechow (dieser starb dort 1904), die ich ihm übergeben werde, wenn er im Lande ist. Da sagte Prof. Susmann: „Jetzt können Sie sicher sein, daß ich komme!“

    Da wiederhole ich mich gerne: Bewahren Sie ihren Humor und bleiben Sie gesund, herzlich Ihr Peter Baumgärtner

  • Rundbrief Nr. 29 + Anlage Brief Quasner



    Liebe Mitglieder des Ortsvereins Bonn-Köln der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, liebe Interessierte an unserer Arbeit,

    lassen Sie mich zunächst den schrecklichen Bildern der fürchterlichen Ereignisse aus dem Bonn-Kölner Umland Bilder von Schönheiten entgegenstellen, wie sie die Natur eben auch hervorbringen kann. Wie im letzten Rundbrief angekündigt, war ich dieser Tage im Museum Koenig zu Gast. Die Leiterin der Lepidoptera-Abteilung Frau Dr. Espeland und die wissenschaftliche Leiterin des Biohistoricums Frau Dr. Schmidt-Loske führten mich in die fensterlose, klimatisierte und etwas nach Formaldehyd duftende Schatzkammer ihres Instituts. Mir war, als würde „Adrians Vater am Abend seine farbig illustrierten Bücher über exotische Falter und Meeresgetier“ aufschlagen und ich würde „über die gelederte, mit Ohrenklappen versehene Rückenlehne seines Stuhles“ schauen und auf „die dort abgebildeten Herrlichkeiten und Exzentrizitäten“ blicken, auf „diese in allen Farben der Palette, nächtigen und strahlenden, sich dahinschaukelnden, mit dem erlesensten kunstgewerblichen Geschmack gemusterten und ausgeformten Papilios und Morphos der Tropen, …“ Und schon hatten die Damen aus einem Hochregal eine mit gläsernem Deckel verse- hene Schubkiste gezogen, beschriftet „Papilio (Heraclides)“

    Wir lesen weiter im Text: „Die herrlichste Farbe, die sie zur Schau tragen, sei, so belehrte uns Jonathan, gar keine echte und wirkliche Farbe, sondern werde nur durch feine Rillen und andere Oberflächengestaltungen der Schüppchen auf ihren Flügeln hervorgerufen, eine Kleinstruktur, die es durch künstliche Brechung der Lichtstrahlen und Ausschaltung der meisten besorge, daß allein das leuchtendste Blaulicht in unser Auge gelange.“ Und schon durfte ich in einen weiteren Schuber schauen, beschriftet mit „Morphini, Morpho – amathonte“.

    »Sieh an«, höre ich Frau Leverkühn sagen, »es ist also Trug?«

    »Nennst du das Himmelsblau trug?« erwiderte ihr Mann, indem er rückwärts zu ihr aufblickte.

    »Den Farbstoff kannst du mir auch nicht nennen, von dem das kommt.«

    Herrliche Tiere, mehr als handtellergroß. Dreht man sie im Licht, changiert die Farbe von Blau zu Violett ins Gräuliche. Die Damen gaben mir dazu noch allerhand wissenschaftliche Erläuterungen, die ich einerseits auf Anhieb nicht verstand und andererseits die Hoffnung habe, diese bald in einem Vortrag im Museum Koenig nochmals hören zu dürfen.

    Doch weiter im Text: „Es waren da Glasflügler abgebildet, die gar keine Schuppen auf ihren Flügeln führen, so daß diese zart gläsern und nur vom Netz der dunklen Adern durchzogen erscheinen. Ein solcher Schmetterling, in durchsichtiger Nacktheit den dämmernden Laubschatten liebend, hieß Hetaera Esmeralda. Nur einen dunklen Farbfleck in Violett und Rosa hatte Hetaera auf ihren Flügeln, der sie, da man sonst nichts von ihr sieht, im Flug einem windgeführten Blütenblatt gleichen läßt.“

    Da haben wir sie, die große Metapher des Dr. Faustus, den Auftakt zum Lebensdrama Adrian Leverkühns, die Thomas Mann aber gleich wieder in der Beschreibung weiterer Wunderlichkeiten versteckt: „Es war da sodann der Blattschmetterling, dessen Flügel, oben in volltönendem Farbendreiklang prangend, auf ihrer Unterseite mit toller Genauigkeit einem Blatte gleichen, nicht nur nach Form und Geäder, sondern dazu noch durch minutiöse Wiedergabe kleiner Unreinigkeiten, nachgeahmter Wassertropfen, warziger Pilzbildungen und dergleichen mehr. Ließ dies geriebene Wesen sich mit hochgefalteten Flügeln im Laube nieder, so verschwand es durch Angleichung so völlig in seiner Umgebung, daß auch der gierigste Feind es nicht darin ausmachen konnte.“

    Hier lohnt es sich, auf die Unterseite des oben gezeigten, herrlich blauen Morpho zu schauen: Läßt dieser sich auf einem Zweige nieder und faltet seine Schmetterschwingen zusammen, so würde man ein welkes Blatt an diesem Ast vermuten.

    Noch perfekter getarnt und der Beschreibung von Thomas Mann ähnlicher ist der Zaretis, der allerdings namentlich nicht erwähnt wird.Und Thomas Mann ist noch nicht zu Ende mit den Faltern, das Schalkhafte in der Kunst der Tarnung in der Natur scheint ihn fasziniert zu haben: „Konnte nun dieser Falter zu seinem Schutze sich unsichtbar machen, so brauchte man im Buche nur weiter zu blättern, um die Bekanntschaft solcher zu machen, die durch augenfälligste, ja aufdringliche, weithin reichende Sichtbarkeit denselben Zweck erreichten. Sie waren nicht nur besonders groß, sondern auch ausnehmend prunkvoll gefärbt und gemustert, und wie Vater Leverkühn hinzusetzte, flogen sie in diesem scheinbar herausfordernden Kleide mit ostentativer Gemächlichkeit, die aber niemand frech nennen möge, sondern der eher etwas Schwermütiges anhaftete, ihres Weges dahin, ohne sich je zu verstecken und ohne daß je ein Tier, weder Affe, noch Vogel, noch Echse, ihnen auch nur nachgeblickt hätte. Warum? Weil sie ein Ekel waren. Und weil sie durch ihre auffallende Schönheit, dazu durch die Langsamkeit ihres Fluges, eben dies zu verstehen gaben. Ihr Saft war von so scheußlichem Geruch und Geschmack, daß, wenn einmal ein Mißverständnis, ein Fehlgriff vorkam, derjenige, der sich an einem solchen gütlich zu tun gedachte, den Bissen mit allen Anzeichen der Übelkeit wieder von sich spie.“

    Mit Heliconiini – tatsächlich mit drei „i“ – war der Schuber beschriftet, in dem sich noch eine ganze Reihe weiterer herrlich hübscher Tierchen befand. Ihre Ungenießbarkeit, so erläuterte mir Frau Espeland, erzielen diese Schmetterlinge dadurch, daß Sie giftige Früchte fressen, die ihnen aber selbst nichts anhaben. Das wußte Thomas Mann nicht – es hätte ihm gefallen, denn er erwähnt im Text noch: „Daß andere Arten von Schmetterlingen sich trickweise in denselben Warnungsprunk kleideten und denn also auch in langsamem Unberührbarkeitsfluge melancholisch sicher dahinzogen, obgleich sie durchaus genießbar waren.“ An solcherlei hatte Thomas Mann Vergnügen und Frau Espeland wird uns sicher Arten zeigen können, die sich mit dieser Art der listigen Mimikry ihr flatterhaftes Leben schützen.

    Es sei an dieser Stelle erwähnt, daß die Damen mir wenig über das Alter der Präparate sagen konnten. Die Altvorderen haben wohl nur schlampig Buch geführt, aber die Dinge, die ich gesehen hätte, seien mindestens 50 Jahre alt, wahrscheinlich deutlich älter. Die sehr sterilen konservatorischen Bedingungen seien schon daher geboten, da man nicht alle Jahre am Amazonas weitere dieser seltenen Tierchen einfangen will. Womit wir beim historischen Aspekt der Sache angekommen wären: Alexander Koenig wurde 1858 in Sankt Petersburg als Sohn eines wohlhabenden Zuckerkaufmanns geboren, welcher sich im Jahre 1867 mit für seiner Familie in Bonn in der heutigen Villa Hammerschmidt niederließ. Alexander studierte Zoologie und zu seiner Promotion (zum Thema der Mallophagenfauna – der Vogelläuse) und Hochzeit im Jahre 1884 schenkte ihm der Vater eine Villa auf der anderen Seite der Coblenzer Straße, den südlichen Teil dessen, was wir heute Museum Koenig nennen und in dem sich heute die Verwaltung und die Eiersammlung befinden. Stück für Stück baute er seine Sammlung auf, begann 1912 mit dem Bau des prächtigen Museums, der durch Krieg und wirtschaftliche Wirren erst 1934 fertig gestellt werden konnte. Er reiste viel, unter anderem über Palästina, Ägypten ins innere Afrikas, von wo er unter anderem die berühmte Giraffe mitbrachte, die noch heute den Innenhof ziert. 1894 wurde er Professor an der Bonner Universität.

    Kurzum: Er wäre ein idealer Gesprächspartner von Thomas Mann gewesen, nicht nur für den Faustus, auch für die Josephs-Romane. Sind sich die beiden in den zwanziger Jahren begegnet? Ich bat Frau Dr. Schmidt-Loske im Archiv nach einer möglichen Korrespondenz der beiden Herren zu suchen. Ich bin sehr gespannt. Für eine Veranstaltung, wie im letzten Rundbrief angedeutet, ist man sehr aufgeschlossen. Es Bedarf hierzu einiger Vorbereitung und auch pandemischer Voraussetzungen – ich werde Sie auf dem Laufenden halten.

    Bevor ich mich nun auf den Ausblick in die Zukunft eingehe, eine kurze Rückschau auf unsere Veranstaltung im Woelfl-Haus mit Kotaro Fukuma und Michael Fürtjes: Sie war großartig! Von den ca. 20 Anwesenden aber auch von vielen, die zuhause dem Konzert gelauscht haben, bekam ich viele und ausschließliche positive Rückmeldungen. Wir hatten insgesamt ca. 100 zahlende Gäste, Zuschaltungen aus den USA, Italien und viele aus Japan. Leider haben nicht einmal 20 Mitglieder unseres Ortsvereins ein Ticket gelöst. Auf die Abrechnung vom Woelfl-Haus warte ich noch. Den Zuschuß unseres Ortsvereins werde ich dann ermitteln. Wie dem auch sei: Es hat sich gelohnt, der Kunst und der Außenwirkung wegen.

    Frau Prof. Haider-Dechant stellte auch den Kontakt zu Prof. Dr. Valerij Susmann her, dem Vorsitzenden des russischen Germanisten-Verbandes. Er sucht den Zugang zu den Archiven in Lübeck und Zürich, unser Präsident, Herr Prof. Wißkirchen, gab ihm die entsprechenden Kontakte. In der deutschsprachigen Literatur interessieren ihn vor allem Franz Kafka, Thomas Mann, Franz Werfel, Vladimir Vertlib, Ludwig Tieck, viele Namen, viele Epochen. Zu uns würde er gerne über Thomas Mann und Anton Tschechov sprechen. Gemeinsam mit Frau Haider-Dechant werden wir eine musikalische Umrahmung erarbeiten.

    Ich bin sehr erfreut über diesen ersten Kontakt mit der russischen Literaturwissenschaft. In Zeiten, in denen auf politischer Ebene Eiszeit herrscht, so schrieb ich ihm, muß die Kultur als Brückenbauer dienen. Dies ist auch der Antrieb für Herrn Susmann und nicht nur der Umstand, daß Mann der russischen Literatur sehr zugeneigt war.

    So habe ich dieser Tage auch wieder Kontakt aufgenommen zu Peter Lange (Autor von: Prag empfing uns als Verwandte). Er wird Anfang September im Rheinland sein. Ich werde ihn nach Bonn einladen und denke an eine Gesprächsrunde mit ihm in einem öffentlichen Biergarten, im Weingut Sülz oder in einem privaten Garten eines unserer Mitglieder. Ich habe leider keinen zur Verfügung – man darf sich melden.

    Die Veranstaltung mit Prof. Norbert Oellers zu Bert Brecht und Thomas Mann wird an einem Donnerstagabend im Oktober im Saal der Schlaraffia in der Schedestraße stattfinden; Schüler der Bert-Brecht-Gesamtschule werden den Vortrag zur schulischen Verwendung aufzeichnen. Den genauen Termin gebe ich in Kürze bekannt.

    Meine Co-Vorsitzende Frauke May-Jones, derzeit noch in den etwas heißeren der Vereinigten Staaten unterwegs, erkundet so nebenbei, ob es in Los Angeles ein Naturkundemuseum gibt – oder besser zu Zeiten Thomas Manns dort gab – in dem er sich über Schmetterlinge hätte erkundigen können und bietet zu Beginn des nächsten Jahres für unsere Ortsverein gemeinsam mit dem Woelfl-Haus ein Programm über Thomas Mann, H. C. Andersen und die Vertonungen seiner Gedichte an.

    HANS CHRISTIAN ANDERSEN: Märchen und Gedicht-Vertonungen und ihre Spiegelung und Literarisierung bei THOMAS MANN – Ein LIEDeraturabend für Gesang, Klavier und Sprecher. Lieder u. a. von Schumann, Grieg, Gade und Prokofieff

    Ein solches Angebot sollten wir gerne annehmen und uns darauf freuen.

    Dies ist nun die Stelle, an der ich ein neues Mitglied unseres Ortsvereins begrüßen darf: Frau Jutta Hartmann ist in Bonn aufgewachsen, lebt im Allgäu, liebt die Verfilmungen der Romane Thomas Manns. Unsere Broschüre ‚Thomas Mann im Film‘ aus 2011 hat sie als Begrüßungsgeschenk erhalten. Ich saß mit ihr bei Nieselregen unter alten Bäumen im Arboretum Park Härle, einem wunderbaren Ort der Kontemplation, den ich nur jedem empfehlen kann. Frau Hartmann ist von ansteckender Neugier – ich freue mich auf ihre Mitgliedschaft.

    Am Ende möchte Ihnen eine der vielen Anekdoten nicht vorenthalten, mit denen mich unser schwäbisches Mitglied Herr Jürgen Quasner immer wieder unterhält – siehe Anhang. In diesem Falle geht es um Thomas Mann, Hermann Hesse, dessen Glasperlenspiel und überzählige Adjektive, oder „fränkisch, also gastronomisch verfressen ausgedrückt: Eine gute Bratwurst braucht kaan Senf!“ Aber lesen Sie selbst.

    In diesem Sinne: Bewahren Sie ihren Humor, bis die Tage Ihr Peter Baumgärtner

    Anlage Brief Quasner

    Lieber Herr Baumgaertner,

    Ich lese gern, aber nichts mehr über Impfung und Inzidenzen. Das Dauerthema läßt jetzt auch in den Zeitungen nach; Metzingen lebt wieder auf, und schon fehlen Parkplätze, hurra!

    Hesses »Glasperlenspiel« zur Laufbahn von Josef Knecht erscheint mir als Bildungsroman in der Nachfolge von »Wilhelm Meister«, an Goethe auch in der ruhig-breiten Erzählweise und an dessen Sprache angelehnt. Der Roman leidet an Leukämie, schlimmer beim Epigonen als beim Klassiker. Ein Beispiel bringe ich: »Dann reiste er, nicht ohne Wehmut des Abschieds von einem liebgewonnenen Ort …, aber durch die das Festspiel vorbereitende Folge kontemplativer Exerzitien schon festlich vorgestimmt, denen er sich … nach dem Wortlaut der Vorschriften genauestens unterzogen hatte.« (S. 220f.)

    Die Abreise der Marquise von O … sollte man hier dagegenhalten, »durch diese schöne Anstrengung mit sich selbst bekanntgemacht, …« Kleist strengt an, bei Hesse badet man lau.

    Hat Hesse nicht bei Heine gelesen, dass man nach Goethe so nicht weitermachen kann? Entschuldigung, ich war gerade in Stimmung. »Die Morgenlandfahrt« gefällt mir besser; sie ist auch kürzer. Dank der Weisheiten von Königs Erläuterungen erfahre ich aber, wie subtil Hesse auf seinen Freund Thomas Mann anspielt, nämlich in der Figur des fiktiven Thomas von der Trave. Martin Pfeifer, der Interpret, lobt die Kunst der Charakterisierung, wenn dieser Traven-Thomas beschrieben wird als “ein berühmter … und weltgewandter Mann, konziliant und vom artigsten Entgegenkommen gegen jedermann, der sich ihm näherte … wenn er kein Enthusiast war …, so zeigen seine … formal unübertrefflichen Spiele doch für die Kenner eine nahe Vertrautheit mit den … Problemen der Spielwelt” (Pfeifer S. 100).

    Offensichtlich hat Hesse keinen Kurs der VHS in Lugano über den sparsamen Umgang mit Adjektiven belegt und er hat diese Kunst auch bei Thomas Mann nicht erlernt. Was bitte sagt uns “eine nahe Vertrautheit” mehr als eine solche ohne Adjektiv? Oder gibt es in irgendeiner semantischen Nische auch eine ferne Vertrautheit? Die Nische möchte ich gern besuchen.

    Hesse bekam trotz seiner Adjektive 1946 den Nobelpreis, von dem Gottfried Benn behauptete, das sei nur so gegangen, weil Thomas Mann ihn vorgeschlagen hatte. Dieser Behauptung möchte ich nicht widersprechen.

    Herzliche Grüße ins bald eintretende samedimanche Jürgen und Tizi Quasner